Branchen | Italien | Abfallentsorgung, Recycling
Italien baut Recycling aus
Italienische Investoren entwickeln neue Kreislauftechnologien für die Wasserstoff-, Chemie-, Kfz- und Modeindustrie. Die Recyclingquoten sind in Süditalien geringer als im Norden.
26.01.2024
Von Torsten Pauly | Mailand
Das größte italienische Entsorgungsprojekt mit einem Investitionsvolumen von 3,6 Milliarden Euro entsteht gerade in Mantua in der Lombardei. Dort baut das zum Energiekonzern Eni gehörende Chemieunternehmen Versalis eine Anlage zur chemischen Behandlung gemischter Kunststoffabfälle. Zum Einsatz kommt eine patentierte neuartige Technologie. Das Projekt erhält Fördergelder aus dem Innovationsfonds der EU.
Eni plant ein weiteres Projekt: Für 140 Millionen Euro will der Konzern eine Anlage bauen, in der Klärschlamm getrocknet wird, um daraus Phosphor und Energie zu gewinnen. Als Standort ist ein ehemaliges Raffineriegelände in Porto Marghera unweit von Venedig vorgesehen. Das Vorhaben befindet sich noch in der Genehmigungsphase und soll jährlich bis zu 190.000 Tonnen Klärschlamm behandeln.
Luxusmode wird wiederverwertet
Der Modehersteller Gucci baut an den toskanischen Standorten Scandicci und Campi Besenzio bis 2026 ein Zentrum zum Recyceln von Textilien und Leder auf. Geplant ist auch ein Entwicklungs- und Ausbildungszentrum, um die meist hochwertigen Stoffe erneut zu verwenden. Gucci unterhält in Italien Lieferbeziehungen zu 4.200 Branchenbetrieben.
In Imola entsteht ein auf die Automobilindustrie zugeschnittenes Recyclingzentrum für Karbonfaserstoffe. Der Standort liegt im Cluster Motor Valley, wo unter anderem Ferrari, Lamborghini und Maserati ansässig sind. Der Investor ist die Gruppe Herambiente. Diese will den Betrieb im Laufe von 2024 starten und die Technologie auf weitere Standorte für die Luftfahrtindustrie, den Schiffbau, die Materialforschung und andere High-Tech-Branchen ausdehnen.
Das ebenfalls zur Gruppe Herambiente zählende Unternehmen Hera Aliplast baut bis 2025 im unweit von Imola gelegenen Modena eine weitere Anlage zur Behandlung von Kunststoffabfall. Die Kosten hierfür belaufen sich auf 50 Millionen Euro.
Wasserstoffgewinnung aus Müll
Der italienische Anlagenbauer Maire Tecnimont will in Genua für 300 Millionen Euro eine Anlage bauen, in der Abfälle in Biomethanol umgewandelt werden. Daraus soll Wasserstoff gewonnen werden. Die Anlage soll 2026 in Betrieb gehen und jährlich bis zu 200.000 Tonnen Abfall verarbeiten, der größtenteils aus Japan kommt. Maire Tecnimont ist ein internationaler Anlagenbauer für die Öl- und Gasindustrie. Er gehört zum NextChem-Konzern, der sich auf nachhaltige Produktion von Chemikalien und Energie spezialisiert hat.
Eine weitere Anlage zur Wasserstoffproduktion aus Abfall plant NextChem mit dem Energiekonzern Eni im sizilianischen Gela. Diese soll ab 2026 jährlich aus 200.000 Tonnen Abfall 94.000 Tonnen Metanol und 2.500 Tonnen Wasserstoff erzeugen.
Noch im Stadium einer Machbarkeitsstudie ist ein drittes Vorhaben im toskanischen Empoli, das Abfall in Methanol und schließlich in Wasserstoff umwandelt. Dies will Maire Tecnimont zusammen mit der französischen Gruppe Suez bauen.
EU-Förderung für die Abfallbehandlung
Italien erhält aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU bis 2027 Fördergelder in Höhe von 2,1 Milliarden Euro für Projekte in der Kreislaufwirtschaft. Davon sollen 600 Millionen Euro explizit in innovative Leuchtturmprojekte mit großer Strahlkraft fließen. Die Aufbau- und Resilienzfazilität wurde 2021 zur Überwindung der Coronakrise durch innovative und nachhaltige Investitionen ins Leben gerufen.
Die Investitionen in den italienischen Abfallsektor waren bereits ohne EU-Fördermittel im europäischen Vergleich hoch und lagen 2021 nach den letzten verfügbaren Zahlen bei 27 Euro pro Einwohner. Dies ist mehr als der EU-Durchschnitt (19 Euro) und der achthöchste Wert unter den 27 Mitgliedstaaten.
Regionale Unterschiede bei der kommunalen Müllaufbereitung
Kommunaler Abfall in Italien wurde 2022 zu rund 65 Prozent recycelt. Die Rate ist in den nördlichen Regionen tendenziell deutlich höher als in den südlichen, sie schwankt zwischen 76,2 Prozent in Venetien und 51,5 Prozent auf Sizilien. Neben Sizilien haben auch die Regionen Latium mit der Hauptstadt Rom, Kalabrien, Kampanien, Ligurien und Molise hohen Nachholbedarf an Recyclinganlagen.
Region | Recyclingquote |
---|---|
Norditalien, darunter | 71,8 |
Ligurien | 57,5 |
Mittelitalien, darunter | 61,5 |
Latium | 54,5 |
Süditalien, darunter | 57,7 |
Molise | 58,4 |
Kampanien | 55,6 |
Kalabrien | 54,6 |
Autonome Region Sizilien | 51,5 |
Die Kosten für die kommunale Müllentsorgung sind im Land sehr unterschiedlich. Im Jahr 2022 fielen hierfür in Mittelitalien durchschnittliche Gebühren von 228 Euro je Einwohner an. In Süditalien waren es 202 Euro und in Norditalien 170 Euro.
Italien erfüllt schon jetzt die meisten Recyclingziele der EU für 2030
Das Abfallaufkommen ist in Italien insgesamt geringer als in vielen anderen europäischen Ländern. Im Jahr 2021 waren es 495 Kilogramm an Kommunalmüll pro Kopf. In der EU fielen im Schnitt 527 Kilogramm an und Deutschland brachte es im gleichen Jahr auf 620 Kilogramm.
Die Recyclingquoten sind in Italien bei den meisten Wertstoffen im europäischen Vergleich hoch. Im Jahr 2021 wurden dort 72,9 Prozent aller Verpackungen zur Wiederverwertung aufbereitet. In der EU insgesamt waren es nur 64 Prozent und in Deutschland 67,9 Prozent. Allerdings sind die italienischen Anteile je nach Abfallart unterschiedlich. Italien hat sich in Abstimmung mit der Europäischen Kommission Recyclingquoten gesetzt, die es 2030 erreichen will. Bei Wertstoffen Glas, Aluminium, Stahl und Holz wurden die Quoten 2022 bereits erreicht und teilweise deutlich übertroffen. Steigerungsbedarf gibt es dagegen bei Papier und Kunststoffen.