Branche kompakt | Schweden | Medizintechnik
Schweden bleibt ein interessanter Markt für Medizinprodukte
Das dezentralisierte Gesundheitssystem ist für Unternehmen Chance und Herausforderung zugleich. Exportmöglichkeiten ergeben sich im Rahmen zahlreicher Krankenhausprojekte.
12.09.2023
Von Judith Illerhaus | Stockholm
Markttrends
Die Ausgangslage für deutsche Hersteller in Skandinaviens größtem Markt für Medizintechnik ist denkbar gut. Bei Betrachtung der Gesundheitsausgaben liegt Schweden im europäischen Vergleich nach wie vor unter den ersten vier Plätzen. Die Pro-Kopf-Ausgaben sind laut Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kontinuierlich angestiegen auf zuletzt 5.690 Euro im Jahr 2022.
Zwar verfügt Schweden im regionalen Vergleich über die stärkste heimische Produktion von Medizinprodukten; dennoch ist der Großteil der Erzeugnisse, nämlich knapp 70 Prozent, für den Export bestimmt. Entsprechend bieten sich deutschen Herstellern gute Absatzmöglichkeiten.
Der verhältnismäßig große Anteil der älteren Bevölkerung, die steigende Inzidenz chronischer Krankheiten und der Anspruch, nach wie vor an der Spitze technologischer Innovationen mitzuwirken, gelten als die wichtigsten Wachstumstreiber des Markts.
Digitale Lösungen haben eine lange Tradition
Auch wenn Schweden bereits 2006 mit einer ersten digitalen Gesundheitsstrategie aufwarten konnte, gibt es nach wie vor Bereiche, in denen sich Geschäftsmöglichkeiten auftun. Besonders aussichtsreiche Chancen ergeben sich vor allem in den Bereichen Smart Hospitals und Connected Devices beziehungsweise Apps. Dies beruht auch auf der Tatsache, dass Schweden durch die aktuell geltende Vision for eHealth das Ziel verfolgt, bis 2025 weltweit führend zu sein bei der Chancennutzung durch Digitalisierung.
Durch die Gewährleistung eines gültigen Rechtsrahmens und geltender Datenstandards, soll die Digitalisierung vorangetrieben werden. Dem Patienten wird so der Zugang zur Gesundheitsversorgung erleichtert. Ein erfolgreiches Beispiel, das den Kontakt zwischen Patient und Leistungserbringer unterstützt, ist der Telemedizin Anbieter Kry. Gegründet 2015, hat sich Kry inzwischen zu einem der größten digitalen Gesundheitsanbieter in Europa entwickelt. Anwender der Kry App haben die Möglichkeit, rund um die Uhr per Videoanruf einen Arzt zu konsultieren oder Kliniken für die Vereinbarung von ambulanten Terminen zu kontaktieren. Aktuell wird Kry von rund 1.300 Beschäftigten der Branche, also Ärzten, Krankenpflegepersonal und Psychologen angewendet. Durch die Fusion mit dem Gesundheitsunternehmen Helsa im Jahr 2020, das 14 Gesundheitszentren im Land betreibt, stehen den Nutzern entsprechend zahlreiche Kliniken zur Verfügung.
Die Aussichten sind insgesamt gut
Das Beratungsunternehmen Fitch Solutions bescheinigt dem schwedischen Medizintechnikmarkt trotz der diesjährigen Rezession und einer nach wie vor hohen Inflation von derzeit etwa 9 Prozent ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4,7 Prozent im Zeitraum 2022-2027. Zudem positioniert Fitch den Markt im Rahmen eines Medical Devices Risk/Reward Index im weltweiten Vergleich auf Platz drei und bewertet die schwedische Medizintechnikbranche als besonders attraktiv für Exporteure. Der Index für Medizinprodukte quantifiziert und bewertet die Attraktivität eines Landes unter Berücksichtigung von Risiken und Vorteilen, die mit dem Eintritt und der Tätigkeit in verschiedenen Ländern verbunden sind. Insgesamt vergleicht Fitch Solutions 75 Länder hinsichtlich branchenspezifischer als auch wirtschaftspolitischer und regulatorischer Merkmale.
Zahlreiche Krankenhausprojekte werden derzeit im Land angestoßen und umgesetzt, denn ein Großteil der Einrichtungen ist inzwischen in die Jahre gekommen. Sie entsprechen nicht mehr den heutigen technischen Standards und können dem gestiegenen Patientenaufkommen kaum noch gerecht werden. Entsprechend viele der etablierten Kliniken müssen modernisiert werden.
Akteur/Projekt | Investitionssumme (in Mio. Euro)1) | Projektstand | Anmerkungen |
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Neubau Universitätskrankenhaus, Lund | 2.520 | Standortentscheidung soll 2023 fallen; Bauzeit mindestens 15 Jahre | Bauherr: Region Skåne; Soll bisheriges Krankenhaus ersetzen |
Renovierung oder Neubau, Akademisches Krankenhaus, Uppsala | Renovierung: 1.428 bis 1.764, 190 für medizintechnische Ausrüstung und Einrichtung Neubau: 1.848 bis 2.100 | Vorstudie für Neubau in Arbeit | Bauherr: Region Uppsala; Renovierung des Zentralbaus oder Neubau in Ergänzung zum bestehenden Krankenhaus |
Neubau Krankenhaus, Helsingborg | 1.121 | Anhörungsphase für Detailplan zum Standort Östra Ramlösa im Februar und März 2023 | Bauherr: Region Skåne; Soll bisheriges Zentralkrankenhaus ersetzen, Fokus auf Digitalisierung |
Um- und Neubau Zentralkrankenhaus, Karlstad | 588 | Beschluss zum Bau der ersten Etappe des Neubaus im März 2023 gefallen, Bauzeit 12 Jahre | Bauherr: Region Värmland; Neubau Empfangs- und Notfallgebäude, 16 Umbauprojekte an bestehenden Projekten |
Um- und Neubau Krankenhaus, Skellefteå | 193 | Abrissbeginn ab 2023; Bauzeit 9 Jahre | Bauherr: Region Västerbotten; Neubau Kreißsaal, Pflegegebäude und Notaufnahme |
Um- und Neubau Krankenhaus Gävle | Investitionskosten für Haus 60: 46 | Um- und Anbau von Haus 60, geplanter Baustart im Herbst 2023; Um- und Anbau von Haus 29, geplanter Baustart 2025 | Bauherr: Region Gävleborg; Haus 60 wird um sechs Stockwerke und eine Helikopterplattform erweitert; Haus 29 umfasst u.a. Notaufnahme, Akutstation und Geburtenstation; Haus 62 ist Neubau einer Pflegestation |
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Schweden verfügt über eine starke heimische Industrie zur Herstellung medizinischer Geräte, zu der neben kleineren spezialisierten Unternehmen auch mehrere große internationale Unternehmen wie Elekta und Getinge gehören. Auch gilt das Land als innovationsoffen und in die Beschaffungsleitlinien fallen vermehrt Vorgaben zur Einhaltung nachhaltiger Standards. Als Vorreiter für die Annahme sowie Anwendung medizinischer Innovationen gelten insbesondere die Provinz Stockholm und die hier ansässige Universitätsklinik, das Karolinska Institutet.
Die Beschaffung kann zur Herausforderung werden
Schweden verfügt über ein dezentralisiertes Gesundheitssystem, in dem die Verantwortung für die Gesundheitsversorgung verschiedenen öffentlichen Institutionen zugesprochen wird. Auch wenn diese Organisation des Gesundheitssystems hilft, regionale Bedarfe schnell zu decken, sorgt es immer wieder für Unsicherheiten bei ausländischen Unternehmen.
Die Beschaffung medizintechnischer Produkte und Geräte für die fachärztliche Versorgung obliegt in erster Linie den Einkaufszentralen der schwedischen Provinziallandtage (landsting). Jährlich schaffen diese Waren und Dienstleistungen zwischen 10 Milliarden bis 13 Milliarden Euro an.
Laut der nationalen Behörde für öffentliche Beschaffung, Upphandlingsmyndigheten, war Adda im Jahr 2021 größter Einzelkunde im Bereich Medizintechnik. Hierbei agiert Adda als Einkaufszentrale und sorgt für eine Bündelung der Bedarfe von Regionen sowie weiteren öffentlichen Gesundheitsanbietern und unterstützt auf diese Weise beim strategischen Einkauf. Darüber hinaus können auch Krankenhäuser und öffentliche Gesundheitsunternehmen Ausschreibungen für medizintechnische Produkte vornehmen.
Ausschreibungsplattformen sind privat organisiert
Im Unterschied zu anderen EU-Ländern hat Schweden keine zentrale staatliche Datenbank für öffentliche Ausschreibungen. Diese Aufgabe übernehmen private Anbieter, die sich zuvor bei der nationalen Wettbewerbsbehörde registrieren müssen. Das Ausschreibungsportal Mercell hat sich in den vergangenen Jahren als größte Ausschreibungsplattform für medizintechnische Produkte etabliert. Außer Mercell sind weiterhin noch die Portale e-Avrop und Kommers Annons für medizintechnische Produkte von Bedeutung. Bei größeren Auftragssummen werden die Ausschreibungen auch im EU-Portal Ted veröffentlicht.