Branche kompakt | Frankreich | Chemische Industrie
Nachhaltigkeit in der Chemieindustrie
Branchenunternehmen intensivieren ihre Investitionen in Dekarbonisierung und Energieeffizienz. Die Kosten der Transformation belasten kleinere Unternehmen.
11.10.2024
Von Frauke Schmitz-Bauerdick | Paris
Die Chemieindustrie erzeugt gut ein Viertel der Klimagase der gesamten französischen Industrie. Damit steht die Branche im Fokus von Dekarbonisierungsoffensiven. Die Stratégie Nationale Bas-Carbone aus dem Jahr 2021 sowie die Branchenroadmap Dekarbonisierung sieht bis 2030 eine Rückführung der Treibhausgasemissionen um mindestens 26 Prozent gegenüber 2015 vor. Die garantierten Einsparungen sollen damit 5,7 Megatonnen CO₂-Äquivalent erreichen. Im Rahmen der freiwilligen Selbstverpflichtung stellt die Branche eine zusätzliche Reduktion des Treibhausgastausstoßes und damit eine Gesamtreduktion um 37 bis 49 Prozent bis 2030 in Aussicht.
Zukunft staatlicher Förderungen ist unsicher
Im November 2023 hat die Regierung eine weitergehende Förderung der Dekarbonisierung der Chemieindustrie angekündigt. So will sie die Dekarbonisierung der 50 größten industriellen Treibhausgasemittenten mit insgesamt 5 Milliarden Euro unterstützen. Die staatliche Gesamtfinanzierung der Dekarbonisierung der herstellenden Industrie erreicht damit nach Regierungsankündigungen 10,6 Milliarden Euro. Ob diese Ankündigungen aber eingehalten werden können, ist angesichts des Regierungswechsels und wachsender Sparzwänge offen. Laut Schätzung der Regierung belaufen sich die erforderlichen Gesamtinvestitionen für die Dekarbonisierung auf 50 bis 70 Milliarden Euro.
Kleine und mittlere Unternehmen erhalten Hilfen über Förderprogramme der Umweltagentur Ademe. Für Investitionen in Dekarbonisierung, Energieeffizienz und Wasserstoff stellt Ademe im Rahmen der Programme Decarb IND und DECARB IND+ Hilfen von bis zu 200 Millionen Euro zur Verfügung. Der Fonds Chaleur unterstützt Effizienzsteigerungen bei Wärme-/Kälteerzeugung und Energierückgewinnung.
Transitionsverträge nehmen Regierung und Unternehmen in die Pflicht
Im Zentrum der Bemühungen zur Dekarbonisierung der Chemieindustrie steht die Transformation der 16 größten Treibhausgasemittenten der Branche. Ende November 2023 hat die Regierung mit Unternehmen wie TotalEnergies und Borealis eine jeweils individuelle Dekarbonisierungsstrategie abgeschlossen. Ziel ist, den Treibhausgasausstoß der Chemiebranche zwischen 41 und 49 Prozent zu reduzieren. Hierbei setzen die "Contrats de Transition Écologique de l'Industrie" (Vertrag über die ökologische Transformation der Industrie) auf eine Steigerung der Energieeffizienz, die Elektrifizierung der Produktion unter verstärktem Einsatz dekarbonisierten Wasserstoffs sowie die CO2-Abscheidung und Speicherung.
Gruppe | Standort | Produktion | CO2-Ausstoß 2015 | Reduzierungsziel |
---|---|---|---|---|
Naphtachimie | Lavéra | Olefine | 1.468.000 | 15 - 24 |
Borealis | Grandpuits | Ammoniak und Düngemittel | 726.197 | 42 - 56 |
Borealis | Grand-Quevilly | Ammoniak und Düngemittel | 579.758 | 65 - 82 |
Versalis | Mardyck | Olefine | 643.720 | 19 - 36 |
Humens | Laneuville-devant-Nancy | Karbonate | 609.217 | 60 |
Alsachimie | Chalampé | Organische Chemie | 548.930 | 37 |
LyondellBasell | Berre | Basischemie | 1.217.000 | 35 |
TotalEnergies | Gonfreville, Fezin, Donges | Olefine | 6.000.000 | 50 |
Yara | Le Havre | Ammoniak und Düngemittel | 750.000 | 39 - 73 |
Petroineos | Lavéra | Olefine | 1.561267 | 24 - 31 |
Neben einer finanziellen Förderung verlangt die Chemieindustrie weitergehende Garantien, insbesondere die Versorgung mit hinreichendem und preislich wettbewerbsfähigem Strom. Zudem fordert die Branche den Abbau eines als überbordend komplex empfundenen Systems an Reglementierungen. Auch technologische Hindernisse müssen aus dem Weg geräumt werden. Bislang fehlt es noch an einer umfassenden Wasserstoffinfrastruktur. Eine Vielzahl der angedachten Reduzierungstechnologien sind in der Erprobungsphase und müssen erst in die industrielle Anwendung gehen. Zudem halten sich die Banken nach Unternehmensaussagen noch zu sehr zurück, Dekarbonisierungsprojekte zu finanzieren.
Großkonzerne investieren in die grüne Transformation
Die Transformation der Chemieindustrie wird unter anderem durch den Innovationsplan France 2030 mitgetragen. Nach Auskunft von France Chimie haben die Förderprogramme mehr als 250 Projekte mit einem Gesamtfördervolumen von 5 Milliarden Euro in der Chemiebranche angestoßen oder beschleunigt. Die Dekarbonisierung des Sektors steht bei Förderprojekten im Vordergrund.
Unabhängig von staatlichen Förderungen entwickeln große Chemieunternehmen Speziallösungen, um die Transformation in Richtung klimafreundliche Produktion voranzutreiben. So hat sich der französische Gaskonzern Air Liquide im Juli 2023 mit dem texanischen Unternehmen KBR zusammengeschlossen, um eine Technologie zur Produktion CO₂-armen Ammoniaks zu entwickeln. Mittelfristig ist diese Kooperation auf die Produktion grünen Wasserstoffs auf Ammoniakbasis ausgerichtet. Bereits im März 2023 hatte Air Liquide angekündigt, hierfür im Hafen von Antwerpen eine Pilotanlage zum Cracken von Ammoniak im industriellen Maßstab aufbauen zu wollen.
Arkema, einer der Chemieriesen des Landes, hat im Juli 2022 angekündigt, bis 2030 bis zu 400 Millionen Euro in Klimatechnologie zu investieren. Der belgische Chemiekonzern Solvay plant, seine Natriumkarbonatproduktion in Dombasle in Kooperation mit Veolia auf Ersatzbrennstoffe umzustellen.
TotalEnergies startet Großausschreibung für Wasserstoff
Der Energiekonzern TotalEnergies hat im September 2023 einen Auftrag über den Ankauf von 500.000 Tonnen grünen Wasserstoffs pro Jahr ausgeschrieben. Eine erste Liefervereinbarung über die Versorgung mit 70.000 Tonnen jährlich hat TotalEnergies im Juni 2024 mit dem Lieferanten Air Products abgeschlossen. Bereits im September 2023 hatten TotalEnergies und Air Liquide eine separate Vereinbarung unterzeichnet, die die langfristige Versorgung von TotalEnergies Raffinerie- und Petrochemieplattform in der Normandie mit grünem und kohlenstoffarmem Wasserstoff absichert. Der Energieriese will hierdurch die Raffinerieprozesse in seinen sechs europäischen Raffinerien dekarbonisieren, um ab 2030 pro Jahr 5 Millionen Tonnen CO₂ einzusparen.
Dekarbonisierung als Wettbewerbsvorteil
Außerhalb bereits angeschobener Projekte halten sich Unternehmen angesichts hoher Finanzierungskosten und der schwachen Branchenkonjunktur mit Neuinvestitionen zurück. Das Marktforschungsinstitut Xerfi aber geht davon aus, dass Branchenunternehmen keine andere Wahl haben, als ihre Transformation in Richtung Dekarbonisierung voranzutreiben. Nur so könnten auch energieintensive Sektoren international wettbewerbsfähig bleiben.