Markets International 6/24 I Europa I Rohstoffe
Der große Lithiumrausch
Lithium ist ein Schlüsselrohstoff für die Energiewende. Europa hängt bei diesem Leichtmetall fast komplett von Importen ab. Doch das ändert sich gerade in großem Tempo.
12.12.2024
Von Oliver Idem, Gerit Schulze, Hans-Jürgen Wittmann
Europa ist im Rausch. Zwar nicht im Goldrausch, denn es ist kein Edelmetall, das diesmal für Phantasien sorgt, dafür aber das Leichtmetall Lithium. Es wird dringend gebraucht, um die Energie- und Verkehrswende auf dem alten Kontinent in Schwung zu bringen. Lithium steckt in großen Mengen in Batterien für Elektroautos und in Speichern für überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenkraft.
Bislang müssen die EU-Staaten den Rohstoff nahezu komplett aus Drittländern importieren. Den Weltmarkt dominieren Australien, Chile und China, auf die rund 90 Prozent des globalen Lithiumangebots entfallen. Besonders die hohe Abhängigkeit von China beim Batterievorprodukt Lithiumhydroxid ist Brüssel ein Dorn im Auge. Deshalb gehört Lithium zu den 17 strategisch wichtigen Rohstoffgruppen, die die EU im Critical Raw Materials Act definiert hat.
Markets International Ausgabe 6/24
Markets International 05/24 | © GTAIDieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 6/2024. Erfahren Sie, welche weiteren Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.
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Ziel ist es, bei der Weiterverarbeitung 40 Prozent des jährlichen Verbrauchs in Europa zu erzeugen. Und: die EU plant, mindestens zehn Prozent der Rohstoffe in der Europäischen Union zu gewinnen. „Das ist bei Lithium problemlos möglich“, meint Michael Schmidt, Lithiumexperte bei der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) in Berlin. Der Wirtschaftsgeologe hält sogar einen Zielwert von mehr als 40 Prozent für möglich, da die Vorkommen in Europa größer als erwartet ausfallen. „Wir haben in der EU derzeit zwischen 15 und 20 größere Projekte. Außerdem sehen wir außerhalb der EU – beispielsweise in Serbien und in Bosnien-Herzegowina – großes Potenzial; nach Kriegsende vielleicht auch in der Ostukraine.“
Bald entstehen Minen im Erzgebirge
Zu den wichtigen Lagerstätten gehört das Erzgebirge. Neue Erkundungen haben ergeben, dass dort allein auf der sächsischen Seite mehr als 400.000 Tonnen Lithium im Gestein schlummern. Das Unternehmen Zinnwald Lithium hat bereits ein umfangreiches Bohrprogramm abgeschlossen und will 2025 eine endgültige Machbarkeitsstudie vorlegen. „Wenn alle Genehmigungen vorliegen, wollen wir bis 2030 mit der Produktion beginnen“, sagt Geschäftsführer Marko Uhlig.
Quellen: 1) Mineral Commodity Summaries 2024, U. S. Department of the Interior, U. S. Geological Survey; 2) Dera Rohstoffinformationen Lithium 2023; 3) Dera Rohstoffinformationen (www.deutsche-rohstoffagentur.de)
Der größere Teil der Lagerstätte befindet sich jenseits des Gebirgskamms auf der tschechischen Seite. Dort ist der staatliche Energiekonzern ČEZ Mehrheitseigner am Unternehmen Geomet, das die Erschließung beim Ort Cínovec vorantreibt. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Cínovec mit rund drei Prozent der weltweiten Reserven eine der wichtigsten Lithiumlagerstätten ist“, sagt ČEZ-Sprecher Roman Gazdík. Der Investor plant im nahegelegenen Kohlekraftwerk Prunéřov eine Aufbereitungsanlage für das Lithiumerz. Das soll helfen, den Strukturwandel der Braunkohleregion zu bewältigen. Bis Ende 2024 will ČEZ eine neue Machbarkeitsstudie vorlegen: für die Lagerstätte auf tschechischer Seite und die anschließende Weiterverarbeitung.
Die aktuelle Talfahrt der Lithiumpreise spiele für die Investitionsentscheidung keine Rolle, betont Sprecher Gazdík. Auch Dera-Experte Schmidt geht davon aus, dass sich die Lithiumpreise wieder erholen. Der Markt sei noch sehr jung, relativ klein und entsprechend volatil. „Es gibt nur wenige große Player“, sagt Schmidt. „Geringe Bewegungen im Markt, auch auf Unternehmensebene, schlagen da heftig durch.“ Die zeitweise extrem hohen Preise der jüngeren Vergangenheit seien auch durch einen Hype getrieben gewesen – und die Angst, nicht genug abzubekommen.
Schmidt rechnet deshalb damit, dass die europäischen Lithiumprojekte weiterlaufen. Bei der Speichertechnologie ist kurzfristig keine Alternative zu Lithium-Ionen-Batterien in Sicht. Er hofft auf mindestens fünf bis sechs größere Produktionshubs, damit der Kontinent unabhängiger von Lieferungen aus Übersee wird.
"Der Bedarf der Industrie ist vorgezeichnet"
Michael Schmidt, Experte für Lithium bei der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) im Gespräch mit Markets International.
Warum braucht die deutsche Wirtschaft Lithium?
Die Energiewende und Stromspeicherung sind ein weltweites Thema. Für uns in Europa ist das allerdings besonders wichtig, weil die EU den Weg zur E-Mobilität regulatorisch vorgibt. In den nächsten 10 bis 15 Jahren kommen wir an der Batterietechnologie mit Lithium-Ionen-Akkus nicht vorbei. Insofern ist der Rohstoffbedarf der deutschen Industrie vorgezeichnet.
Kann Europa sich perspektivisch selbst mit Lithium versorgen?
Wir haben in Europa zwischen 15 und 20 Lithiumprojekte. In der EU sind Deutschland, Frankreich, Spanien, Portugal, Finnland, Tschechien und Österreich die Hotspots. Daneben gibt es beispielsweise Potenziale in Serbien und in Bosnien-Herzegowina. Der Critical Raw Materials Act verlangt für die EU zehn Prozent Eigenversorgung mit Lithium. Das ist problemlos möglich. Ich glaube, dass Europa bis 2030 sogar 40 bis 45 Prozent schaffen kann. Im Moment haben wir eine beinahe hundertprozentige Importabhängigkeit.
Wie schätzen Sie das Potenzial der Lithiumgewinnung durch Recycling ein?
Der EU-Act schreibt vor, dass 25 Prozent des europäischen Lithiumbedarfs ab 2030 aus dem Recycling kommen soll. Es gibt viele Firmen, die in das Geschäft einsteigen wollen. Die Prozesse sind bekannt, technisch funktioniert das. Die Frage ist, ob das Batterierecycling in Europa ökonomisch darstellbar ist. Die Firmen werden künftig mit variablen Rücklaufmengen verschiedener chemischer Zusammensetzungen und Qualitäten arbeiten müssen. Trotzdem brauchen wir auch diese Rohstoffquelle, um eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Ich rechne mit signifikanten Mengen Lithium aus dem Batterierecycling allerdings erst ab Mitte bis Ende der 2030er-Jahre.
Projekte von Finnland bis Portugal
Besonders viel Tempo macht zurzeit die finnische Firma Keliber Oy. Das Unternehmen ist auf Bergbau und Batteriechemie spezialisiert. Es will an der Westküste des Landes Lithium abbauen und in der Nähe zu Lithiumhydroxid raffinieren. Das Vorhaben kostet mehr als 500 Millionen Euro, fast ein Drittel finanziert die Europäische Investitionsbank. Schon 2025 soll die Produktion anlaufen. Der Plan sieht vor, pro Jahr 15.000 Tonnen Ausgangsstoffe für die Herstellung von Batterien zu produzieren.
Ein anderer europäischer Schwerpunkt entsteht auf der Iberischen Halbinsel. Allein in Portugal sind sieben Lithiumlagerstätten bekannt. In Guarda baut das Unternehmen Felmica bereits Lithium und Feldspat für die Glas- und Keramikindustrie ab. Künftig dürfte die Barroso-Mine nahe Boticas diese Abbaustätte in den Schatten stellen, denn sie bewegt sich in der Größenordnung von 1,3 Millionen Tonnen Rohmaterial. Der Betreiber Savannah Resources rechnet damit, dass der Fundort in Nordportugal sogar ergiebiger sein könnte als bislang angenommen.
Das weckt Interesse bei einem potenziellen Abnehmer: AMG Critical Materials mit Sitz in den Niederlanden. Der multinationale Konzern hat sich ein Vorkaufsrecht über fünf Jahre für ein Viertel der Produktion gesichert. Vor dem geplanten Herstellungsstart des Lithiumminerals Spodumen im Jahr 2026 stehen allerdings noch Naturschutzmaßnahmen und Infrastruktur an. Dann soll der Weg frei sein für Investitionen von insgesamt 260 Millionen Euro.
In Portugals Nachbarland Spanien liegen die Lithiumvorkommen in der dünn besiedelten Region Extremadura. Das Unternehmen Extremadura New Energies sicherte sich 2024 eine staatliche Förderung von 18 Millionen Euro. Die Regionalregierung unterstützt die Förderung der Rohstoffe und ihre Weiterverarbeitung zu 33.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr. Eine unterirdische Produktion soll sichtbare Auswirkungen auf die Landschaft minimieren. Außerdem ist geplant, den Maschinenpark zu elektrifizieren, damit das Unternehmen auf fossile Kraftstoffe verzichten kann. Das verbessert die Voraussetzungen für die Umweltverträglichkeitsprüfung, die vor der Umsetzung des 1,4 Milliarden Euro schweren Projekts noch ansteht.
Nördlich der Pyrenäen hat Frankreich das sogenannte Emili-Projekt im Sommer 2024 zum Vorhaben von „großem nationalen Interesse“ qualifiziert. Damit lassen sich Anhörungs- und Verwaltungsverfahren vereinfachen. Der vom Bergbaukonzern Imerys ab 2028 geplante Lithiumabbau am Standort Échassières befindet sich genau in der Mitte des Landes und könnte ein Vierteljahrhundert lang Rohstoffe für die Produktion von 700.000 Fahrzeugbatterien pro Jahr liefern. Die Konversionsanlage zur Lithiumverarbeitung soll in La Loue im Departement Allier südöstlich von Paris entstehen. Insgesamt rechnet Imerys für das Emili-Projekt mit Ausgaben von einer Milliarde Euro.
Lithium_Grafik_2In Bitterfeld wird schon veredelt
Längst über den Planungsstatus hinaus ist das Unternehmen AMG Bitterfeld. Dort ging Mitte September 2024 Europas erste Lithiumraffinerie in Betrieb. Jährlich können in der Anlage 20.000 Tonnen Lithiumhydroxid hergestellt werden – genug für 500.000 E-Auto-Batterien. Bislang müssen die Rohstoffe noch aus Brasilien angeliefert werden.
Als Lieferant in Europa würde sich Serbien eignen. Im Boden des Westbalkanlandes soll sich mit rund 1,2 Millionen Tonnen Lithium eines der größten bekannten Vorkommen in Europa befinden. Das Leichtmetall ist in einer unterirdischen Lagerstätte im Jadar-Tal nahe Loznica im Gestein gebunden. Ab 2028 will der britisch-australische Bergbaukonzern Rio Tinto mit der Förderung beginnen und aus dem Rohstoff jährlich rund 58.000 Tonnen Lithiumcarbonat produzieren.
Mitte Juli 2024 besiegelten Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, EU-Kommissions-Vize-Präsident Maroš Šefčovič und Bundeskanzler Olaf Scholz eine strategische Partnerschaft für nachhaltige Rohstoffe, Batteriewertschöpfungsketten und E-Mobile. Das Abkommen soll die Grundlage für die Erschließung der Vorkommen bilden. Neben den Steuern und Abgaben durch den Abbau des Rohstoffs setzt die serbische Regierung auch auf Einnahmen durch die Weiterverarbeitung in der Region. Im Gespräch ist der Aufbau einer Batteriezellenfertigung.
Die europäische Wirtschaft bekundet starkes Interesse an dem Vorhaben. Daimler und der Fiat-Hersteller Stellantis nahmen an der Unterzeichnung des Rohstoffabkommens mit Serbien teil und verhandeln nun mit Rio Tinto über den Zugang zur Mine. Deutsche Maschinenbauer stehen mit ihrer Expertise beim Abbau, Transport und der Aufbereitung bereit: „Unsere Mitgliedsunternehmen liefern seit Jahren weltweit Technologien, auch zur Gewinnung und Aufbereitung von Lithium“, erklärt Michael Schulte Strathaus, Vorsitzender des Fachverbandes Mining & Minerals beim Maschinenbauverband VDMA. Doch bis die Bagger in Serbien rollen, kann es noch dauern. Die Opposition, Teile der Zivilgesellschaft und Umweltschützer demonstrieren gegen das Projekt. Es bedrohe Tiere und Pflanzen in der Region, könnte den Fluss Jadar und das Grundwasser kontaminieren.
Proteste der lokalen Bevölkerung gehören bei fast allen Lithiumprojekten in Europa dazu, auch in Portugal gibt es Gegenwind. „Es ist wichtig, positive Beispiele für nachhaltige Bergbauprojekte zu nennen, die zeigen, dass die Gewinnung von Primärressourcen mit guten Lebensbedingungen und Erholungsmöglichkeiten in Einklang gebracht werden kann“, sagt Teresa Ponce de Leão, Geschäftsführerin der portugiesischen Energie- und Geologiebehörde LNEG.
Deshalb betonen deutsche Firmen so gern ihre Erfahrungen beim nachhaltigen Bergbau. „Die Einhaltung strenger Nachhaltigkeitskriterien ist ein zentrales Ziel unserer Mitgliedsfirmen“, sagt VDMA-Experte Schulte Strathaus. „Mit unserem Know-how können wir einen grundlegenden Beitrag zur Nachhaltigkeit solcher Projekte leisten.“