Italien will seine Stärken wie Qualität, Herkunftsgarantie, nachgewiesene Inhaltsstoffe und umweltfreundliche Produktion besser ausspielen.
Anbau mit leichtem Rückgang
Während der Pandemie hielt sich die italienische Landwirtschaft vergleichsweise gut, litt im Lauf von 2022 dann aber verstärkt unter den deutlich gestiegenen Preisen für Energie, Düngemittel und andere Vorprodukte/Betriebsmittel. Auch die ungewöhnlich hohen Temperaturen und die Wasserknappheit machten den Agrarbetrieben zu schaffen. Im 3. Quartal 2022 nahm die vom Branchendienst Ismea abgefragte, ohnehin gedämpfte Zuversicht der Landwirte noch einmal ab. Während sich die Viehzucht weiter positiv entwickelte ist die Produktion des Ackerbaus im Jahr 2022 wahrscheinlich gesunken. Italien war im Jahr 2021, gemessen am Produktionswert, mit rund 61 Milliarden Euro der zweitgrößte Agrarproduzent der Europäischen Union (EU) hinter Frankreich.
Stärken in der nachhaltigen Produktion
Trotz der Herausforderungen durch Klima, Kosten und struktureller Bremsfaktoren, wie fragmentierter Unternehmerlandschaft und Schwächen im Export, ist das Wachstumspotenzial grundsätzlich aber gut. Italiens Landwirte besitzen Stärken bei der nachhaltigen Qualitätsproduktion, die in der nächsten Periode der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik 2023-27 (PAC) einen besonderen Schwerpunkt darstellt, was neue Wege für Finanzierungen eröffnen könnte.
Ein wichtiger Bereich ist die Energieerzeugung aus nachhaltigen Quellen. Hier schafft Italien gerade rechtliche Definitionen, Rahmenbedingungen und Fördermöglichkeiten für die Agrarvoltaik, die im Verwendungsplan für die Europäischen Sondermittel des Recovery Fonds Italiens eine größere Rolle spielt. Neben Solaranlagen werden laut Marktexperten Biogasanlagen einen Aufschwung erfahren. Gegenüber dem Informationsdienst Ismea gaben im 3. Quartal 2022 rund 30 Prozent der befragten Landwirte an, im kommenden Jahr in die Energieversorgung investieren zu wollen, davon 42 Prozent in erneuerbare Quellen. Auch die Bewässerung bleibt eine Herausforderung und wird hohe Investitionen erfordern, da Italien eine sehr unregelmäßige natürliche Bewässerung besitzt und häufig von Trockenheit oder Überschwemmungen betroffen ist.
Herkunfts- und Inhaltszertifikate angesagt
Ein wichtiger Schritt, das Potenzial der italienischen Landwirtschaft besser abzurufen und sich gleichzeitig vor den vielen Nachahmerprodukten (Italian Sounding) zu schützen, ist mehr nachweisbare Transparenz gegenüber dem Endverbraucher. Italien ist daher eine treibende Kraft innerhalb der EU und weltweit für mehr Zurückverfolgbarkeit von Inhaltsstoffen und Nahrungsmittelherkunft und insgesamt für Lebensmittelqualität und -sicherheit. Ein Instrument sind offizielle Zertifikate über die Herkunft von Produkten, bei denen Italien Weltmarktführer ist. Im Jahr 2021 waren laut dem Brancheninformationsdienst Ismea 845 italienische Produkte mit den von der EU anerkannten geschützten Herkunftszertifikaten DOC (Denominazione di origine protetta) und Igp (Indicazione geografica protetta) versehen, davon neben dem Wein auch 319 weitere Lebensmittel, und setzten rund 19,1 Milliarden Euro um, davon 10,7 Milliarden Euro im Ausland. Weltweit entfällt ein Viertel aller zertifizierten Lebensmittel auf italienische Waren.
Ein weiterer Trend ist es, Konsumenten besser über Inhaltsstoffe von Lebensmitteln zu informieren. Auf EU-Ebene setzt sich Italien gegen das von Frankreich vorgeschlagene Inhaltsstoff-Etikett Nutri-Score ein, das für zu allgemein gehalten wird. Stattdessen führte Italien 2020 das detailliertere Nutrinform Battery-Etikett im eigenen Land ein, das auch 2023 weiterläuft, und versucht, auch die EU in diese Richtung zu lenken.
Technologie für mehr Effizienz und Konsumentenschutz
Für mehr Transparenz sollen auch digitale Instrumente sorgen, zum Beispiel bei der Zurückverfolgbarkeit über Blockchain. Besonders die süditalienischen Olivenölproduzenten leiden stark unter aus Nordafrika importiertem und über spanische Importhäfen oft illegal als EU-Produkt deklariertem Olivenöl.
Auch das Interesse an digitalen Tools für die Datensammlung und -analyse steigt, um damit zum Beispiel die Auswirkung von Maßnahmen, Projekten und Förderprogrammen zu bewerten. Sensoren und Drohnen können zum Monitoring in der Wachstumsphase landwirtschaftlicher Erzeugnisse eingesetzt werden, künstliche Intelligenz für die Steuerung der Landmaschinen. Auch in der Bewässerung könnte Italien von fortgeschrittener, prognostizierender Technologie stark profitieren.
Vermehrt jüngere Akteure und Frauen
Noch immer sind italienische Landwirte unter den ältesten Europas. Aufgrund der meist kleinen, familiengeprägten Betriebe fällt der Übergang auf die nächste Generation schwer. Dennoch scheinen sich mit zunehmender Komplexität des Geschäfts und der zunehmenden Bedeutung digitaler Instrumente nach und nach mehr junge Akteure für die Landwirtschaft zu interessieren, darunter auch immer mehr Frauen. Dabei sehen sich die neuen Akteure nicht mehr nur als Landwirte, sondern als moderne Unternehmer, ein soziales Bild, das wohl erst noch Zeit braucht, bis es sich im traditionellen Italien vollständig durchsetzt.
Multifunktionale Betriebe
Italiens Landwirte wollen zudem eine ihrer schon länger etablierten Stärken ausbauen, und sich neben dem Lebensmittelanbau und -verkauf auch gleichzeitig weiteren ergänzenden Tätigkeiten widmen. Dazu zählen die Energiegewinnung durch Biogas- und Biomasseanlagen, PV-Anlagen und nicht zuletzt auch dem für Italien typischen Agriturismo. Dieser umfasst, je nach Ausgestaltung, Restaurants, Übernachtungsmöglichkeiten, Degustationsveranstaltungen, Kurse, Ausritte, Exkursionen, Trekking und weitere Aktivitäten. Im Jahr 2021 erwirtschafteten sich landwirtschaftliche Betriebe so 1,2 Milliarden Euro dazu. Rund 63,3 Prozent aller Gemeinden beherbergten Agriturismus-Betriebe. Die Gesamtzahl lag bei etwa 25.390.
Von Oliver Döhne
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Mailand