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Schweizer Landwirtschaft im Anpassungsstress
Mit viel tierischer Schadstoffemission, begrenzter Anbaufläche und immer unvorhersehbareren klimatischen Bedingungen müssen sich die Schweizer Agrarbetriebe laufend modernisieren.
26.01.2024
Von Oliver Döhne | Bonn
Ausblick der Landwirtschaft in der Schweiz
Bewertung:
- Die landwirtschaftlichen Betriebe verdienen weniger, sind vom Staat abhängig und müssen in Nachhaltigkeit investieren.
- Die Nutzfläche ist beschränkt, der Pestizideinsatz soll zurückgehen, mehr Effizienz ist nur durch Smart Farming möglich.
- Im Sinne des Klima- und Umweltschutzes müsste der große Tierbestand mehr pflanzlicher Produktion weichen, doch noch fehlt eine konkrete Strategie.
Anmerkung: Einschätzung des Autors für die kommenden zwölf Monate auf Grundlage von prognostiziertem Umsatz- und Produktionswachstum, Investitionen, Beschäftigungsstand, Auftragseingängen, Konjunkturindizes etc.; Einschätzungen sind subjektiv und ohne Gewähr; Stand: Januar 2024
Markttrends
Auch in der Schweiz knirscht es momentan im Gebälk der Bauernhöfe. Zum einen sollen die landwirtschaftlichen Betriebe maximale Mengen makelloser Agrargüter und insbesondere große Mengen an Fleisch produzieren. Dies aber am besten umweltverträglich, tierwohlbedacht und zu Preisen, die ihnen vom marktmächtigen Groß- und Einzelhandel diktiert werden. Während der Klimawandel neue Schädlinge mit sich bringt, soll gleichzeitig der Einsatz von Pestiziden sinken.
Die Regierung versucht, die traditionell großzügig ausgeschütteten Direktzahlungen für die Branchen mehr an den Dekarbonisierungszielen des Landes auszurichten, scheitert damit aber bisher noch größtenteils am Widerstand der Bauernverbände. Laut Branchenkennern kann der Weg nur über weniger Tierbestände und mehr direkter Nahrungs- statt Futterproduktion führen, was aber auch mit veränderten Konsummustern einhergehen müsste.
Die ohnehin beschränkten Agrarflächen in der Schweiz werden zudem zunehmend für Besiedlung, Mobilität und Energiegewinnung nachgefragt. Eine Lösung könnten Smart Farming-Anwendungen bringen, welche die staatliche Agentur Agroscope in mehreren Projekten mit Unternehmen/Start-Ups entwickelt. Gefragt sind unter anderem neue Ansätze für umweltgerechte Tier- und Pflanzenzucht, integrierter Pflanzenschutz, wassersparende Bewässerungssysteme, Prognose- und Frühwarnsysteme sowie emissionsarme Stallkonzepte.
Projekt | Projektstand | Anmerkungen |
---|---|---|
Swiss Future Farm, Tänikon (Kanton Thurgau), Agroscope/AGCO/AVS Agrar | Seit 2017 | Testbetrieb für Smart Agrartech und Pflanzenschutz |
Pilotanlagen Vertical Farming, Conthey (Kanton Wallis) und Zürich, Agroscope/Yasai/Fenaco | Seit 2020 | z.B. Gewächshausprojekte für Basilikum, Minze, Koriander |
Versuchsstationen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft (Kantone Tessin, Wallis, Luzern, Thurgau, Schaffhausen), Agroscope/Agridea | Seit 2021 | z.B. Neobiota, Weinbau, Nährstoffflüsse, Smarte Technologien |
Agri-Fotovoltaik-Pilotanlage Insolagrin, Conthey (Kanton Wallis), Insolight/Romande Energie/Agroscope | Seit 2022 | Test neuartiger Solarmodule mit dynamischen Filtern, u.a.. Ziel, den Stromertrag und die Pflanzenernte zu optimieren |
Viel Ausrüstung und Vorprodukte aus dem Ausland
Die Neuzulassungen von Traktoren nahm von Januar bis November 2023 im Vergleich zur Vorjahresperiode um 1,6 Prozent auf 1.726 zu. Führende Marken waren Fendt (379), John Deere (314), New Holland (145) und Massey Ferguson (128). Transporter und Zweiachsmäher nahmen bei den Neuzulassungen deutlich zu, allerdings bei kleineren Stückzahlen. Ein Großteil der Landtechnik wird importiert, Traktoren vor allem aus Deutschland, Italien und Frankreich, andere Fahrzeuge neben Deutschland auch aus den Niederlanden und Österreich. Es sind aber auch lokale Hersteller am Markt, wie zum Beispiel bei Futtermischwagen Kuhn (Bucher Industries) oder bei Ladewagen Agrar.
Auch Saatgut und Pflanzenschutz kommen vielfach aus dem Ausland, obwohl Branchenriese Syngenta in Montey (Wallis) und Kaisten (Aargau) für den Weltmarkt produziert, genau wie Bayer Fungizide in Muttenz (Basel-Landschaft).
Durchwachsene Konjunktur sorgt für gemischte Aussichten
Nicht nur das Wetter schwankt zunehmend, sondern auch die Kosten der Produktionsmittel. Zwar gingen im Jahr 2023 die Ausgaben für Dünger und fossile Energieträger wieder etwas zurück, dafür stiegen die Kosten für Strom und Dienstleistungen. Insgesamt wuchsen die Ausgaben stärker als die Einnahmen. Schon im Jahr 2022 war der landwirtschaftliche Arbeitsverdienst zurückgegangen. Trotz hoher Lebensmittelpreise im Einzelhandel komme nur ein geringer Teil bei den Erzeugern an, so Marktkenner. Gegen eine geplante Kürzung des landwirtschaftlichen Budgets 2024 legte der Bauernverband folglich sein Veto ein.
Die von der Regierung angestrebten Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft stoßen auf Kritik, unter anderem weil sich die Kriterien der Förderung zu oft ändern und wenig an der langfristigen Investitions- und Produktionsplanung der Betriebe orientieren, sagen viele Landwirte. Das unstete Wetter beeinträchtigte 2023 besonders den Ackerbau negativ, während die tierische Produktion sich recht konstant hielt. Die gute Produktion von Futtermitteln könnte 2024 hier den Zusatzbedarf und auch den Import senken. Im Weinbau gab es 2023 das zweite Jahr in Folge eine gut Weinlese mit entsprechend positiven Folgen für 2024.
Branchenstruktur und Rahmenbedingungen
Die Landwirtschaft trägt zwar weniger als 1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz bei. Sie spielt aber eine strategisch wichtige Rolle für das Land. Da sich die Schweiz möglichst selbst ernähren will, unterstützt der Staat die Landwirtschaft mit hohen Direktzahlungen. Im Jahr 2023 bestand das Nettounternehmenseinkommen der Schweizer Landwirtschaft (rund 2,8 Milliarden Euro) ausschließlich aus diesen Direktzahlungen (rund 3 Milliarden Euro). Zudem schützt der Staat die Branche gegenüber der ausländischen Konkurrenz durch tarifäre und nicht-tarifäre Handelshemmnisse und Kontingente, auch wenn diese mit der Zeit abgebaut werden sollen. Im Warenhandel mit der EU ist der Agrarbereich vom Freihandel ausgenommen. Für Basisagrargüter besteht ein eigene bilaterales Abkommen.
Die Bruttowertschöpfung (Produktionswert minus Vorleistungen) der Schweizer Landwirtschaft lag 2023 bei 4,5 Milliarden Euro. Rund die Hälfte des Produktionswertes kommt aus der Tierwirtschaft, davon wiederum rund die Hälfte aus der Milchwirtschaft und die Hälfte aus der Fleischproduktion. Etwa zwei Drittel der Betriebe sind auf tierische Produkte spezialisiert. Von 1 Million Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche entfallen rund 58 Prozent auf natürliche Wiesen und Weiden, 38 Prozent auf Ackerland und 4 Prozent auf Rebflächen, Obstanlagen etc. Etwa ein Drittel des landwirtschaftlichen Produktionswertes entfällt auf den Pflanzenbau. Auf dem Ackerland werden hauptsächlich Getreide, Mais und Raps angebaut.
In der Schweiz nimmt nur die Zahl der Kleinstbetriebe zu, während die Zahl der mittleren Betriebe abnimmt. Jeder sechste landwirtschaftliche Betrieb der Schweiz ist bereits auf Bioprodukte spezialisiert. Beim Einsatz von Pestiziden wird regelmäßig die Belastung von Grundwasser etc. überprüft, woraus sich zunehmende Einschränkungen beim Einsatz bestimmter Stoffe ergeben. Im Vertrieb geht der Trend zu mehr Direktvermarktung und mehr Wertschöpfung auf dem Hof, nicht zuletzt um sich gegenüber den dominierenden Handelsketten etwas Luft zu verschaffen, allerdings ist der Anteil insgesamt noch niedrig.
Kennziffer | 2023 |
---|---|
Einwohner (Mio.) | 8,7 |
Ackerfläche (ha) | 396.599 |
Anteil der Landwirtschaft an der Entstehung des BIP (in %) *⁾ | 0,6 |
Exporte Agrargüter in Mrd. US-Dollar (SITC 0) *⁾ | 7,9 |