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Nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz
Trotz kriselnder Konjunktur lässt sich das eine oder andere Vorzeigeprojekt in der nachhaltigen Bauindustrie in Schweden finden.
30.10.2024
Von Judith Illerhaus | Stockholm
Schweden gilt als einer der Vorreiter in der Verwendung von Holz als Baumaterial. Im Vergleich zu Deutschland ist die bewaldete Fläche Schwedens mehr als doppelt so groß und der Holzeinschlag lag im Jahr 2023 etwa 20 Prozent höher als in Deutschland. Auch architektonisch macht das Land von sich reden: Das Sara Kulturhus in Skellefteå, nahe dem Polarkreis, zählt nach wie vor zu den höchsten Gebäuden, die vollständig aus Holz gebaut wurden. Zahlreiche weitere aktuelle Projekte verdeutlichen den schwedischen Ehrgeiz, mithilfe des regional beschafften traditionellen Baumaterials nachhaltiger und emissionsärmer zu bauen. Ein Beispiel ist die Erweiterung des Flughafens Arlanda, die auf Holz basiert und in Höhe von rund 1,7 Milliarden Euro von der deutschen KfW-IPEX finanziert wurde. Die deutsche Kreditanstalt konnte damit ihre Positionierung als Infrastrukturfinanzierer auch in Nordeuropa weiter festigen.
Es wird auf Holz gesetzt
In Sickla, einem südlichen Stadtteil Stockholms, wird das weltweit größte städtische Holzbauprojekt umgesetzt. Der schwedische Bauentwickler Atrium Ljungberg plant hier auf über 250.000 Quadratmetern die Errichtung von Stockholm Wood City, einer Mischung aus Büroflächen, Wohnungen, Restaurants und Geschäften. Ziel ist die Umsetzung einer 5-Minuten-Stadt, in der alle wichtigen Einrichtungen des täglichen Lebens in fünf Minuten erreichbar sind, mit höchsten nachhaltigen Baustandards. Der erste Spatenstich ist für das Jahr 2025 anvisiert.
Die schwedische Regierung fördert den Holzbau als Teil ihrer Strategie für eine nachhaltige Gesellschaft ohne fossile Brennstoffe. Die staatlich unterstützte Organisation "Holzstadt Schweden" treibt Wissen, Innovation und Entwicklung in diesem Bereich voran. Die Regierung plant, die Fortschritte im industriellen Holzbau zu beobachten und gemeinsam mit relevanten Akteuren Handlungsbedarf und passende Maßnahmen zu identifizieren.
Trendwende in Sicht
Aller Euphorie zum Trotz, hat aber auch die Holzbranche zuletzt unter der schwächelnden Konjunktur gelitten. Die jüngsten Quartals- und Halbjahresstatistiken von Swedish Wood, Teil des schwedischen Forstindustrieverbandes, zeigen 2024 einen Rückgang der Brettschichtholzlieferungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In den ersten sechs Monaten des Jahres sank der Absatz von Balken und Trägern um 16,1 Prozent, was eine deutliche Abschwächung des Marktes widerspiegelt.
Der Rückgang der Nachfrage nach Brettschichtholz steht im Zusammenhang mit der allgemeinen wirtschaftlichen Unsicherheit, weniger Baubeginnen und einem schwächeren Privatkonsum aufgrund hoher Zinsen und Inflation. Erste Zinssenkungen der Riksbank, eine allmählich sinkende Inflation und auch zunehmend strengere Nachhaltigkeitsanforderungen im Bausektor lassen die Branche aber hoffnungsvoll in die nahe Zukunft blicken.
Fossilfreies Schweden auch in der Industrie
Schweden hat sich äußerst ambitionierte Ziele in puncto Nachhaltigkeit gesetzt. Unter dem Dach der staatlichen Initiative "Fossilfritt Sverige" fasst das Land zahlreiche Maßnahmen und maßgenschneiderte Strategien für diverse Industriesparten zusammen. Hier findet sich auch eine konkrete Strategie für die Gesteinsindustrie. Die eigentliche Produktion des Gesteinsmaterials ist lediglich für 6 Prozent der Emissionen innerhalb der Bauwirtschaft verantwortlich. Allerdings müssen auch die sogenannten versteckten Emissionen, die durch Schwertransporte anfallen, mit einberechnet werden, so die Verfasser der Studie. Im September 2024 wurde die Strategie aktualisiert, denn aktuell werden beispielsweise statt möglichen 25 Prozent weniger als 5 Prozent des Gesteins wiederverwendet. Mögliche Lösungen für die Erreichung des Ziels, einer emissionsfreien Gesteinsindustrie bis 2045, sieht der Verband Schwedischer Gesteinsindustrien (SBMI) vor allem in einer verstärkten Nutzung digitaler Anwendungen für effizientere logistische Lösungen. Aber auch Zirkularität und Regionalität sollen mehr in den Fokus rücken und zu geringeren Transportwegen beitragen. Zudem werden sich Abnehmer auf höhere Anforderungen und strenger Regularien einstellen müssen. Pilotprojekte konnten zeigen, dass es möglich ist, den Einfluss auf das Klima um die Hälfte zu reduzieren.
Darüber hinaus gibt es für die Baubranche noch relevante Fahrpläne für die Betonindustrie sowie die Zementindustrie. Als Zwischenziel plant man bis 2030 den Bau des ersten klimaneutralen Zementwerk auf der schwedischen Insel Gotland. Insgesamt sollen ab 2030 etwa 1,8 Millionen Tonnen CO2 abgeschieden werden können, womit Schweden die Gesamtemissionen um etwa drei Prozent senken könnte. Ebenfalls Teil des Projekts ist eine Kohlenstoffsenke mit einer Speicherkapazität von mehr als 300.000 Tonnen CO2. Maßgeblicher Akteur ist hier, wie beim norwegischen Vorzeigeprojekt Brevik, Heidelberg Materials.
Leuchtturmprojekt Nobel-Center
Die Forderung, nachhaltig zu bauen, eint die nordischen Länder. Wirklichkeit wird dieser Anspruch derzeit in der Umsetzung des Neubaus des Stockholmer Nobel-Centers: Mithilfe des Net-Zero-Betons von Heidelberg Materials aus Norwegen macht die schwedische Hauptstadt von sich reden. Das neue Nobel Center in Stockholm, dessen Bau für 2027 geplant ist, setzt auf Verantwortung für Umwelt und Klima. Es wird den weltweit ersten Carbon Capture and Storage (CCS)-basierten Net-Zero-Beton von Heidelberg Materials verwenden. Ab 2025 soll evoZero-Beton auf dem Markt sein. Dieser Beton verbindet Wissenschaft und grünen industriellen Wandel. Vidar Helgesen, Exekutivdirektor der Nobel-Stiftung, betont die Bedeutung wissenschaftlicher Innovationen im Kampf gegen die Klima- und Umweltkrise. Das Nobel Center will neue Ansätze bei der Nutzung und Wiederverwendung von Materialien verfolgen, um die Auswirkungen auf das Klima zu minimieren.
Das Nobel Center wird in prominenter Lage in Slussen, Stockholm, gebaut und soll einem breiten Spektrum öffentlicher Veranstaltungen zur Förderung von Wissenschaft, Kultur und Dialog dienen.