Wirtschaftsumfeld | Indien | Wirtschaftsstruktur
Indien strebt Wandel der Wirtschaftsstruktur an
Der Riesenmarkt lockt auch deutsche Firmen an. Die Regierung versucht, die industrielle Wertschöpfung zu steigern.
27.11.2023
Von Florian Wenke | Mumbai
Die indische Regierung hofft, dass das Land als großer Sieger aus dem Wettstreit um Investitionen im Zuge der Verlagerung von Lieferketten hervorgeht. Derzeit beschäftigt die Landwirtschaft noch die Mehrheit der Arbeitskräfte. Es werden Millionen Arbeitsplätze abseits der Subsistenzlandwirtschaft benötigt, um die junge und wachsende Bevölkerung in Lohn und Brot zu bringen.
Die geplante Industrialisierung ist nur eine der großen Herausforderungen. Eine weitere Mammutaufgabe ist der Wandel des Landes zu Klimaneutralität. Dieses Ziel möchte Indien bis 2070 erreichen.
Die mit dem Bevölkerungswachstum einhergehende Welle der Urbanisierung wird Indien ebenfalls prägen. Momentan leben rund ein Drittel der Menschen dort in Städten. Laut Vereinten Nationen sollen es bis 2030 rund 40 Prozent sein. Dafür sind große städtebauliche Maßnahmen nötig, die Themen wie Transport und Nahverkehr, aber auch Bauwirtschaft und Wasserversorgung betreffen.
Ausführliche Informationen zur Wirtschaft finden Sie in den Wirtschaftsdaten kompakt für Indien.
Die Marktgröße hat für deutsche Unternehmen viel zu bieten
Regelmäßig befragen die Deutsche Industrie- und Handelskammer und die Auslandshandelskammern deutsche Unternehmen zur Einschätzung der Lage in Auslandsmärkten. Zuletzt wurden die Ergebnisse der Umfrage im World Business Outlook für Herbst 2023 veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass deutsche Unternehmen die Marktgröße als dominanten Standortfaktor sehen. Die Nähe zum Kunden, verbunden mit Lokalisierungsanforderungen, sowie Kostenvorteile gehören ebenfalls zu den Punkten, die deutsche Unternehmen an Indien schätzen. Vor allem die regional vergleichsweise geringen Lohnkosten fallen ins Gewicht.
Zahlreiche Unternehmen hegen große Hoffnungen. Anlässlich eines Besuches im Oktober 2023 äußerte sich der Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau, Karl Haeusgen, zum Standort:
"Indien profitiert derzeit auch von den zunehmenden Sorgenfalten mit Blick auf die zukünftige Entwicklung in China. Die Themen Resilienz, Risikominderung und Diversifizierung lassen den Subkontinent immer attraktiver werden."
Allerdings gibt es auch kritische Stimmen. Die lähmende Bürokratie ist einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte beim Gespräch mit Unternehmensvertretern. Hinzu kommt eine mangelnde Berechenbarkeit der Verwaltung – oft werden Vorschriften oder Subventionsverfahren direkt nach Inkrafttreten wieder geändert. Außerdem existieren Verfahrensprobleme. So kann nicht immer damit gerechnet werden, dass den zuständigen Ansprechpartnern außerhalb von Metropolen die aktuellsten Verwaltungsverfahren bekannt sind. Die Lücke zwischen geltenden Regelungen und der konkreten Umsetzung kann in Indien groß sein. Daher ist es wichtig, sich vorab genau zu informieren und mit vertrauenswürdigen lokalen Partnern zusammenzuarbeiten.
Die regelmäßig von deutschen Unternehmen als mangelhaft kritisierte Infrastruktur wird derzeit ausgebaut. Stefan Halusa, Hauptgeschäftsführer der Auslandshandelskammer Indien, sagt dazu:
"Indien ist sehr an Investitionen aus Deutschland interessiert. Wir sehen Fortschritte bei den Investitionsbedingungen, etwa durch den Infrastrukturausbau und die Digitalisierung von Genehmigungsprozessen. Aus Sicht der Industrie wünschenswert bleibt der zügige Abschluss eines Investitionsschutz- und Freihandelsabkommen mit der EU."
Indien setzt auf stärkere Industrialisierung
Der Agrarsektor beschäftigt zwar das Gros der Arbeitskräfte, aber trägt – je nach Quelle – nur zwischen 16 und 19 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Der Dienstleistungssektor dominiert die Wirtschaft mit einem BIP-Anteil zwischen 49 und 54 Prozent. Ziel der Regierung ist die Stärkung des verarbeitenden Gewerbes. Bisher steuert dieses lediglich etwa 13 Prozent zum BIP bei. Das Regierungsziel liegt bei 25 Prozent.
Sektoren | Anteil an Bruttowertschöpfung 2022/2023 | Anteil an den Beschäftigten 2022/2023 1) |
---|---|---|
Finanzdienstleistungen, Immobilienwirtschaft und sonstige Dienstleistungen | 21,4 | 8,0 2) |
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 18,4 | 36,4 |
Handel, Transport, Telekommunikation und Gastgewerbe | 18,0 | 22,8 |
Verarbeitendes Gewerbe | 14,7 | 8,8 |
Öffentliche Verwaltung | 13,9 | 2,2 |
Baugewerbe | 8,2 | 17,5 3) |
Energieversorgung (inklusive Gas- und Wasserversorgung) | 3,0 | 0,3 |
Bergbau | 2,4 | 0,3 |
Unter dem Schlagwort "Atmanirbhar Bharat" (frei übersetzt: Wirtschaftlich unabhängiges Indien) will die Regierung die Industrieproduktion im Land stärken und unabhängiger von Importen werden. Mit den lokal hergestellten Gütern soll vornehmlich der Binnenmarkt versorgt werden. Gleichzeitig hofft Indien, auch als Standort für exportorientierte Unternehmen attraktiver zu werden. Um dies zu erreichen, werden Subventionen wie die "Production-Linked Incentives" bereitgestellt. Zudem werden Importe durch Zölle und nichttarifäre Handelshemmnisse unattraktiver gemacht.
Die Automobilbranche gewinnt an Bedeutung und gerade das Zweiradgeschäft entwickelt sich dynamisch. Hinzu kommt eine leistungsfähige chemische Industrie mit der auf Generika spezialisierten Pharmabranche als Teilbereich. Der Maschinenbau wächst ebenfalls. Hinzu kommt Indiens Stärke als Standort für IT-Dienstleistungen. So setzen Firmen branchenübergreifend immer häufiger auf digitale Forschungs- und Entwicklungszentren im Land.
Regionale Unterschiede sind ausgeprägt
Wirtschaftliche Uneinheitlichkeit kennzeichnet die Landesteile. Der Süden, der Westen und die Hauptstadtregion New Delhi sind tendenziell stärker industrialisiert und wohlhabender als der Rest des Landes. Deutsche Unternehmen siedeln sich vornehmlich in Regionen rund um Mumbai, Pune, Bangalore, Chennai sowie New Delhi an. Insbesondere die Automobilindustrie, aber auch der Maschinenbau haben dort ihre Zentren.
Bedeutende Regionen sind zudem traditionelle Wirtschaftszentren wie Kolkata und die immer wichtiger werdenden Bundesstaaten Gujarat und Telangana.
Bundesstaat/Unionsterritorien | Anteil am BIP (in %) | BIP pro Kopf (in US$) 1) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|---|
Maharashtra 2) | 13,2 | 2.987 | 125 |
Tamil Nadu | 8,7 | 3.700 | 77 |
Uttar Pradesh | 8,3 | 1.156 | 235 |
Gujarat 2) | 8,3 | 3.311 | 70 |
Karnataka | 8,2 | 3.988 | 68 |
Westbengalen | 5,7 | 1.889 | 99 |
Rajasthan | 5,2 | 2.105 | 81 |
Madhya Pradesh | 4,9 | 1.844 | 86 |
Andhra Pradesh | 4,8 | 2.982 | 53 |
Telangana | 4,8 | 4.152 | 38 |
New Delhi | 3,8 | 5.916 | 21 |