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Kambodscha zieht arbeitsintensive Fertigung aus dem Ausland an
Viele arbeitsaufwendige Industrien siedeln sich in Kambodscha an. Die Regierung hat hohe Ziele für die Modernisierung von Betrieben, aber der Weg ist noch weit.
20.03.2024
Von Thomas Hundt | Bangkok
Im März 2022 erfasste das kambodschanische Statistikamt 54.871 Betriebsstätten, die im verarbeitenden Gewerbe tätig sind. Davon sind nur 8.541 Betriebe bei Behörden registriert. Diese beschäftigen die Mehrzahl der insgesamt 1,1 Millionen Personen in dem Wirtschaftszweig. Mit 20 Beschäftigen je Betrieb lagen die Unternehmensgrößen deutlich über dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft mit vier Personen pro Betrieb. Einige Fabriken beschäftigen mehrere Tausend Arbeitskräfte.
Die Industrialisierung schreitet voran
Die inländische Wertschöpfung und die Produktivität der Arbeitskräfte sind gering, weil die Hersteller die meisten Vorprodukte aus dem Ausland beziehen. Dennoch erwirtschaftete das verarbeitende Gewerbe 2022 mit einer Bruttowertschöpfung von 5,4 Milliarden US-Dollar (US$) rund 18 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Damit ist das Regierungsziel von 20 Prozent bis zum Jahr 2025 fast erreicht.
Laut dem Strategiepapier "Cambodia Industrial Development Policy" der Regierung sollen bis 2025 innovative Industriesektoren gefördert und die Produktivität sowie die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe gestärkt werden. Die Strategie weist bereits Erfolge auf: So verdoppelten sich die Ausfuhren von 2015 bis 2022 und sie sind mittlerweile diversifizierter. Der Anteil von mittel- und hochtechnologischen Waren an den Exporten verharrt allerdings bei 9 Prozent.
Bekleidungsindustrie ist die wichtigste Exportbranche
Die meisten Industriebetriebe stellen Bekleidung, Schuhe und Reiseartikel im Auftrag ausländischer Marken her. Die dazu benötigten Garne, Gewebe und andere Vorstufenprodukte kommen oft aus dem Ausland, hauptsächlich aus China. Auch die Investoren stammen hauptsächlich aus dem Reich der Mitte, gefolgt von Geldgebern aus Hongkong und Taiwan.
Die gesamte Produktion wird exportiert – im Jahr 2022 waren es Waren im Wert von 12,6 Milliarden US$. Dies entsprach 57 Prozent der gesamten kambodschanischen Ausfuhren. Allerdings war die "Garment, Footwear and Travel Goods" (GFT)-Branche vor zehn Jahren dominanter, ihr Anteil an den Ausfuhren lag bei über 70 Prozent.
Die Exporte von GFT schrumpften im 1. Halbjahr 2023 um ein Fünftel gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Grund hierfür war, dass die beiden Hauptabnehmer, USA und Europa, weniger Aufträge wegen gesunkener Nachfrage vergaben – aber auch, weil USA und EU Kambodscha im Jahr 2020 wegen Verletzungen von Menschen- und Arbeitsrechten Handelsvorteile im GFT-Bereich entzogen haben.
Der Council for the Development of Cambodia meldet dennoch zahlreiche neue Investitionen im Bekleidungssektor. Die Behörde kann auf Antrag Investitionsvorhaben von Unternehmenssteuern befreien. Für qualifizierte Projekte können auch Grundstücke leichter erworben, mehr ausländische Beschäftigte eingestellt und weitere Vergünstigungen vergeben werden.
Hersteller anderer Waren ziehen nach
Die Anreize des Council for the Development of Cambodia und die günstigen Arbeitskosten ziehen auch andere arbeitsintensive Produktionen an. So haben Fahrradhersteller aus Taiwan schon seit längerer Zeit Fabriken in der Provinz Svay Rieng an der Grenze zu Vietnam errichtet, Produzenten aus den USA und Europa zogen nach. Die Industrie exportierte 2022 Fahrräder im Wert von 1 Milliarde US$ in alle Welt, viermal so viel wie zehn Jahre zuvor. Im Jahr 2022 war Kambodscha der größte Lieferant von nicht elektrischen Fahrrädern in die EU.
Japanische Kfz-Zulieferer produzieren Bauteile wie Kabelsätze und -bäume in Kambodscha. Auch Konzerne aus China haben mehrere Reifenfabriken errichtet – weitere folgen. Toyota investierte 2023 in eine 40 Millionen US$ teure Fabrik, die Geländefahrzeuge für den Inlandsmarkt montieren wird. Aus dem 20 Millionen US$ teuren Werk der RMA-Gruppe aus Thailand rollen seit 2022 Geländewagen von Ford. Auch Lampen, elektrische Geräte, Möbel und Spielwaren werden seit einigen Jahren vermehrt in Kambodscha zusammengebaut.
Günstige Arbeitskräfte ziehen ausländische Produktion an
Kambodscha ist für arbeitsintensive Produktionen ein alternativer Standort zu Thailand, China oder Vietnam. Die Arbeitskosten fallen nach Angaben der Japan External Trade Organization niedriger aus als in diesen Nachbarländern.
Es gibt zwar einen allgemeinen Mindestlohn, dieser gilt aber nur für Arbeitskräfte, die in der GST-Industrie arbeiten. Sie erhalten seit Januar 2023 mindestens 200 US$ pro Monat, im Vorjahr waren es 194 US$. Die durchschnittlichen Löhne der Werktätigen liegen über dem Mindestlohn.
Die Botschaft der USA berichtete Mitte 2023, dass die kambodschanische Regierung die Mindeststandards für die Beseitigung von Menschenhandel nicht vollständig erfüllt und keine nennenswerten Anstrengungen unternimmt, um dies zu erreichen. Auch Fälle von Kinderarbeit werden moniert.
Die Produktionsbedingungen in GFT-Fabriken werden von Mitarbeitern der International Labour Organization (ILO) inspiziert. Das ILO-Programm "Better Factories Cambodia" wird bis 2027 fortgesetzt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit verbessert die Arbeitsbedingungen in der Textil- und Bekleidungsindustrie. Ihre Maßnahmen zielen darüber hinaus auf den Energie-, Chemie- und Wassersektor ab.
Fachkräfte fehlen auch in Kambodscha
Der letzte publizierte "Global Competitiveness Report" des World Economic Forum aus dem Jahr 2019 bewertet die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Kambodscha nur auf Rang 106 von 140 Ländern. Die Schwächen liegen vor allem in der Leistungsfähigkeit der Institutionen und der Arbeitskräfte. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes und das Unternehmertum bewertet der Bericht indes relativ hoch. Von den 8,2 Millionen Erwerbspersonen im Land haben lediglich 8 Prozent eine Hochschulbildung oder eine zertifizierte berufliche Ausbildung. Höherwertige Aktivitäten benötigen besser ausgebildetes Personal.
Lücken bestehen auch in der technischen Infrastruktur. Schwachpunkte bei der Energieversorgung und im Verkehrswesen haben hohe Kosten für Strom, Transport und Logistik zur Folge.