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So abhängig ist Deutschland von China
Deutschland ist auf Zulieferungen aus China angewiesen, der chinesische Markt ist für deutsche Kernbranchen zentral. Wo sind die Abhängigkeiten besonders hoch?
17.06.2024
Von Christina Otte | Bonn
Die Wirtschaft müsse die Lieferketten diversifizieren, um ihre Abhängigkeit von China zu reduzieren - ist in einer Coface-Pressemeldung zu lesen. "Wenn wir in 15 oder 20 Jahren zurückschauen, werden wir sagen, dass Anfang der 2020er die entscheidenden Jahre waren, in denen für viele Unternehmen aber auch gesamtwirtschaftlich die Weichen gestellt wurden", sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutsches Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), auf dem 17. Coface Kongress am 16. Mai 2024 in Mainz. Die China-Strategie der Bundesregierung sieht genau das vor: die Abhängigkeiten insbesondere in kritischen Bereichen zu verringern. Doch in welchen Bereichen ist Deutschland kritisch abhängig?
Lieferungen aus China: wie kritisch?
Verschiedene Studien haben sich mit den importseitigen Abhängigkeiten von China befasst, wie etwa das ifo Institut 2022, das IfW-Kiel 2023 oder das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im April 2024. Das Ergebnis: Der Großteil der Importe aus China sei zwar unproblematisch, dennoch gäbe es einen kleinen Teil, bei dem Zulieferungen kritisch seien. Diesen beziffert das Ifo-Institut 2022 auf 3 Prozent der Importe. Fallen solche Importe im Krisenfall weg, könnte dies zu teils schweren Produktionsausfällen führen. Das IfW-Kiel schätzte 2023, dass das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands bei einem Ausfall Chinas (Reduktion des Handels um 97 Prozent) langfristig um 1 Prozent niedriger ausfallen wird, kurzfristig könnten die Verwerfungen weitaus drastischer sein.
Als kritisch sieht das IW vor allem Importe von Chemie, Pharmazie (zum Beispiel Antibiotika und Wirkstoffe), Elektronik (etwa Laptops und Computerzubehör) und Rohstoffen, darüber hinaus noch bestimmte Maschinenbauerzeugnisse, Elektromotoren, Waren der Fotovoltaikindustrie, Dauermagnete und Batterien.
Insgesamt hat die Zahl der kritischen Importproduktgruppen stetig zugenommen. Doch eindeutig ist der Trend nicht. In einer Umfrage des ifo Instituts vom April 2024 gaben 37 Prozent der Industrieunternehmen in Deutschland an, auf wichtige Vorleistungen aus China angewiesen zu sein. Im Jahr 2022 waren es noch 46 Prozent gewesen. Auch der Anteil der Importe aus China an den deutschen Gesamtimporten war zuletzt 2023 wieder gesunken.
Rohstoffe: Engpass bei Schlüsseltechnologien
In einer Analyse hat die EU 2023 insgesamt 34 kritische Rohstoffe ausgewiesen. Bei 27 zählt China zu den Top-3-Produzentenländern. Besonders hoch ist der Anteil Chinas an den EU-Importen im Falle schwerer seltenen Erden (100 Prozent), leichter seltenen Erden (85 Prozent), Magnesium (97 Prozent), den Halbleitermetallen Gallium (71 Prozent) und Germanium (45 Prozent), Bismut (65 Prozent) sowie Vanadium (62 Prozent).
Brisanz gewinnt die Rohstoffabhängigkeit dadurch, dass viele der Metalle für die Produktion in Schlüsselindustrien wichtig sind, etwa für Lithium-Ionen-Batterien, Windturbinen, Robotik, Elektromotoren oder Wasserstofftechnologien. Außerdem ist die indirekte Abhängigkeit von China häufig noch höher. Etwa bei Kobalt, das zwar größtenteils im Kongo abgebaut wird, aber eben vielfach von chinesischen Firmen und auch die Weiterverarbeitung erfolgt in China. Auf diese Weise sichert sich China nicht nur den Zugang zu Rohstoffen, auch die Forschung und Produktion in Schlüsselindustrien dominiert das Reich der Mitte immer stärker. Im Technologiewettbewerb hat China inzwischen bei 37 von 44 Technologien die Spitzenposition in der Forschung erreicht, so der ASPI Critical Technology Tracker 2023.
Chinesischer Markt: unverzichtbar?
In der Geschäftsklimaumfrage der AHK Greater China 2023/24 gaben über die Hälfte (54 Prozent) der deutschen Firmen in China an, weiter in China investieren zu wollen, vor allem um wettbewerbsfähig zu bleiben. Andererseits erwägt jedes zehnte Unternehmen, China zumindest teilweise zu verlassen. Risikomanagement gewinnt an Bedeutung - viele Firmen bauen auf eine Lokalisierung der Lieferkette in China, um im Krisenfall das Chinageschäft von den globalen Geschäften loszulösen. Denn für die meisten stellt sich nicht die Frage einer Geschäftsaufgabe in China - zu wichtig ist der chinesische Markt.
So war China gemäß Angaben der deutschen Branchenverbände 2022 für 36 Prozent des Weltmaschinenumsatzes, 40 Prozent des Chemie- und Pharmamarktes sowie 32 Prozent der weltweiten Autoverkäufe verantwortlich. Manche Unternehmen erwirtschaften über 30 Prozent ihres Umsatzes beziehungsweise Absatzes in China - etwa die deutschen Autobauer oder der Halbleiterhersteller Infineon. Dabei finanzieren die deutschen Firmen weitere Investitionen in China hauptsächlich durch ihre dort erwirtschafteten Gewinne. Seit 2018 übersteigen die reinvestierten Gewinne die deutschen Direktinvestitionen, wie aus Daten der Bundesbank hervorgeht.
Asymmetrie: Deutschland ist abhängiger
Während im Jahr 2022 deutsche Unternehmen 122 Milliarden Euro an Direktinvestitionen in China kumuliert angelegt haben, beträgt der Bestand chinesischer Direktinvestitionen in Deutschland nur 5 Milliarden Euro. Die damit erzielte Lokalisierung führt dazu, dass die Relevanz deutscher Exporte abnimmt. So rutschte China 2022 von Rang 2 auf Rang 4 der größten deutschen Exportmärkte und im 1. Quartal 2024 sogar auf Rang 5.
Insgesamt ist Chinas Anteil am deutschen Außenhandel seit 2013 dennoch gestiegen, der Anteil der EU an Chinas Ein- und Ausfuhren hat hingegen abgenommen. Dies alles führt zu wachsenden Asymmetrien in den Wirtschaftsbeziehungen, eine Problematik, auf die auch Marcel Fratzscher auf dem Coface Kongress hinwies. Die Krux dabei: Wirtschaftliche Abhängigkeiten lassen sich als politisches Druckmittel einsetzen, aber Liefer- und Investitionsbeziehungen lassen sich kurzfristig kaum diversifizieren.
Daher müssen deutsche Unternehmen mit einem erhöhten Kostenaufwand für eine Senkung der Abhängigkeiten kalkulieren, aus Eigeninteresse wie auch geopolitischen Gründen. Indes diversifizieren chinesische Firmen selbst und investieren beispielsweise in Mexiko und Südostasien.