Wirtschaftsumfeld | Georgien | Nach der Wahl
Für Georgiens Wahlsieger hat Ausbau der Infrastruktur Priorität
In Georgien steuert die regierende Partei trotz anhaltender Proteste der Opposition auf eine weitere Amtszeit zu. Für die Wirtschaft hat sie sich ambitionierte Ziele gesetzt.
14.11.2024
Von Uwe Strohbach | Tiflis
In Georgien wird die Wiederwahl der Regierungspartei Georgischer Traum bei den Parlamentswahlen Ende Oktober 2024 von Betrugsvorwürfen begleitet. Auch nach der Neuauszählung ausgewählter Stimmbezirke, die das Ergebnis des Urnengangs am 26. Oktober 2024 bestätigte, erkennen die Opposition und die georgische Staatspräsidentin Salome Surabischwili den Ausgang der Wahlen nicht an.
Der Oppositionsblock will seine Mandate nicht antreten, weshalb für den Georgischen Traum der Weg frei sein dürfte, die im Vorfeld der Wahlen angekündigten ambitionierten Ziele in der neuen Legislaturperiode 2025 bis 2028 umzusetzen. Präsidentin Surabischwili und Opposition rechnen ebenso wie viele westliche Beobachter nach den Wahlen mit einer stärkeren Hinwendung zu Russland.
Wirtschaftsleistung soll bis 2028 um etwa 60 Prozent zulegen
Gleichzeitig ist zu erwarten, dass der Wahlausgang die wirtschaftliche Entwicklung kaum beeinflussen wird. Die Regierungspartei, die bereits seit 2012 in wechselnden Konstellationen an der Macht ist, setzte in ihrem Wahlprogramm wirtschaftspolitisch auf drei bereits bekannte Prioritäten: stabiles Wachstum, zügiger Ausbau der Infrastruktur und umfassende Förderung des Unternehmertums.
Die Regierung hat sich zum Ziel gesetzt, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2028 um nominal 60 Prozent gegenüber 2023 anzuheben, vor allem mit Hilfe umfangreicher öffentlicher Investitionen in die technische und soziale Infrastruktur. Zudem werden den Plänen zufolge privatwirtschaftliche Initiativen sowie strukturschwache Regionen stärker als bisher im Fokus stehen.
Kennziffer | Ist 2023 | Ziel 2028 |
---|---|---|
Bruttoinlandsprodukt (in Mrd. US$) | 30,5 | 47,0 |
Nominales BIP pro Kopf (in US$) | 8.218,8 | 12.800,0 |
BIP pro Kopf in Kaufkraftparitäten (in internationalen PPP-Dollar) | 24.681,3 | 36.000,0 |
Monatlicher Bruttomonatslohn (in US$) | 671,9 | 1.260,0 |
Arbeitslosenrate (in %) | 16,4*) | 4,0 |
Armutsrate (in %) | 11,8 | 4,0 |
Anzahl der von Armut betroffenen Personen | 440.000 | 150.000 |
Ausbau der Infrastruktur wird weiter vorangetrieben
Zu den wichtigsten Großprojekten gehören der neue Hauptstadtflughafen für rund 1,3 Milliarden US-Dollar (US$), ein Tiefseehafen, dessen erste Projektphase mit 600 Millionen US$ veranschlagt wird, und mehrere Verbindungsstraßen zu den Nachbarländern Armenien, Aserbaidschan und Türkei für zusammen 400 Millionen US$. Hinzu kommt der Energiesektor, für dessen Ausbau der Georgische Traum bis 2028 bis zu 4 Milliarden US$ an privaten und öffentlichen Investitionen erhofft.
Projekt | Anmerkung |
---|---|
Unterseestromkabel zwischen Georgien und Rumänien (1.195 km) | erste Machbarkeitsstudie liegt vor; Umsetzung bis 2030 |
Tiefseehafen Anaklia (1. Projektphase: jährlicher Umschlag von 600.000 Container) | Baustart steht bevor; Umsetzung bis 2029 |
Internationaler Flughafen in Vaziani nahe Tiflis (Abfertigungskapazität für den ersten Terminal: 10 Mio. Fluggäste pro Jahr) | Masterplan soll Ende 2024 vorliegen; Umsetzung bis 2029 |
Vierspurige Autobahn Tiflis – Batumi (internationale Trasse E-60, Teil des Mittleren Transportkorridors) | Umsetzung bis 2025 |
Verbindungsstraßen mit den Nachbarländern Türkei (Batumi-Sarpi), Armenien (Tiflis-Sadachlo) und Aserbaidschan (Tiflis-Rote Brücke) | Projekte in Vorbereitung; Baustart 2025 |
Klinikum für hochspezialisierte medizinische Dienstleistungen mit 700 Betten in Tiflis | Projektkonzept liegt vor |
Erweiterung der Universität Kutaissi auf bis zu 30.000 Studienplätze | Projektfrühstadium; Umsetzung bis zum Beginn des Studienjahres 2028/29 |
Fußball-/Rugbyarena für 70.000 Zuschauende in Vaziani bei Tiflis | Projektfrühstadium; eine Bewerbung ist geplant, um das Finale der UEFA Champions League 2028 auszurichten |
Aufstockung der Fördermittel geplant
Darüber hinaus plant die Regierungspartei, die Fördermittel für den Privatsektor und Start-ups deutlich aufzustocken. So soll beispielsweise das Programm "Produce in Georgia", das auf Firmengründungen und -erweiterungen abzielt, zwischen 2025 und 2028 mit rund 500 Millionen US$ ausgestattet werden. Für Vorhaben in der Ernährungswirtschaft, beginnend bei der Produktion über die Verarbeitung und Lagerung bis hin zum Vertrieb landwirtschaftlicher Erzeugnisse, winken zudem insgesamt 1,1 Milliarden US$ an Finanzierungshilfen. In regionale Förderprojekte werden bis zu 700 Millionen US$ fließen.
Arbeitslosigkeit deutlich angestiegen
Weitere Schwerpunkte der Regierenden in Tiflis sind mehr Beschäftigung und weniger Armut. Ihr Ziel ist es, mit rund 200.000 neuen Jobs die Erwerbslosen- und die Armutsquote bis 2028 auf jeweils 4 Prozent abzusenken.
Fraglich ist allerdings, wie dieses Ziel erreicht werden soll, da die Arbeitslosigkeit in den vergangenen zwölf Jahren der Regierung Georgischer Traum von 15 Prozent im Jahr 2012 auf zuletzt rund 16 Prozent gestiegen ist. Allein ein neues Förderprogramm für Kleinst- und Kleinunternehmer dürfte wohl kaum ausreichen.
Besonders für junge Menschen ist es sehr schwer, Arbeit zu finden. Hinzu kommt die große Zahl von Beschäftigten im informellen Sektor, wo die Löhne häufig unter dem Existenzminimum liegen.
Bevölkerung hat EU fest im Blick, Regierung wohl nur auf dem Papier
Eine deutliche Mehrheit von 80 bis 90 Prozent der georgischen Bevölkerung befürwortet den Beitritt des Landes zur EU. Die transatlantische Integration wurde bereits 2016 in der Verfassung verankert; seit 2023 ist das Land EU-Beitrittskandidat. Angesichts der Stimmenmehrheit für den Georgischen Traum dürften sich die Aussichten auf eine vertiefte EU-Integration und Stärkung der Demokratie jedoch eintrüben. Die Zeichen stehen eher auf Annäherung an Russland und Schwächung der Demokratie.
Auch die Regierungspartei vertritt offiziell eine proeuropäische und liberale Politik. Die EU-Mitgliedschaft Georgiens strebt sie an, bis 2030 zu verwirklichen. Bereits bis 2028 sollen mindestens 90 Prozent der Regularien an EU-Erfordernisse angepasst sein. In der Realität hat sich der Kurs des Georgischen Traums aber zusehends in Richtung Russland verschoben, einhergehend mit einer Bedrohung der Zivilgesellschaft. Die EU hat Mitte 2024 darauf reagiert, indem sie den Beitrittsprozess Georgiens vorerst stoppte und somit auch Finanzhilfen in Höhe von 121 Millionen US$ auf Eis legte.
Wie der Georgische Traum wieder zurück an den Verhandlungstisch mit der EU finden kann, bleibt abzuwarten. Gibt es keine Lösung, wäre die Enttäuschung der Bevölkerung groß. Auch besteht die Gefahr, dass Georgien als Wirtschaftspartner für westliche Unternehmen an Attraktivität verliert.
Land | Wert |
---|---|
Deutschland | 948 |
Italien | 373 |
Niederlande | 282 |
Frankreich | 277 |
Polen | 269 |
Georgien und Russland sind wirtschaftlich eng verbunden
Viele proeuropäische Georgierinnen und Georgier teilen die Kritik der EU an den engen Beziehungen zu Russland nicht. Im Gespräch mit Germany Trade & Invest Anfang November 2024 verwiesen georgische Unternehmer auf die unzureichenden Sicherheitsgarantien des Westens für ihr Land. Zudem betonten sie die Relevanz der Wirtschaftskontakte mit Russland. Private Rücküberweisungen, Tourismuseinnahmen und Exporterlöse machten in den Jahren 2022 und 2023 jeweils mehr als 12 Prozent des georgischen BIP aus.
Das große Nachbarland ist der wichtigste Abnehmer georgischer Erzeugnisse. Der Anteil Russlands an den georgischen Exporten (ohne Reexporte) 2023 betrug 24 Prozent. Georgien liefert dorthin vor allem Früchte und Gemüse sowie Getränke, wie Wein, Mineralwasser, Limonaden und Spirituosen.