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Wirtschaftsumfeld | EU | GTAI-Arbeitsmarktanalyse

Fachkräftemangel und steigende Löhne: Tipps für die Personalsuche

In der EU suchen immer weniger Menschen Arbeit. Gleichzeitig steigen die Löhne. Das erschwert die Suche nach Personal. Betriebe sollten sich außerhalb der Ballungszentren umsehen.

Von Regina Wippler, Torsten Pauly | Mailand, Bonn

EU-weit sinkt die Arbeitslosigkeit. Diese Entwicklung verstärkt den Fachkräftemangel und erschwert Reshoring-Projekte, also die Rückverlagerung von außereuropäischen Standorten in die EU. Auch die Personalkosten nehmen europaweit zu. Vor allem in Bulgarien und Litauen sind die Bruttostundenlöhne stark gestiegen, zwischen 2020 und 2023 um über 40 Prozent, wie eine umfassende GTAI-Analyse von Arbeitsmarktzahlen und Lohnstatistiken in der EU zeigt.

Unser Fazit: Für Unternehmen kann es sich lohnen, auch jenseits der Ballungszentren nach Personal zu suchen. Denn in vielen Ländern gibt es große regionale Unterschiede bei den Löhnen und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Das gilt etwa für Polen. Auch die Integration von Arbeitskräften aus Drittstaaten und die Qualifizierung von Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen sind wichtige Strategien, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Angebote wie Telearbeit und Kooperationen mit Kitas sind vor allem in Ländern mit niedriger Frauenerwerbsquote wichtig. Dazu gehören beispielsweise Irland, Tschechien und Rumänien. Unternehmen, die flexible Arbeitszeiten und mobiles Arbeiten anbieten, können bei der Generation Z punkten.

  • Arbeitskräfte in der EU werden rarer

    Besonders exportstarke Länder leiden unter Fachkräftemangel. Verstärkt werden Arbeitskräfte aus Drittstaaten angeworben. Aber es lassen sich noch andere Potenziale heben.

    Die Arbeitsmärkte in der EU sind angespannt. Die EU-weite Quote der Jobsuchenden ist von 7 Prozent 2020 auf 5,8 Prozent 2023 gesunken. Besonders niedrig war die Arbeitslosenquote 2023 bei Menschen mit Hochschulbildung mit 3,8 Prozent und bei solchen mit Berufsausbildung mit 4,8 Prozent. 

    Generell leiden exportstarke, Leistungsbilanzüberschüsse erwirtschaftende Länder unter Personalmangel. Die EU-weit niedrigsten Arbeitslosenquoten hatten 2023 Hochlohnländer wie Deutschland, die Niederlande und Irland, aber auch Polen, Tschechien und Slowenien, wo das Verdienstniveau geringer ist. Selbst in Ländern mit einer überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote wie Spanien oder Finnland klagen Unternehmen über einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften.

    Dieser wird in den nächsten Jahren zunehmen, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. In allen 27 EU-Ländern lag die Geburtenrate pro Frau 2022 bei unter zwei Kindern. Einer Prognose der Europäischen Kommission zufolge geht die Anzahl der Erwerbsfähigen zwischen 20 und 64 Jahren in der EU von 2023 bis 2030 von 264 Millionen auf 258 Millionen zurück.

    Regionale Potenziale nutzen

    In den meisten Ländern gibt es regionale Unterschiede. In Frankreich, Italien oder der Slowakei konzentrieren sich eine hohe Wirtschaftskraft und Fachkräftemangel auf einige Landesteile, während andere Regionen strukturschwach sind. Solche Brain-Drain-Regionen können für Investoren interessant sein, weil die Produktionskosten dort meist attraktiv sind. Die AHK Polen zum Beispiel rät deutschen Unternehmen, sich auch jenseits der Ballungsräume in den ostpolnischen Regionen umzuschauen.

    Arbeitsmärkte in Mitteleuropa sind leergefegt

    Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein Wettbewerbsvorteil

    Aber es gibt noch ungenutzte Reserven am Arbeitsmarkt. Die Erwerbsquoten variieren in den einzelnen Staaten zum Teil stark. Ein Grund ist die unterschiedliche Teilhabe von Männern und Frauen am Arbeitsleben. Viele qualifizierte weibliche Arbeitskräfte sind für einige Jahre nicht im Beruf, da sie sich um die Kinderbetreuung kümmern. Angebote wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten oder Kooperationen mit Kinderbetreuungsstätten können das Einstellungspotenzial auch in angespannten Arbeitsmärkten erhöhen.

    Wenig Arbeitsuchende und gleichzeitig eine stark unterdurchschnittliche Beschäftigungsrate von Frauen wiesen 2023 Irland, Malta, Polen, Rumänien und Tschechien auf. In anderen Ländern ist die Berufstätigkeit von Männern und Frauen fast gleich hoch: Eine Diskrepanz von unter 5 Prozent gab es 2023 in Estland, Finnland, Litauen und Schweden.

    Besonders in Skandinavien spielt die Familienorientierung vor allem bei Männern eine größere Rolle als in Deutschland. Laut Marcus Honkanen von der deutsch-finnischen Personalberatung Nordic Minds ist es auch unter männlichen Geschäftsführern und Führungskräften üblich, Elternzeit zu nehmen oder von zuhause aus zu arbeiten. 

    Auch jenseits von Familienpflichten: Die jüngere Generation legt viel Wert auf die Work-Life-Balance. Aktuelle Studien vom Personaldienstleister Randstad oder dem Jobportal Stepstone zeigen, dass Unternehmen mit flexiblen Arbeitszeitangeboten und mobilem Arbeiten bei der Generation Z europaweit punkten.

    Mangelnde Mobilität ausgleichen

    Arbeiten im Homeoffice bietet noch einen Vorteil: In Ländern wie Ungarn, Kroatien, Litauen oder auch Frankreich und Schweden sind die Arbeitnehmenden oft wenig mobil. Homeofficeangebote vergrößern den Einzugsbereich, um Personal zu finden. Wo das Arbeiten von zuhause aus nicht möglich ist, können Unternehmen ihre Beschäftigten mit Pendlerbussen oder Fahrkostenzuschüssen unterstützen. Der Automobilzulieferer Hella bietet an seiner Produktionsstätte in Litauen zum Beispiel für seine Beschäftigten einen Sammelfahrdienst an.

    Jugend- und Langzeitarbeitslose qualifizieren

    Schulungskonzepte nach deutschem Vorbild können ein entscheidendes Plus bei der Arbeitnehmersuche sein. Laut Eurostat war die Arbeitslosenquote der 15- bis 24-Jährigen mit 14,3 Prozent in der EU im August 2024 mehr als doppelt so hoch wie die der gesamten Erwerbsbevölkerung. In Spanien, Portugal oder Schweden lag die Quote weit über dem Durchschnitt. 

    Viele Arbeitsuchende sind für die offenen Stellen nicht hinreichend qualifiziert. In Frankreich bieten daher Großunternehmen wie Hermès, Schneider Electric oder Saint-Gobain eigene Ausbildungsgänge an. In Kroatien werden häufig Mitarbeitende frisch von der Universität zwischen sechs und zwölf Monate unternehmensintern aus- und weitergebildet. Unternehmen können auch mit Bildungseinrichtungen kooperieren, um Nachwuchs zu finden. Auch einige Auslandshandelskammern unterstützen die örtlichen Stellen zusammen mit ihren Mitgliedern beim Aufbau einer dualen Berufsausbildung.

    Der Anteil der Langzeitarbeitslosen, die über ein Jahr ohne Arbeit waren, ist in den letzten zehn Jahren zwar gesunken. Im Jahr 2023 betrug er im EU-Durchschnitt 37 Prozent, in der Slowakei jedoch 67 Prozent, in Italien und Griechenland jeweils 56 Prozent. Auch hier helfen kreative Lösungen: So bietet Rohlig SUUS Logistics, einer der größten Logistikdienstleister in Polen, Personen im fortgeschrittenen Lebensalter ein zweimonatiges Umschulungsprogramm an.

    Personal aus Drittstaaten wird zunehmend wichtig

    Die Lücken auf den europäischen Arbeitsmärkten lassen sich damit indes kaum schließen. Daher werben viele Länder verstärkt Personal außerhalb der EU an. In Spanien oder Portugal stehen Arbeitskräfte aus Lateinamerika hoch im Kurs, weil es hier kaum Sprachbarrieren gibt. In Mittelosteuropa stammen viele ausländische Beschäftigte aus der Ukraine. 

    Auch die Fachkräfteimmigration aus Asien ist ein Thema. So stellen Arbeitgeber in Italien und Malta Personal vom indischen Subkontinent, in Bulgarien zudem aus Zentralasien ein. In Tschechien dominieren Vietnam, die Mongolei und Indien als Herkunftsstaaten. Hier sollten Firmen lokale Netzwerke suchen und gegebenenfalls mit den Arbeitsämtern vor Ort kooperieren.

    Nähere Informationen zu ausgewählten Ländern

    Wie unterscheiden sich die Arbeitsmärkte in den einzelnen EU-Staaten? Zu zehn Ländern finden Sie hier weitere Informationen.

    Von Regina Wippler, Torsten Pauly | Bonn, Mailand

  • Löhne ziehen weiter an

    Die Arbeitsproduktivität und die Lohnkosten nähern sich in mittel- und südosteuropäischen Märkten dem Mittel der EU an. Es bleiben aber große Unterschiede bestehen.  

    Bei der Entscheidung über einen Investitionsstandort ist neben der Fachkräfteverfügbarkeit auch die Höhe der Arbeitskosten - und wie sich diese in naher Zukunft entwickeln werden – ein wesentlicher Faktor. Aufschluss über die zu erwartenden Bruttostundenlöhne geben unter anderem die Prognosen der Europäischen Kommission.

    Die Bruttostundenlöhne sind von 2020 bis 2023 EU-weit um nominal 12 Prozent gestiegen. Für 2024 und 2025 erwartet die Europäische Kommission weitere kräftige Nominallohnzuwächse um 4,9 Prozent beziehungsweise 3,5 Prozent. Diese sind auch ein Inflationsausgleich, denn die Reallöhne waren 2022 und 2023 um 2,5 Prozent sowie 0,6 Prozent gesunken. 

    Lohndruck trotz schwacher Konjunktur

    Selbst in Ländern, in denen Stellen aufgrund der schwächelnden Konjunktur abgebaut werden, bleibt der Lohndruck insgesamt bestehen - auch, weil es aufgrund des demografischen Wandels immer weniger verfügbare Arbeitskräfte gibt. 

    Zudem tragen die zum Teil massive Anhebung des Mindestlohnes und der Vergütung im öffentlichen Sektor in vielen Ländern zum Lohnauftrieb bei. So haben zum Beispiel Kroatien und Bulgarien den Mindestlohn 2023 und 2024 um insgesamt 20 Prozent und Polen um 34 Prozent angehoben. 

    Von 2020 bis 2023 waren die Bruttostundenlöhne in der Privatwirtschaft in Bulgarien und Litauen insgesamt um über 40 Prozent, in Rumänien und Ungarn um über 30 Prozent und in Estland, Irland, Kroatien, Lettland, Slowenien, der Slowakei und Tschechien um über 20 Prozent gestiegen.

    In vielen Hochlohnländern gab es in den letzten Jahren eine stärkere Lohnzurückhaltung. In Belgien, Luxemburg und Österreich sind die Nominallöhne von 2020 bis 2023 dagegen stärker als im EU-Schnitt gestiegen. Der Grund ist die Lohnindexierung: Die Arbeitnehmerverdienste steigen dort entsprechend der allgemeinen Preisteuerung.

    In Hauptstädten sind Arbeitskräfte am teuersten

    Wenig überraschend sind die Löhne in den Hauptstädten und ihrem Umland im nationalen Vergleich am höchsten. Dies liegt unter anderem daran, dass sich hier viele große, internationale und damit finanzstarke Unternehmen, Banken und Versicherer niedergelassen haben. Bei der Entscheidung über den Investitionsstandort kann es daher sinnvoll sein, sich auch abseits der Hauptstädte umzuschauen. 

    Allerdings sind im europäischen Vergleich die Lohnunterschiede zwischen Hauptstadt und den anderen Regionen mal größer, und mal kleiner. So haben die nordischen Länder Schweden, Dänemark und Finnland nur geringe regionale Lohnunterschiede. Grund ist die dort charakteristische starke Tarifbindung. Die Tarifverträge werden alle zwei bis drei Jahre neu verhandelt.

    Arbeitsproduktivität gleicht sich tendenziell an 

    Auch die Arbeitsproduktivität hat sich in Mitgliedsstaaten mit einem unterdurchschnittlichen Ausgangsniveau dem EU-Mittelwert in den letzten Jahren angenähert. Zwar hat Irland von 2014 bis 2023 dank exportorientierter ausländischer Investoren die stärkste Verbesserung der Arbeitsproduktivität je Beschäftigten in Bezug auf den EU-Durchschnitt verzeichnet. Es folgen jedoch Rumänien, Bulgarien, Polen, Lettland, Litauen und Tschechien.

    In Italien und Malta waren die Löhne 2023 geringer als in der Gesamt-EU, die Arbeitsproduktivität hingegen höher. In Litauen, Polen, Portugal, Rumänien, Slowenien und Tschechien lag die Arbeitsproduktivität 2023 bei 80 Prozent bis 90 Prozent des EU-Durchschnitts. Gleichzeitig lagen die Bruttostundenlöhne in Portugal und Tschechien bei unter 60 Prozent, in Litauen und Polen bei unter 50 Prozent und in Rumänien nur bei 35 Prozent des EU-Mittelwertes. Das mit 29 Prozent des EU-Niveaus niedrigste Lohnniveau verzeichnet Bulgarien, wo die Arbeitsproduktivität 2023 mit 57 Prozent des EU-Schnitts ebenfalls deutlich höher war.

    In Deutschland war die in einer Arbeitsstunde geschaffene Bruttowertschöpfung 2022 im Schnitt um 20,80 Euro höher als der dafür gezahlte Bruttostundenlohn. Damit lag Deutschland in der EU auf Rang zehn. Eine noch höhere Differenz zugunsten der Bruttowertschöpfung hatten Irland, Belgien, Dänemark, Luxemburg, Schweden, die Niederlande, Österreich, Finnland und Italien. Eine um weniger als 10 Euro höhere Bruttowertschöpfung hatten Ungarn, Litauen, Lettland, Estland, Bulgarien, Portugal, Rumänien, Griechenland Slowenien und Kroatien. 

    Hohe Wertschöpfung generiert hohe Löhne

    Nähere Informationen zu ausgewählten Ländern

    Wie unterscheiden sich die Arbeitsmärkte in den einzelnen EU-Staaten? Zu zehn Ländern finden Sie hier weitere Informationen.

    Von Torsten Pauly, Regina Wippler | Mailand, Bonn

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