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Wirtschaftsumfeld | Polen | Arbeitskräfte

Fachkräfte

Der Mangel an qualifiziertem Personal bleibt ein Dauerthema in Polen, obwohl einige Firmen Stellen abbauen. Neue Hürden für Arbeitsmigranten erschweren die Lage zusätzlich.

Von Christopher Fuß | Warschau

Im 1. Halbjahr 2024 kündigten mehrere Unternehmen in Polen Massenentlassungen an. Ein Beispiel ist der Schweizer Technologiekonzern ABB. Er verlagert ein Werk für Niederspannungsmotoren nach China. Bis zu 400 Stellen fallen weg. Auch der Reifenproduzent Michelin oder der Jeansproduzent Levis wickeln Standorte ab. Kündigungen gibt es nicht nur in der Industrie. Der IT-Dienstleister Infosys schließt eine Abteilung in Poznań mit fast 200 Beschäftigten.

Ein Grund für den Stellenabbau ist die schwächelnde Konjunktur auf europäischen Absatzmärkten. Einfluss haben auch gestiegene Energie- und Personalkosten, ebenso wie die wachsende Beliebtheit von Industrierobotern. Zulieferer für Verbrennungsmotoren spüren obendrein den Technologiewandel.

Die Entlassungen sorgen in Polen für ein großes Medienecho. Sie haben aber nur einen begrenzten Effekt auf die Arbeitsmarktstatistik. Die Zahl der Beschäftigten bleibt zwischen Januar und Juni 2024 stabil. Polens Arbeitslosenquote gehört zu den niedrigsten in der EU.

Schweißer gehören zu den meistgesuchten Spezialisten

Ein Grund für den robusten Arbeitsmarkt liegt in der Demografie. Allein zwischen 2019 und 2023 schrumpfte die Bevölkerung Polens um 3,2 Prozent. Laut der Statistikbehörde GUS (Główny Urząd Statystyczny) könnte die Zahl der Einwohner bis zum Jahr 2060 von heute 36,8 Millionen Menschen auf 30,9 Millionen Menschen sinken. Hinzu kommt: Firmen wie die Volkswagen-Tochter PowerCo oder Mercedes-Benz erweitern ihre Aktivitäten in Polen und stellen Arbeitskräfte ein.

Wenig überraschend klagen Unternehmen über Fachkräftemangel. Die Arbeitsämter veröffentlichen regelmäßig das sogenannte Berufsbarometer (Barometr Zawodów). Laut der jüngsten Ausgabe für das Jahr 2024 steigt die Zahl der defizitären Berufe. In diesen Fällen gibt es mehr offene Stellen als Kandidaten. Für acht Berufszweige melden die Arbeitsämter sogar einen chronischen Mangel. Das bedeutet, dass bereits seit 2016 Bewerber fehlen. Zu den begehrten Kandidaten gehören unter anderem Tischler, Dachdecker, Lkw-Fahrer und Schweißer.

GUS hat im Juni 2024 Unternehmen nach Entwicklungsbarrieren befragt. Maschinenbauer, Metallverarbeiter und Hersteller von elektrischer Ausrüstung verwiesen auf den Fachkräftemangel. Insgesamt hat sich die Nachfrage gegenüber 2023 aber etwas abgekühlt. Bauindustrie und Einzelhandel sind im Branchenvergleich deutlich seltener vom Fachkräftemangel betroffen. Während Bauunternehmen unter der Konjunkturflaute leiden, zahlen sich bei den Einzelhändlern frühere Investitionen aus. Lösungen wie Selbstbedienungskassen sparen Personal.

Mehr duale Berufsbildung

Ein weiteres Mittel gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel ist Bildung. Duale Lehrgänge, mit einem Mix aus Arbeit im Betrieb und Berufsschule, spielen in Polen bislang eine Nebenrolle. Unternehmen beklagen vor diesem Hintergrund, dass Abgänger von Berufsschulen (Szkoła branżowa) über wenig Praxiserfahrung verfügen.

Immerhin: Dem Bildungsministerium zufolge steigt der Anteil der Auszubildenden, die während ihrer Zeit an einer Berufsschule in einem Betrieb arbeiten. Unternehmen, die sich an der Berufsbildung beteiligen, sollen laut einer geplanten Reform leichter Subventionen erhalten. Ein weiterer Vorschlag des Ministeriums lautet, die technischen Gymnasien (Technikum) stärker mit Unternehmen zu verknüpfen. Damit reagiert die Behörde auf die wachsende Beliebtheit dieser weiterführenden Schulform.

Unternehmen rufen außerdem Rekrutierungsprogramme für Menschen über 50 Jahre ins Leben. Rohlig SUUS Logistics, einer der größten Logistikdienstleister in Polen, bietet Personen im fortgeschrittenen Lebensalter ein zweimonatiges Umschulungsprogramm an.

Kurzfristig wird der Fachkräftemangel jedoch bleiben, vor allem in Industriezentren wie Dolnośląskie oder Wielkopolskie. Für technische Berufszweige kommt erschwerend hinzu, dass in Polen der Anteil der MINT-Absolventen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) an allen Hochschulabsolventen mit 19,2 Prozent unter dem EU-Durchschnitt von 25,4 Prozent liegt.

Schwierige Zeiten für Arbeitsmigranten

Ausländische Arbeitskräfte gelten als wichtige Stütze der Wirtschaft in Polen. Laut der staatlichen Investitions- und Handelsagentur PAIH (Polska Agencja Inwestycji i Handlu) stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Migranten zwischen 2013 und 2022 um das Zehnfache auf über eine Million Menschen. Mehr als zwei Drittel stammen aus der Ukraine.

Arbeitsagenturen warben darüber hinaus saisonale Arbeitskräfte aus Asien und Südamerika an. Doch unter Polens neuer Regierung ist die Zahl der ausgestellten Visa eingebrochen. Hintergrund: Vor der Parlamentswahl im Herbst 2023 berichteten Zeitungen, dass Vermittlungsagenturen Bestechungsgelder angenommen hatten, um Visa-Anträge schneller zu bearbeiten.

Ein Opfer der Visum-Affäre (Afera Wizowa) ist Poland Business Harbour, ein Anwerbeprogramm für internationale IT-Spezialisten. Das polnische Außenministerium stellte das Programm im Januar 2024 ein. Polen fehlt eine staatliche Migrationsstrategie. Das Innenministerium will bis September 2024 ein entsprechendes Dokument vorstellen (Strategia migracyjna dla Polski na lata 2025–2030). Für 2025 kündigt die Regierung ein reformiertes Ausländerrecht an.

Es ist nicht die einzige wichtige Gesetzesänderung. Seit April 2023 können Arbeitnehmer an bis zu 24 Tagen im Kalenderjahr sogenannte Gelegenheits-Telearbeit beantragen (okazjonalną praca zdalna). Der Unterschied zur klassischen Telearbeit: Ein Arbeitnehmer stellt den Antrag unabhängig von den Regelungen im Arbeitsvertrag. Anders als bei der klassischen Telearbeit muss der Arbeitgeber nicht für bestimmte Materialkosten aufkommen. Polens Parlament hat außerdem ein Gesetz über den Schutz von Hinweisgebern (Whistleblower) verabschiedet. Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden müssen eine interne Meldestelle einrichten, an die ein Hinweisgeber sich wenden kann. Die Regierungskoalition diskutiert außerdem die Einführung einer Vier-Tage-Woche.

Polen im weltweiten Vergleich

Folgende Karte ermöglicht den Vergleich zwischen zahlreichen Ländern weltweit. Bitte beachten Sie, dass die Werte in der Karte aus international standardisierten Quellen stammen und somit gegebenenfalls von Angaben aus nationalen Quellen im Text abweichen können.

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