Wirtschaftsausblick | Montenegro
Montenegros Wirtschaft trotzt den globalen Krisen
Der kleine Adria-Staat verzeichnet die höchsten Wachstumsraten in Europa – dank boomendem Tourismus und regen Investitionen. Die politische Instabilität birgt jedoch Risiken.
19.07.2023
Von Viktor Ebel | Belgrad
Wirtschaftsentwicklung: Montenegro steht besser da als erwartet
Für 2023 rechnet die Regierung mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Internationale Beobachter wie das Wiener Institut für Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und die Weltbank erwarten ein Plus von bis zu 3,5 Prozent. Damit sticht das Land nicht nur auf dem Balkan positiv heraus, sondern auf dem ganzen europäischen Kontinent. Schon 2022 übertraf der kleine Adria-Staat mit einem BIP-Wachstum von 7,7 Prozent alle Prognosen.
Wachstumstreiber Nummer eins ist die Tourismusindustrie. Das Gastgewerbe steckt die Auswirkungen des Ukrainekriegs besser weg, als erwartet. Der Besucherrekord aus dem Jahr 2019 könnte 2023 sogar geknackt werden. Die sprudelnden Erlöse aus dem Tourismus sorgen für volle Haushaltskassen und stützen zusammen mit den steigenden Löhnen den Konsum. Weitere Wachstumstreiber sind Investitionen in Hotelanlagen und Infrastruktur sowie steigende Preise für montenegrinische Exportschlager wie Metalle und Strom.
Politische Instabilität und externe Schocks bergen Risiken
Montenegro machte 2022 mit großer politischer Uneinigkeit auf sich aufmerksam. Zuerst stürzte das Parlament die proserbische Regierung, knapp vier Monate später ereilte die prowestliche Minderheitsregierung dasselbe Schicksal. Sieger der vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2023 ist die neue reformorientierte Bewegung "Europa Jetzt!", welche das Land in die EU führen möchte, aber auch um gute Beziehungen zu Serbien bemüht ist. Ob die neue Regierung die politischen Gräben überwinden und für ein stabiles Geschäftsklima sorgen kann, bleibt aufgrund des knappen Wahlergebnisses abzuwarten.
Ein großes Thema war 2022 die hohe Inflation, ausgelöst durch steigende Preise für Nahrungsmittel und Treibstoff. Montenegro bleibt in vielen Bereichen abhängig von Importen, weshalb das Land sehr anfällig für externe Schocks ist. Die Abhängigkeit vom Tourismus, der über 25 Prozent der BIP-Entstehung ausmacht, trägt dazu bei. Um nachhaltig zu wachsen, muss die Regierung in die Produktivität investieren und neue Wirtschaftsbereiche wie erneuerbare Energien erschließen.
Indikator | 2021 | 2022 * | Vergleichsdaten Deutschland 2022 * |
---|---|---|---|
BIP (nominal, Mrd. Euro) | 5,0 | 5,7 | 4.063 |
BIP pro Kopf (Euro) | 6.737 | 9.238 | 48.459 |
Bevölkerung (Mio.) | 0,6 | 0,6 | 84,3 |
Investitionen: Tourismus, Energiewirtschaft und Infrastruktur im Fokus
Die Bruttoanlageinvestitionen sollen laut Regierungsprognose 2023 um real 6,3 Prozent zunehmen. In dem nur knapp 600.000 Einwohner zählenden Land entstehen mehrere hochwertige Hotelkomplexe. Jüngstes Beispiel ist das Projekt Lustica Bay, wo in den nächsten Jahren für 400 Millionen Euro Apartments, Villen und Golfplätze gebaut werden. An den noch wenig bebauten Sandstränden nahe Ulcinj sind mehrere 5-Sterne-Hotels geplant.
Weitere Impulse versprechen Investitionen in die Energiewirtschaft. In- und ausländische Unternehmen haben Solarprojekte mit einer Gesamtkapazität von 1,4 Gigawatt in der Pipeline. Fortschritte gibt es bei den geplanten Anlagen in Cetinje und Niksic, die kürzlich von der Regierung genehmigt wurden. Um das Stromnetz für die neuen Solarkraftwerke fit zu machen, will der montenegrinische Netzbetreiber CGES in den nächsten Jahren fast 200 Millionen Euro investieren.
Neben Erneuerbaren will das Land in Zukunft auch auf Gas als Energiequelle setzen. Mit amerikanischen Firmen wurden Absichtserklärungen unterzeichnet, die auf den Bau eines Flüssiggasterminals, einer Pipeline und eines Gaskraftwerks in Bar abzielen. Machbarkeitsstudien werden gegenwärtig vorbereitet. Die bis zu 1 Milliarde Euro teuren Anlagen könnten Ende 2025 ihren Betrieb aufnehmen.
Den Infrastrukturbau bestimmen Autobahnprojekte in Richtung Serbien, Bosnien-Herzegowina sowie der geplante Adriatic-Ionian-Highway, der Italien entlang der Küste mit Griechenland verbinden soll.
Regierungsprognosen zufolge werden die ausländischen Direktinvestitionen 2023 stagnieren. Im Vorjahr beliefen sich die Zuflüsse laut UNCTAD auf 877 Millionen US-Dollar – ein Plus von rund 25 Prozent. Bekanntester Investor aus Deutschland ist der Discounter Lidl, der drei Grundstücke erworben hat und den Markteinstieg vorbereitet.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
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Adriatic-Ionian-Highway: Montenegro - Kroatien - Albanien R1 Road Interconnection Budva Bypass | 300 | Projektentwurf und Prüfung abgeschlossen, Finanzierung u.a. mit 50 Mio. Euro KfW-Darlehen | Ministarstvo kapitalnih investicija (Direktorat za drumski saobraćaj) |
Bau der Ionian-Adriatic-Pipeline via Montenegro | 300 | Finanzierung mit EBWE-Darlehen über 256 Mio. Euro; vorrangiges Infrastrukturprojekt | Ministarstvo kapitalnih investicija |
Instandsetzung und Modernisierung von Straßen | 280 | Finanzierung mit EIB-, EBRD-Darlehen und WBIF; vorrangiges Infrastrukturprojekt der Regierung 2022 | Ministarstvo kapitalnih investicija (Direktorat za drumski saobraćaj) |
Ausbau des Wasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsnetzes in einzelnen Gemeinden | 142 | Finanzierung mit EIB-, EBRD-Darlehen und WBIF; vorrangiges Infrastrukturprojekt der Regierung 2022 | |
Modernisierung und Umweltmaßnahmen Wärmekraftwerk Pljevlja | 70 | Vertrag mit dem Konsortium DEC International China und drei nationalen Unternehmen unterzeichnet, vorrangiges Projekt 2022 | |
Bau eines neuen städtischen Krankenhauses in Podgorica mit CT- Centrum und Klinik für Hämatologie | 60 | Projektvorbereitung soll 2022 starten | |
Bau einer Kläranlage in Ulcinj | 45 | Finanzierung mit KfW-Darlehen und WBIF-Förderung, Projektdokumentation in Vorbereitung | |
Mittelmeer-Korridor: Montenegro - Albanien R2 Eisenbahn-Verbindung, Podgorica | 40 | Finanzierung mit KfW-Darlehen und WBIF-Förderung, Projektdokumentation in Vorbereitung | Ministarstvo kapitalnih investicija (Direktorat za željeznički saobraćaj) |
Sanierung und Modernisierung der Deponien in einzelnen Gemeinden | 30 | Eigenfinanzierung und EU-Förderung; als vorrangige Projekte 2022 vorgesehen | |
Stromnetzausbau zur Erschließung erneuerbarer Energiequellen - Crossbow Projekt | 27 | Finanzierung durch EBWE und EU-Horizon 2020; Projekt in Vorbereitung |
Ausschreibungen stehen in der nationalen Ausschreibungsdatenbank von Montenegro.
Informationen zu aktuellen geberfinanzierten Projekten beinhaltet auch die GTAI-Länderseite, Rubrik "Ausschreibungen" und "Entwicklungsprojekte".
Konsum: Steigende Löhne motivieren zum Einkaufen
Der private Verbrauch wird 2023 real um 2,4 Prozent steigen, erwartet die Regierung. Im Vorjahr wuchs der Konsum um 11,6 Prozent und trug damit zum Wachstum bei. Das ist zum einen auf den stabilen Arbeitsmarkt zurückzuführen: Mit dem nach der Coronaflaute wiederbelebten Tourismus nahm die Zahl der Beschäftigten im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent zu. Zudem wurden die Steuern gesenkt und der Mindestlohn erhöht, was den durchschnittlichen Nettolohn um ganze 34 Prozent auf 711 Euro katapultierte.
Eine Belastung für die Haushalte ist die Inflation, die 2022 etwa 12 Prozent erreichte. 2023 soll sie auf 5 Prozent sinken, so die Prognose der Regierung. Um die Verbraucher zu schützen, setzt diese auf verschiedene Maßnahmen wie Preisobergrenzen und Steuersenkungen, beispielsweise für Treibstoff.
Außenhandel: Waren- und Dienstleistungsexporte nehmen zu
Montenegros wachsender Handel mit Waren und Dienstleistungen setzt sich 2023 in abgeschwächter Form fort. Im Vorjahr stiegen die Importe um real 16,7 Prozent, während die Ausfuhren um 13,6 Prozent zunahmen. Touristische Dienstleistungen spülen die meisten Devisen in die Kassen.
Aber auch die Warenexporte nahmen 2022 zu, vor allem von Metallen, Strom und pharmazeutischen Erzeugnissen. Letztere spielen seit einer Investition der Stada-Tochter Hemopharm im Jahr 2018 eine wichtige Rolle.
Die wichtigsten Lieferländer sind Serbien, Deutschland und Griechenland. Insgesamt bezieht Montenegro fast 45 Prozent seiner Waren aus der EU. Die wichtigsten Exportziele mit einem Anteil von knapp 42 Prozent sind die Nachbarstaaten des Westbalkans, allen voran Serbien und Bosnien-Herzegowina.
2021 | 2022 | Veränderung 2022/2021 | |
---|---|---|---|
Importe | 2.505 | 3.534 | 41,1 |
Exporte | 437 | 700 | 60,2 |
Handelsbilanzsaldo | 2.068 | 2.834 | - |