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Slowakei zementiert Rolle der Atomkraft

Die Slowakei setzt weiter auf die Kernenergie als wichtigste Stromquelle. Die Regierung hat den Bau eines weiteren Atomreaktors mit 1.200 Megawatt Leistung beschlossen.

Von Gerit Schulze | Bratislava

Atomenergie gilt in der Slowakei als unumstrittene Stromquelle, und ihre Bedeutung für die Energieversorgung soll weiter zunehmen. Mitte Mai 2024 beschloss die Regierung auf einer Sitzung, kurz vor dem Attentat auf Premierminister Robert Fico, den Bau eines neuen Kernreaktors. Als Standort ist Jaslovské Bohunice im Gespräch, etwa 60 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava. Das Wirtschafts- und das Finanzministerium sollen bis Ende Oktober 2024 ein Konzept zur Finanzierung und technischen Machbarkeit vorlegen.

Mit einer geplanten Leistung von 1.200 Megawatt würde der neue Meiler alle bisherigen Reaktoren der Slowakei in den Schatten stellen. Diese kommen bislang auf maximal 466 Megawatt. Die nötigen Investitionen werden auf 5 Milliarden Euro geschätzt. Mit einem Baubeginn wird allerdings nicht vor 2030 gerechnet.

Umsetzung mit tschechischem Partner

Um die Umsetzung des Vorhabens wird sich das halbstaatliche Unternehmen Jadrová energetická spoločnosť (JESS) kümmern. Es wurde 2009 als Joint-Venture des Staatsbetriebs JAVYS und des tschechischen Energieversorgers ČEZ gegründet. JAVYS kümmert sich in der Slowakei um die Lagerung und Entsorgung radioaktiver Abfälle sowie um den Rückbau stillgelegter Atommeiler. ČEZ ist der Betreiber der beiden tschechischen Atomkraftwerke (AKW) Temelín und Dukovany.

Laut Zeitplan könnte 2025 oder 2026 über die Wahl der Technologie für das AKW in Jaslovské Bohunice entschieden werden. Bislang laufen die bestehenden Anlagen in der Slowakei mit Technologie und Kernbrennstoff aus Russland. Für den neuen Reaktor komme ein russischer Anbieter aus politischer Sicht aber nicht in Frage, stellte die slowakische Wirtschaftsministerin Denisa Saková bereits klar.

Im Gespräch sind laut slowakischen Medien die US-amerikanische Westinghouse, die französische Framatome und die südkoreanische Korea Hydro Nuclear Power (KHNP). Westinghouse half der Slowakei in der Vergangenheit bereits beim Rückbau der Kühlsysteme an zwei stillgelegten Meilern in Bohunice.

Auch im Nachbarland Tschechien läuft zurzeit ein Auswahlverfahren für den Bau von gleich vier neuen Atomreaktoren. Dort will die Regierung noch in diesem Sommer den Technologielieferanten auswählen. Im Rennen sind Framatome und KHNP. Bratislava beobachtet die Entwicklung im Nachbarland deshalb sehr aufmerksam und will von den Erfahrungen bei der Ausschreibungsrunde lernen.

Zwei Drittel der Stromerzeugung aus Kernkraft

Kernkraft ist die wichtigste Stromquelle in der Slowakei. Der 2023 in Betrieb genommene dritte Meiler am Standort Mochovce sorgte für einen neuen Produktionsrekord von 18,3 Terawattstunden (TWh) Atomstrom.

Insgesamt stammen fast zwei Drittel der Stromerzeugung aus AKW. Dieser Anteil soll durch den neuen Reaktor auf bis zu 80 Prozent steigen.

In seiner Regierungserklärung von November 2023 sprach sich das Fico-Kabinett für den Ausbau der Kernenergie und von erneuerbaren Energiequellen aus. Zu den Prioritäten gehören die Fertigstellung eines vierten Reaktorblocks am Kraftwerk Mochovce (471 Megawatt Leistung, bis 2025) und der nun angestoßene Bau eines neuen Reaktors in Jaslovské Bohunice.

Kernbrennstoff künftig nicht mehr aus Russland

Außerdem will die Regierung bei Kernbrennstoffen die Abhängigkeit von russischen Lieferungen beenden. Dafür laufen Verhandlungen mit Westinghouse und EdF. Für abgebrannte Kernbrennstoffe soll laut dem Regierungsprogramm ein Managementsystem entwickelt werden. Mehr internationale Kooperationen sind bei der Nutzung kleiner modularer Kernreaktoren geplant.

Dafür bekommt das Land bereits finanzielle Zuwendungen von der US-Regierung. Experten des Energieserviceunternehmens Sargent & Lundy führen seit Anfang 2024 Felduntersuchungen durch und analysieren potenzielle Standorte für Kleinreaktoren. Laut Tageszeitung SME könnte die Beschaffung der Komponenten 2030 beginnen und die Bauarbeiten ab 2035 starten.

Stromverbrauch derzeit historisch niedrig

Fraglich ist allerdings, ob die neuen Kernkraftkapazitäten nicht zu einem Überangebot an Strom führen. Der Elektrizitätsverbrauch in der Slowakei war in den letzten Jahren gesunken und lag 2023 mit 26,5 Terawattstunden so niedrig wie seit Mitte der 1990er Jahre nicht mehr. 

Regierung erwartet Verdoppelung des Bedarfs

Die Regierung geht aber davon aus, dass der Strombedarf sich innerhalb von 30 Jahren auf 60 Terawattstunden verdoppeln könnte. Dazu trage die Elektrifizierung des Verkehrs (Elektromobilität) und der Industrie bei. In den Privathaushalten könnten Wärmepumpen die Stromnachfrage erhöhen. 

Außerdem will die Slowakei Geld mit dem Stromexport verdienen. Im Jahr 2023 konnte sie dank des neuen AKW-Blocks in Mochovce bereits Handelsüberschüsse erzielen. Vor allem das Nachbarland Ukraine mit seinen zerstörten Kraftwerken könnte ein dankbarer Abnehmer von slowakischem Strom werden.

Stromproduktion und -verbrauch in der Slowakeiin Terawattstunden (Twh)
Jahr

2022

2023

Produktion

26,92

29,96

Verbrauch

28,33

26,54

Saldo aus Export und Import

-1,41

3,42

Quelle: Slowakisches Stromübertragungsnetz SEPS 2024 (Slovenská elektrizačná prenosová sústava)

Zeitplan und Kosten liefen zuletzt aus dem Ruder

Ein Unsicherheitsfaktor bleiben die langen Planungs- und Bauphasen sowie hohe Kostensteigerungen für Atomkraftwerke. Der dritte Block am Standort Mochovce sollte ursprünglich 2013 ans Netz gehen und 2,7 Milliarden Euro kosten. Tatsächlich dauerte es zehn Jahre länger bei Baukosten von 6 Milliarden Euro. 

Nicht zuletzt deshalb setzt die Slowakei auch auf Wasserkraft und regenerative Energien. Im Energie- und Klimaplan bis 2030 geht das Wirtschaftsministerium von 8.700 Megawatt installierter Stromerzeugungsleistung im Land aus. Davon sollen 3.800 bis 4.600 Megawatt auf erneuerbare Quellen einschließlich Wasserkraft entfallen.

Selbst der künftige Bauherr des neuen Atomkraftwerks in Jaslovské Bohunice, JESS, errichtet ganz in der Nähe schon jetzt einen Solarpark, mit dessen Energie grüner Wasserstoff für den Verkehrssektor produziert werden soll. Geplant ist eine Fotovoltaikleistung von 48 Megawatt peak (MWp) und eine Jahresproduktion von 170 Tonnen Wasserstoff. 

Standort Jaslovské Bohunice 

In dem kleinen Ort bei Trnava ging 1972 der damals erste tschechoslowakische Atomreaktor ("Bohunice A1") in Betrieb, der aber nach zwei schweren Unfällen schon 1977 wieder stillgelegt wurde.

Anschließend wurden dort bis 1980 zwei Druckwasserreaktoren ("Bohunice V1") errichtet, die seit 2008 abgeschaltet sind. Dazu hatte sich die Slowakei im Rahmen des EU-Beitritts verpflichtet.

Heute sind in Jaslovské Bohunice noch zwei Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart am Netz ("Bohunice V2"). Sie wurden zu Beginn der 2000er Jahre modernisiert und stabilisiert.

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