Der Chemiesektor wartet auch im Jahr 2024 auf Erholung. Das Wettbewerbsumfeld bleibt schwierig. Die Branche fordert von der EU und der Regierung stärkere Unterstützung ein.
Nach einem schwierigen Jahr 2023 mangelt es auch im Jahr 2024 an Wachstumsimpulsen. Der Branchenverband France Chimie erwartet für das Gesamtjahr 2024 eine Steigerung des Produktionsvolumens von lediglich 1 Prozentpunkt. Die französische Chemieindustrie leidet unter einer international schwachen Nachfrage und hohen Produktionskosten. Internationale Überkapazitäten entleeren sich auf dem europäischen Markt und verschärfen die Wettbewerbslage. Die Schwäche wichtiger Abnehmerindustrien wie der Bau- und Kfz-Branche behindert einen kräftigen Aufschwung.
Im 1. Halbjahr 2024 hat sich die konjunkturelle Lage leicht verbessert, was auch der jährlichen Lageraufstockung bei den Abnehmern geschuldet ist. Die Branche steigerte ihr Produktionsvolumen in den ersten vier Monaten um 3,6 Prozent. Zur 2. Jahreshälfte aber verpuffte dieser Effekt. Im Juli 2024 lag der Produktionsindex laut Statistikamt Insee mit 92 Punkten nach wie vor unter dem langjährigen Mittel.
Angesichts der schwachen konjunkturellen Lage plant die Mehrheit der Branchenunternehmen strukturelle Sparmaßnahmen, so der Branchenverband France Chimie. Er erwartet für 2024 einen Rückgang von 40 Prozent bei Investitionen in die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Unternehmen beschränken sich angesichts schwacher Wachstumsaussichten auf Investitionen in Wartung und Instandhaltung. Dabei sind die Aufgaben, die vor der Chemieindustrie liegen, enorm. So müssten Unternehmen dringend die Dekarbonisierung und Innovation ihrer Produktion angehen.
Um die Aufgaben der Zukunft meistern zu können, verlangen französische Unternehmen Unterstützung durch Regierung und EU. Deregulierung, eine verlässliche und wettbewerbsfähige Energieversorgung und eine konsequentere und umfangreichere staatliche Förderung sauberer Technologien sind nur ein Teil der Forderungen, die auch französische Chemieunternehmen an die EU richten. Ob aber die neue, erst im September konstituierte französische Regierung auf diese Forderungen eingehen will und wird, bleibt abzuwarten.
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Rückgang der französischen Produktion (Volumen) von Pestiziden und Agrochemie im Jahr 2023.
Chemiebranche im Umbruch
Der Marktanalyst Xerfi sieht die Chemiebranche vor einer tiefgreifenden Transformation. Der Chemiesektor wird sich nicht nur auf massive Nachfrageveränderungen einstellen müssen, die die Energiewende und die Elektrifizierung der Wirtschaft mit sich bringen. Bereits jetzt orientieren sich erste Branchenunternehmen wie Ifpen, Eastman oder Solvay um, auf Geschäftsfelder wie das chemische Recycling von Wertstoffen, Metallen und seltenen Erden. Auch die Produktion von biobasierten Kunststoffen gewinnt an Schwung. Zudem sind Chemieunternehmen branchenübergreifend gezwungen, verstärkt in Energieeffizienz und Dekarbonisierung zu investieren. Eine bessere Kohlenstoffbilanz dürfte angesichts des neuen EU- CO2-Grenzausgleichssystems und steigender Emissionspreise in Zukunft ein Element sein, die Wettbewerbsposition zu verbessern.
Gerade die energieintensive Basischemie sowie die mineralische und organische Chemie kämpfen mit einer schwierigen Wettbewerbslage. Auch die Pflanzenschutz- und Düngemittelindustrie durchlaufen eine Umbruchphase. Die auf europäischer Ebene vorangetriebene Tendenz hin zu einer Landwirtschaft mit weniger Düngemitteln und Pestiziden wird das Marktumfeld für Produzenten herkömmlicher Produkte verschlechtern.
Kosmetiksektor stützt die Chemieexporte
Die Exporte von chemischen Produkten sind im 1. Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 2 Prozent zurückgegangen und erreichten nur noch 25,9 Milliarden Euro. Deutlich besser entwickelte sich die in Frankreich starke Sparte der Parfum-, Seifen-, Wasch- und Körperpflegemittelchemie, die im 1. Halbjahr 2024 trotz aller Widerstände Ausfuhrsteigerungen in Höhe von 8,2 Prozent erwirtschaften konnte. Mit Ausfuhren in Höhe von knapp 13 Milliarden Euro entfielen knapp 33 Prozent der chemischen Gesamtausfuhren auf den expandierenden Kosmetiksektor.
Branche fordert Unterstützung ein
Die Stimmung unter den Branchenunternehmen bleibt auch im Jahr 2024 schlecht. Das Geschäftsklima in der Chemieindustrie verharrt laut Statistikamt INSEE seit Juli 2022 im negativen Bereich. Die schwache nationale und internationale Nachfrage bereitet den Unternehmen Sorge. Laut Banque de France lagen die Kapazitätsauslastungen zwischen August 2023 und Juli 2024 konstant unter 75 Prozent, ein Wert, der nach Ansicht von France Chimie nicht wirtschaftlich tragfähig ist. Auch die Auftragseingänge sind seit Januar 2023 gleichbleibend schwach und lagen im Juli 2024 bei 16 Punkten unter dem Mittelwert.
Zwar sinken die Produktionskosten wieder und lagen im Juli 2024 laut dem Produktionskostenindex des Statistikamts Insee bei 112 Punkten. Allerdings ist das Kostenniveau immer noch deutlich höher als noch vor dem Ausbruch des Ukrainekriegs.
Die Branche fürchtet, an Konkurrenzfähigkeit gegenüber asiatischen und nordamerikanischen Wettbewerbern zu verlieren. Sie fordert zunehmend vehement weitergehende nationale und europäische Hilfestellung und verweist auf staatliche Hilfen in den USA und der Volksrepublik China. Angesichts der starken ausländischen Konkurrenz und Kostennachteilen beginnen Unternehmen ihr Vertrauen in den französischen Markt zu verlieren und denken über Abwanderung an günstigere Produktionsstandorte nach.
Zukunft von Förderprogrammen ist offen
Um die vielschichtigen aktuellen Probleme angehen zu können, setzt ein Teil der Chemieunternehmen auf Investitionen in neue Geschäftsfelder, Energieeffizienz und Dekarbonisierung. Bislang erhielten Unternehmen durch die Regierung Unterstützung, insbesondere bei der Dekarbonisierung sowie der Forschung und Entwicklung. Auch die Start-up-Förderung sowie die Unterstützung innovativer kleiner und mittlerer Unternehmen stand auf der Prioritätenliste der nunmehr abgelösten Regierung weit oben. Inwieweit die neue Regierung diese Förderprogramme weiterführt, ist noch offen.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in Frankreich Investitionssumme in Millionen EuroAkteur/Projekt | Investitionssumme | Projektstand | Anmerkungen |
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FertigHy / Produktion von CO2-armen Düngemitteln, Hauts-de-France | 1.300 | Projektankündigung Mai 2024 | Inbetriebnahme geplant 2030 |
Eastman / Anlage für Kunststoffrecycling in Saint-Jean-de-Folleville (Normandie) | 1.000 | Genehmigungs- und Abstimmungsverfahren läuft | Baubeginn geplant Ende 2024, Inbetriebnahme geplant 2026 |
Elyse Energy / Anlage zur Produktion von E-Methanol in Roches-Roussillion (Isère) | 700 | Abstimmungsverfahren läuft | Baubeginn geplant 2026, Inbetriebnahme 2028 |
Hunan Changyuan Lico (China) /Axens (Frankreich) / Produktion von Kathodenaktivstoffen | 600 | Projektankündigung Mai 2024 | Baubeginn geplant 2027 |
Loop Industries (Kanada), SK Geo Centric (Korea), Suez (Frankreich) / Chemische Recyclinganlage für PET in Carling-Saint-Avold (Moselle): Kapazität 70.000 Tonnen pro Jahr | 450 | Projektankündigung Januar 2023; Abstimmungsverfahren läuft | Baubeginn 2025, Inbetriebnahme 2027 geplant |
Arkema, Umstellung auf klimafreundliche Produktion, Absenkung Klimagasausstoß um 46 Prozent gegenüber 2019 | 400 | Projekt im Juli 2022 vorgestellt | Fortlaufend bis 2030 |
Domo Chemicals / Installation einer grünen Wasserstoffproduktion in Saint-Fons (Rhône) | 100 | Fertigstellung 2027 | Durchführung durch Hynamics (Tochter EDF) |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2024
Von Frauke Schmitz-Bauerdick
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Paris