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Wirtschaftsausblick | Libanon

Libanon steht vor einer Neuordnung

Libanons Wirtschaft richtet sich in der Talsohle ein. Solange ein Krieg mit Israel droht, bleiben sogar das politische und ökonomische Chaos in Warteposition.

Von Detlef Gürtler | Berlin

Top-Thema: Neuausrichtung nach dem Krieg

In der tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten ist der Libanon praktisch führungslos. Das Amt des Staatspräsidenten ist seit November 2022 verwaist, Ministerpräsident Najib Mikati ist seit Mai 2022 nur geschäftsführend im Amt. Gleiches gilt seit August 2023 für den Zentralbankgouverneur Wassim Mansouri. Durchgreifende Reformen in Staat und Wirtschaft, wie sie der Internationale Währungsfonds (IWF) zur Bedingung für einen Kredit gemacht hatte, sind so praktisch unmöglich. 

Allerdings könnte in den nächsten Monaten eine Neuordnung beginnen. Das wichtigste Hindernis in den letzten Jahren war der Machtanspruch der Hisbollah-Partei, die in Deutschland als Terrororganisation gilt. Sie will sich nicht mit der Nebenrolle als Vertreterin radikaler Schiiten begnügen, sondern die nationale Politik bestimmen. Ob sie damit durchkommt, hängt auch vom Verlauf der Auseinandersetzung mit Israel ab: Wird diese auch weiterhin mit Waffen ausgetragen, führt an Hisbollah als militärisch stärkster Kraft des Landes wohl kein Weg vorbei. Bei Waffenstillstand oder gar Friedensschluss könnte sich hingegen eine Konstellation einstellen, bei der wirtschaftsfreundliche Kräfte und/oder Auslandslibanesen dem Land zu einem ökonomischen Neustart verhelfen. 

Wirtschaftsentwicklung: Normalisierung im Chaos

Seit 2020 sind alle staatlichen Institutionen des Libanon (außer dem Militär) implodiert. Kein Strom mehr, die Banken geschlossen, der Hafen Beiruts in Trümmern, Inflationsraten von mehr als 100 Prozent. Doch Menschen und Unternehmen haben sich wohl oder übel in der Staatslosigkeit eingerichtet: Den Strom liefern Privatunternehmen oder die Solarzellen auf dem eigenen Dach. Gezahlt wird in bar und in US-Dollar, die wichtigste Einnahmequelle sind in der Regel Angehörige im Ausland. Viele libanesische Familien betreiben internationale Handelsgeschäfte mit besonders starker Präsenz in Westafrika, Südamerika und überall im Nahen Osten. 

Deren Umsätze sowie Zuschüsse an die Heimatbasis im Libanon ermöglichen der Volkswirtschaft eine Bodenbildung. Die Experten der Economist Intelligence Unit (EIU) sehen deshalb für das Jahr 2024 erstmals wieder ein inflationsbereinigtes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2,1 Prozent voraus, sowie eine Verstetigung der Wachstumsraten in den kommenden Jahren. Ein signifikantes Risiko für diese Entwicklung besteht bei einer Ausweitung der militärischen Konflikte mit Israel. Betroffen wären hiervor in erster Linie die Infrastruktur sowie die Landwirtschaft – viele der fruchtbarsten Anbaugebiete des Libanon liegen im Süden des Landes und damit in der potenziellen Kampfzone.

Investitionen: Großprojekte in der Schwebe

Den fast völligen Stillstand des öffentlichen Lebens im Libanon symbolisiert der im August 2020 durch eine Explosion fast völlig zerstörte Hafen von Beirut. Auch dreieinhalb Jahre nach der Explosion ist noch keine Ausschreibung für den Wiederaufbau erfolgt. Sowohl die gesetzlichen Rahmenbedingungen als auch das Nutzungskonzept als auch die Finanzierung des auf ein Volumen von 600 Millionen US-Dollar (US$) geschätzten Projekts sind noch ungeklärt. 

Die Hoffnung, dass im Hafengebiet auch ein Erdgasterminal angesiedelt werden könnte, hat sich vorerst zerschlagen. Nach einer mühsamen Einigung zwischen Israel und dem Libanon über den Verlauf der Seegrenze konnte ein französisch-italienisch-katarisches Konsortium anfangen, vor der Küste nach Gas zu suchen. Die erste Probebohrung im Herbst 2023 fand keine förderfähigen Erdgasvorkommen, ob und wann weitere Probebohrungen stattfinden, steht bisher nicht fest.

Wo Top-Down-Investitionen blockiert sind, eröffnen sich Bottom-Up-Nischen. Das gilt insbesondere für die Energieversorgung, wo lokale oder private Investitionen in Solar- und Windstromerzeugung den staatlichen Blackout umgehen.  

Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten bietet die GTAI-Länderseite Libanon, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".

Außenhandel: Warten auf Damaskus

Im Außenhandel überwiegen die libanesischen Warenimporte traditionell bei weitem die Exporte, derzeit etwa um das Fünffache. Einen guten Teil dieser Defizite gleicht die Dienstleistungsbilanz aus, deren Überschuss nach EIU-Schätzung im Jahr 2023 etwa 4 Milliarden US$ betrug. Allerdings sind einige der libanesischen Service-Sektoren derzeit angeschlagen – das betrifft insbesondere Tourismus und Finanzdienstleistungen.  

Zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit werden vor allem zwei Wege eingeschlagen: der Aufbau von Produktionskapazitäten, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern, und der Wiederaufbau von Handelsverbindungen nach Syrien, um Beirut als Tor nach Damaskus positionieren zu können, sobald die internationalen Sanktionen gegen das Assad-Regime wegfallen.

Deutsche Perspektive: Investitions- statt Konsumgüter

In Relation zum Ausmaß des Zusammenbruchs der libanesischen Volkswirtschaft haben sich die deutschen Exporte relativ gut gehalten. Gegenüber dem Vorkrisenjahr 2019 liegen die Ausfuhren laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2023 "nur" 29,5 Prozent niedriger (vorläufiger Wert). Allerdings ist seit dem Beginn des Gaza-Kriegs im Oktober 2023 ein erneuter Nachfrageeinbruch sichtbar: Fahrzeugimporte lagen im Dezember mit 3 Millionen Euro nur noch halb so hoch wie im Durchschnitt der übrigen Monate des Jahres 2023.

Deutlich stabiler hielt sich 2023 die Nachfrage nach Maschinen und Anlagen Made in Germany. Auf das Gesamtjahr gerechnet konnten sie erstmals überhaupt höhere Exporterlöse verzeichnen als die Fahrzeugbauer. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Sowohl für den Neuaufbau der Infrastruktur als auch für die Schaffung eigener Produktionskapazitäten werden eher Investitions- als Konsumgüter benötigt.

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