Indien schöpft sein Potenzial für Windenergie bei Weitem nicht aus. Zuletzt ist das Interesse bei den Investoren wieder gewachsen. Die Regierung will Offshore-Projekte fördern.
Zubau soll sich 2022 auf 3 Gigawatt verdoppeln
Um ihre Klimaschutzziele zu erreichen, will die indische Regierung bis 2030 die Kapazitäten zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien auf 500 Gigawatt verdreifachen. Die Windindustrie hofft, dass damit auch wieder neuer Schwung in den seit 2017 schwächelnden Ausbau der Windenergie kommt. Der Zubau lag 2021 mit rund 1,5 Gigawatt deutlich unter den erwarteten 2,3 Gigawatt. JMK Research prognostiziert, dass im Finanzjahr 2022/2023 Windkraftanlagen mit einer Leistung von 3 Gigawatt ans Netz gehen dürften.
Einer Analyse der Unternehmensberatung EY zufolge befanden sich Anfang 2022 Windkraftprojekte mit einer netzgebundenen Kapazität von 14 Gigawatt in Indien in der Pipeline. Hinzu kamen weitere knapp 9 Gigawatt an Wind-Solar-Hybrid-Anlagen. Die Hälfte der reinen Windprojekte waren zum Zeitpunkt der Untersuchung in der Bauphase und sollen bis Ende 2024 ans Netz gehen. Vorhaben mit 2,6 Gigawatt befanden sich im Genehmigungsverfahren und der Rest in frühen Projektphasen. EY beziffert den Investitionsbedarf für die geplanten 14 Gigawatt an Neukapazitäten auf insgesamt 8,7 Milliarden US-Dollar (US$).
Windbranche hofft auf bessere Rahmenbedingungen
Statt des zu erwartenden jährlichen Zubaus von höchstens 4 Gigawatt bis 2027 müssten jedes Jahr neue Windanlagen mit 12 Gigawatt ans Netz gehen, um die anvisierten Windkraftkapazitäten von 140 Gigawatt bis 2030 zu erreichen. Zwar ist eine Verdreifachung des jährlichen Zubaus kurzfristig unwahrscheinlich. Die Branche hofft aber, mittel- bis langfristig zusätzliches Wachstumspotenzial aktivieren zu können. In den Jahren 2015 und 2016 gingen jeweils 5 Gigawatt an neuen Kapazitäten ans Netz. Änderungen beim Ausschreibungsverfahren, günstigere Finanzierungsoptionen und weniger Flaschenhälse im Stromnetz könnten das Interesse der Investoren und Projektentwickler erhöhen, so die Einschätzung der Indian Wind Power Association.
Das von den Branchenunternehmen erhoffte Ende der Projektvergabe durch Rückwärtsauktionen ist aber erst einmal vom Tisch. Einem entsprechenden Vorschlag des Ministry of New and Renewable Energy (MNRE) hatte das Ministry of Power Anfang November eine Absage erteilt. Das MNRE hatte angeregt, den Stromabgabepreis künftig im Rahmen eines geschlossenen Bieterverfahrens zu ermitteln. Die dabei eingereichten niedrigsten Angebotspreise könnten dann nicht mehr wie bisher in einer anschließenden Auktion von den Mitbewerbern nochmals unterboten werden. Damit dürften bei künftigen Ausschreibungen die bezuschlagten Angebotspreise auf dem niedrigen Niveau der Vorjahre bleiben.
Regierung will grüne Anleihen aufnehmen
Die Stromgestehungskosten haben sich seit dem Ende der Einspeisetarife 2017 auf durchschnittlich 0,03 US-Dollar (US$) je Kilowattstunde im Jahr 2021 halbiert, so die Angaben der International Renewable Energy Agency (IRENA). Bei den letzten Ausschreibungen im 2. Quartal 2022 wurden Abgabepreise von durchschnittlich 0,04 US$ pro Kilowattstunde erzielt, so eine Erhebung von JMK Research. Damit passen sich die bezuschlagten Angebotspreise wieder den für die Projektierer seit Jahresbeginn gestiegenen Investitionskosten an. Wie bei den Ausschreibungen 2021 waren die Projekte auch dieses mal nicht unterzeichnet. Ein Hinweis darauf, dass sich die Bedingungen für Investitionen in die Windkraft wieder gebessert haben. In den beiden Jahren zuvor fanden zwischen 20 und 50 Prozent der Projektvolumina keine Abnehmer.
Die Branche erhofft sich zudem positive Impulse von der Anfang November 2022 angekündigten Aufnahme von grünen Anleihen (Green Bonds) mit einem Volumen von knapp 2 Milliarden US$. Damit will die Regierung Vorhaben zur Erreichung der Klimaziele (National Determined Contribution; NDC) finanziell unterstützen - darunter auch Windenergieprojekte. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien zu beschleunigen, überlegt die Regierung, ab April 2024 den Bau neuer Kohlekraftwerke an Investitionen in Stromkapazitäten aus Wind, Solar, Wasserkraft und Biomasse zu koppeln. Die Investoren müssten beim Bau neuer Kraftwerke, Anlagen zur Stromerzeugung aus mindestens 25 Prozent erneuerbaren Energien (Wind, Solar, Wasserkraft, Biomasse) bauen.
Frischer Wind für Offshore-Projekte
Von den prognostizierten Neuinstallationen von 20 Gigawatt bis 2026 dürften drei Viertel durch die Ausschreibungsstelle der indischen Zentralregierung Solar Energy Corporation of India (SECI) vergeben werden, so die Analyse des GWEC. Weitere 3 Gigawatt entfallen auf die Bundesstaaten und private Versorger. Bei gewerblichen- und Industrieprojekten (Commercial and Industry; C&I) erwartet der Verband Neukapazitäten von 1,4 Gigawatt bis 2026. Angesichts der Marktreife bei Onshore-Wind dürften wie bislang vor allem lokale Hersteller und etablierte ausländische Lieferanten von Anlagen und Komponenten sowie Projektentwickler zum Zuge kommen. Aber auch für deutsche Anbieter von Ausrüstung und Dienstleistungen entlang der Wertschöpfungskette bietet Indiens Windindustrie Geschäftschancen.
Die Offshore-Windkraft hat zuletzt wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen. Das Potenzial wird auf 174 Gigawatt geschätzt, wird aber bislang noch nicht genutzt. Im Juli 2022 hat das MNRE ein neues Strategiepapier veröffentlicht, mit dessen Hilfe bis 2030 Offshore-Kapazitäten von 37 Gigawatt in den Küstenregionen von Gujarat und Tamil Nadu aufgebaut werden sollen. Damit geht es über die zuvor anvisierten 30 Gigawatt hinaus. In den ersten drei Jahren sollen jeweils 4 Gigawatt und dann jährlich 5 Gigawatt ans Netz gehen. Mitte November 2022 hat das MNRE die Ausschreibung über die Pacht des Meeresgrunds für den Bau der ersten 4 Gigawatt vor der Küste von Tamil Nadu gestartet.
Angesichts der etwa 30 Prozent höheren Investitionskosten je Megawatt im Vergleich zu Onshore, erwägt die Regierung, für Offshore-Projekte Finanzhilfen (Viability Gap Funding) über 3,4 Milliarden US$ bereitzustellen.
Von Boris Alex
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New Delhi