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Nachhaltiges Bauen und Energieeffizienz
Der energetische Fußabdruck des Gebäudebestands ist hoch. Neue Förderprogramme zur Wohnungssanierung laufen 2025 an. Bei Gewerbeimmobilien steigt die Energieeffizienz.
15.04.2025
Von Kirsten Grieß | Budapest
Unter energetischen Gesichtspunkten verdienen Ungarns Gebäude die Note mangelhaft. Besonders schlecht schneiden Wohngebäude ab. Von rund 4 Millionen bewohnten Wohnimmobilien sind rund 3 Millionen vor 1990 errichtet und seither nur notdürftig renoviert worden. Erhebungen der staatlichen Energieagentur MEHI weisen mehr als ein Viertel aller Wohnungen mit dem schlechtesten Energieausweis HH aus. Ungarische Privathaushalte setzen nach MEHI-Daten 72 Prozent des Energieverbrauchs für Heizzwecke ein. Der EU-Durchschnitt liegt bei 64 Prozent.
Trotz hohem Sanierungsbedarf wird laut MEHI-Chef Áron Horváth pro Jahr nur etwa 1 Prozent des Wohnungsbestands modernisiert. Zuletzt kam der Sanierungsmarkt sogar mehr oder weniger zum Stillstand, nachdem die ungarische Regierung Anfang 2023 entsprechende Förderprogramme einstellte. Der Förderstopp hatte deutliche Auftrags- und Umsatzeinbrüche bei Bauunternehmen und Baustoffhändlern zur Folge. Nach massiver Lobbyarbeit der Bauverbände wurde Mitte 2024 ein neues Wohnungssanierungsprogramm aufgelegt.
Bei Förderprogrammen wird nachgelegt
In der Praxis gestaltete sich die Umsetzung des Programms zunächst jedoch als schwierig. Die Zahl der Förderanträge blieb deutlich unter den Erwartungen der Regierung, weshalb sie im Januar 2025 Nachbesserungen vornahm. Förderfähig sind seitdem Sanierungsprojekte von Eigenheimen, die bis Ende 2006 errichtet wurden und nicht wie in der ursprünglichen Variante vor 1990. In diesem Zeitraum sind geschätzt 300.000 neue Eigenheime entstanden, was den Kreis berechtigter Antragsteller deutlich erweitert. Außerdem wurde der Antragsprozess gestrafft.
Der neue Programmrahmen betrug im Januar 2025 zunächst umgerechnet rund 182 Millionen Euro mit einer Laufzeit bis März 2027. Die maximale Fördersumme pro Antrag liegt bei rund 15.000 Euro und besteht zu gleichen Teilen aus zinslosen Darlehen und nichtrückzahlbaren Zuschüssen. Förderfähig sind vier Sanierungsmaßnahmen: die Gebäudeisolierung, der Austausch von Türen und Fenstern, die Modernisierung der Warmwasseraufbereitung und die Erneuerung der Heizungssysteme. Hinzu kommt im neuen Programm, dass die Installation von Wärmepumpen, Solarmodulen und Energiespeichern zusätzlich bezuschusst wird. Auf diese Weise kann die maximale Fördersumme um bis zu 10.000 Euro aufgestockt werden.
Bauunternehmen hoffen auf gute Geschäfte
Im Rahmen ihres wirtschaftlichen Aktionsplans schob die ungarische Regierung im Januar ein zweites Förderprogramm für private Wohnungssanierungen nach. Es ist explizit für Projekte in ländlichen Gegenden vorgesehen. Adressaten sind in erster Linie Haushalte mit geringem Einkommen in Siedlungen mit weniger als 5.000 Einwohnern. Auch hier beträgt die maximale Förderhöhe um die 15.000 Euro, allerdings fließen 80 Prozent davon als Zuschüsse und nur 20 Prozent als zinslose Kredite. Die förderfähigen Sanierungsarbeiten decken sich in beiden Programmen. Ebenso deckungsgleich ist die Vorgabe, dass mit den Sanierungsmaßnahmen Energieeinsparungen von mindestens 30 Prozent erreicht werden müssen.
Branchenvertreter sind sich einig, dass die Kombination beider Programme den Sanierungsmarkt wiederbeleben könnte. Das bemerken Händler von Baustoffen oft zuerst: Für Attila Juhász, Chef der Baustoffkette Újház, sei der Aufschwung bei Wohnungsmodernisierungen bereits durch eine deutlich höhere Nachfrage an Baustoffen zu beobachten. Bei Bauunternehmen ist das derweil noch nicht angekommen. Vertreter des Fachverbands ÉVOSZ erwarten Marktbewegungen erst für die zweite Jahreshälfte. Deutschen Herstellern von Baustoffen mit energetischen Eigenschaften, aber auch Lieferanten von Fenstern und Türen oder Wärmesystemen, bieten sich hier neue Geschäftschancen. Das gilt genauso für Baudienstleister, die auf energetische Sanierungen spezialisiert sind.
Neues Energieeffizienzgesetz in Vorbereitung
Mit Blick auf den Zustand des ungarischen Wohnungsbestands sind die Programme auch angesichts neuer EU-Direktiven erforderlich. Mit der Novellierung der EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) und der Energieeffizienzrichtlinie (EED) verabschiedete die EU Mitte 2024 neue Anforderungen an die energetische Qualität von Gebäuden, die binnen 24 Monaten in nationale Gesetze gegossen werden müssen. Ungarn hat mit der Umsetzung der neuen Vorgaben begonnen, die Novellierung des Energieeffizienzgesetzes liegt seit Februar zur öffentlichen Konsultation vor und könnte im Mai 2025 in Kraft treten.
Kern der Änderungen ist eine deutliche Erhöhung der Energieeinsparverpflichtungen für Energieversorger und -händler. Dem Energieminister obliegt es, entsprechende Energieeffizienzmaßnahmen festzulegen. Oberste Priorität hat laut ungarischem Energieministerium dabei die Verbesserung der Energieeffizienz von Wohngebäuden und öffentlichen Bauten. Die ungarische Baubranche begrüßt die Initiative. Denn sie verspricht zusätzliches Tempo für die energetische Gebäudesanierung. Branchenvertreter erwarten, dass insbesondere die Nachfrage nach Wärmedämmung und Heizungssystemen anzieht.
Mineralölkonzern baut grünes Leuchtturmprojekt
Kommerzielle Bauten schneiden aus energetischer Sicht schon heute deutlich besser ab. Gerade am Markt für Büroimmobilien sind die Standards zuletzt merklich gestiegen, was auch eine Folge der zunehmenden Bedeutung von ESG (Environmental, Social and Corporate Governance)-Anforderungen. Ungarn hat seit 1. Januar 2024 ein eigenes und vergleichsweise strenges ESG-Gesetz. Das verpflichtende Reporting wird seither stufenweise eingeführt, die entsprechende Aufsichtsbehörde soll Anfang 2026 ihre Tätigkeit aufnehmen.
Immobilienentwickler bereiten sich darauf bereits vor: Wie Daten des ungarischen Verbands für umweltbewusstes Bauen (HuGBC) zeigen, nimmt die Zahl der Büroneubauten mit einer Bewertung nach den Nachhaltigkeitskriterien des BREEAM Excellent Zertifikats sukzessive zu. Ein Leuchtturmprojekt ist der 2022 fertiggestellte MOL-Campus. Der neue Hauptsitz des ungarischen Mineralölkonzerns MOL gilt als modernstes Bürogebäude in Budapest. Nach eigenen Angaben trägt der Gebäudekomplex als erster des Landes zusätzlich zu einer BREEAM Excellent-Bewertung auch eine LEED-Platin-Zertifizierung.