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Wettbewerb im slowakischen Einzelhandel nimmt Fahrt auf
Neue Wettbewerber mischen den slowakischen Einzelhandel auf. Sie treiben die etablierten Ketten zu Investitionen, beunruhigen aber auch die einheimischen Lebensmittelhersteller.
20.02.2024
Von Gerit Schulze | Bratislava
Die Ankündigung schlug in der Slowakei hohe Wellen: Polens größte Supermarktkette Biedronka (die zur portugiesischen Unternehmensgruppe Jerónimo Martins gehört) will jenseits der Tatragipfel expandieren. Der Discounter sicherte sich bereits die Markenrechte, startete eine Fernsehkampagne und stellt Personal ein. Die ersten Supermärkte sollen Ende 2024 öffnen.
Enormer Preisdruck erwartet
Der etablierte Einzelhandel sieht die Ankunft des Discounters mit gemischten Gefühlen. "Das wird enormen Druck auf die Preise ausüben", sagte der Chef der slowakischen Allianz für modernen Handel (SAMO), Martin Krajčovič, im Interview mit der Wirtschaftszeitung Hospodárske noviny. "Bei Biedronka können wir davon ausgehen, dass der Produktmix überwiegend ausländisch sein wird." Da polnische Einzelhändler aufgrund des größeren Wettbewerbs Lebensmittel günstiger einkaufen könnten, rechnet Krajčovič mit viel Gegenwind für slowakische Lebensmittelhersteller. "Entweder verbilligen sie ihre Produkte oder sie werden Marktanteile verlieren."
In der Slowakei läuft das Geschäft mit schnelldrehenden Konsumgütern (FMCG) vor allem über den Preis. Der Einzelhandel (ohne Fahrzeughandel) hat ein Jahresvolumen von unter 30 Milliarden Euro und schwierige Jahre hinter sich. Zum zweiten Mal in Folge war die Inflationsrate 2023 zweistellig, wodurch die Verbraucher reale Einkommensverluste erlitten. Daher sanken 2023 laut Slowakischem Statistikamt die Einzelhandelsumsätze um real 4,5 Prozent.
Teure Konsumgüter derzeit wenig gefragt
Während Hyper- und Supermärkte Umsatzeinbußen von real 4,7 Prozent verbuchten, gingen sie in Baumärkten, Möbel- und Elektrofachgeschäften sogar um 15 Prozent zurück. Das deutet darauf hin, dass sich die Verbraucher bei teureren Konsumgütern zurückhalten. In Drogerien, Apotheken, Schuh- und Bekleidungsläden schrumpften die Erlöse um 5 Prozent. Umsatzsteigerungen von 11 Prozent verzeichneten Geschäfte für Computertechnik und Telekommunikation.
Weit verbreitet in der Slowakei ist der Einkaufstourismus Richtung Österreich, Polen und teilweise nach Ungarn. "Ein europäischer Haushalt muss im Durchschnitt 17 Prozent seines Einkommens für Lebensmittel ausgeben, bei uns sind es mehr als 26 Prozent", begründet SAMO-Verbandschef Krajčovič die Schnäppchensuche in den Nachbarländern.
Handelsmarken auf dem Vormarsch
Die schlechte Konsumstimmung führte 2023 dazu, dass der Anteil von Eigenmarken der Handelsketten (private labels) einen neuen Höchststand erreichte. Nach Angaben der slowakischen Lebensmittelkammer PKS lag er bei fast 27 Prozent. Bei Lidl sollen mehr als die Hälfte des Sortiments unter Handelsmarken verkauft werden, bei Kaufland ein Viertel, bei der slowakischen Kette Terno nur 5 Prozent. Die PKS sieht in dem Trend Gefahren für einheimische Hersteller, da sie nicht mehr so stark mit ihrer regionalen Herkunft werben können und durch ausländische Konkurrenz verdrängt werden.
Immer mehr Kunden scannen ihren Einkauf selbst
Unter dem Druck zunehmender Konkurrenz rüsten die Einzelhändler ihre Läden zum Beispiel mit Selbstbedienungskassen auf. Der Wirtschaftszeitschrift Trend zufolge bietet Tesco diesen Service in fast allen Läden an. Kaufland will bis Frühjahr 2024 alle slowakischen Standorte versorgen, Lidl bis Ende März die Mehrzahl. Bei etwa einem Viertel liegt der Anteil bei den Supermärkten Terno und Kraj. Laut Trend kostet eine Selbstbedienungszone mit vier Kassen rund 115.000 Euro.
Negative Handelsbilanz mit Lebensmitteln
Die slowakische Nahrungsmittelindustrie steht seit Jahren unter Druck ausländischer Produzenten. Die Importe (SITC-Warencodes 1 bis 9) hatten 2022 einen Wert von 5,2 Milliarden Euro. Dagegen erreichten die Ausfuhren nur 3,6 Milliarden Euro.
Die Lebensmittelkammer PKS schlägt daher vor, die Branche von administrativen Barrieren zu befreien und das Gütezeichen für einheimische Nahrungsmittel, Značka kvality SK, stärker zu bewerben. Derzeit dürfen rund 1.080 Produkte dieses Siegel tragen.
Der slowakische Handelsverband Zväz obchodu SR forderte die Regierung zu Jahresbeginn 2024 auf, die Versorgung mit einheimischen, regionalen Lebensmitteln zu verbessern. Im ländlichen Raum müssten Einzelhändler zur Not staatlich unterstützt werden, um "Lebensmittelwüsten" zu verhindern. Eingriffe in die Preisgestaltung der Händler lehnt der Verband aber ab.
Regierung nimmt Supermarktketten ins Visier
Er steht damit in Widerspruch zu Plänen der neuen Regierung unter Premier Robert Fico. Diese schrieb sich bei Amtsantritt den Kampf gegen überteuerte Lebensmittel auf die Fahnen. Im Gespräch sind eine Begrenzung der Gewinnmargen der Handelsketten oder eine Mehrwertsteuersenkung für Grundnahrungsmittel von 10 auf 5 Prozent. Außerdem sollen die Händler verpflichtet werden, regelmäßig Preisinformationen mit Gewinn- und Verlustrechnungen vorzulegen. Der Verband SAMO weist allerdings darauf hin, dass die Gewinnspannen der zwölf größten Handelsketten in der Slowakei schon jetzt nur 2,4 Prozent betragen.
Über den Neuankömmling Biedronka berichten slowakische Medien, dass die Kette in Polen in der Kritik steht - unter anderem wegen falscher Preisangaben und wegen verschleierter Herkunft der Produkte. So sollen portugiesische Äpfel und deutsche Kartoffeln als polnische gekennzeichnet worden seien. Die polnische Verbraucherschutzbehörde UOKiK hatte Biedronka deshalb zu Strafzahlungen verurteilt.
Handelskette | Umsatz in Mio. Euro (2022) | Anzahl der Filialen (2022) |
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Lidl Slovenská republika | 1.890 | 164 |
Tesco Stores | 1.640 | 161 |
Kaufland Slovenská republika | 1.550 | 77 |
Billa | 775 | 162 |
Labaš | 353 | 34 |
Terno | 216 | 159 |
Coop Jednota Krupina | 144 | 155 |
Coop Jednota Nové Zámky | 141 | 106 |
Milk-Agro | 126 | 195 |
Coop Jednota Žilina | 125 | 126 |
Bewegung auch im Non-Food-Handel
Biedronka ist aber nicht der einzige Neuling am Markt. Im Non-Food-Handel sorgt seit März 2023 der niederländische Discounter Action für Furore. Inzwischen hat der Sonderpostenhändler 15 Geschäfte im Land. Die Expansion soll nun Richtung Nordslowakei weitergehen. Action konkurriert mit den etablieren Ketten Pepco und Kik.
Im unteren Preissegment eröffneten 2023 auch die irische Fast-Fashion-Kette Primark und die auf Aktionspreise spezialisierte HalfPrice ihre ersten slowakischen Filialen in Bratislava. Ähnliche Käuferschichten spricht die deutsche Kaufhauskette Woolworth an, die nach einem Bericht der Tageszeitung Hospodárske noviny über eine Expansion in die Slowakei nachdenkt.
Für 2024 erwartet das slowakische Finanzministerium eine sinkende Inflationsrate und einen Reallohnzuwachs um knapp 4 Prozent. Das sollte auch den Einzelhandel beleben. Für neue Mitspieler also die richtige Zeit für einen Markteintritt.
Projektbezeichnung / Ort | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektstand | Projektträger |
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Dienstleistungszentrum mit Läden, Kultur-, Sport- und Bildungsausrichtung im Gewerbegebiet für Volvo / Valaliky Industrial Park Košice | 40 | Vorbereitungsphase; Wettbewerb für architektonische Auswahl ausgeschrieben | |
Košík / Markteintritt des tschechischen Online-Supermarktes für Lebensmitteln | k.A. | Vorbereitungen laufen; Start für 2024 geplant | |
Kik / Erweiterung um 5 Filialen | k.A. | Plan für 2024 | |
Neues Einkaufszentrum OP Centrum Retail 6 / Revúca | k.A. | Anfangsphase; Umweltverträglichkeitsprüfung wird nicht durchgeführt; Gebietsplan geändert; Baufertigstellung für Ende 2024 geplant | OP Centrum Retail 6 |
Lidl und Tesco: Erweiterung des Filialnetzes | k.A. | Suche nach neuen Standorten und Grundstücken | |
Billa: Erweiterung des Filialnetzes und Filialen bei OMV-Tankstellen | k.A. | bis 2025 70 Filialen an Tankstellen geplant | |
Erweiterung des Einkaufszentrums Aupark / Bratislava | k.A. | seit 2023 im Bau; Fertigstellung für Herbst 2024 geplant | |
XXXLutz: Bau großer Möbelhäuser / Žilina und Bratislava | k.A. | Bau in Žilina läuft seit 2023; Baubeginn in Bratislava und Fertigstellung für 2024 geplant |