Wirtschaftsausblick | Tschechische Republik
Tschechien blickt mit Sorge auf die deutsche Konjunktur
Nach einem schwachen Jahr 2024 liegen Tschechiens Wachstumsaussichten für die kommenden Jahre wieder über dem EU-Durchschnitt. Die Industrie bleibt das Sorgenkind der Wirtschaft.
29.11.2024
Von Gerit Schulze | Prag
Top-Thema: Mit großen Zielen die Krise überwinden
Auch in Tschechien stehen 2025 Parlamentswahlen an, und der Urnengang wirft schon jetzt seine Schatten voraus. Laut aktuellen Umfragen verliert die derzeitige Regierung um Premierminister Petr Fiala im nächsten Herbst ihre Mehrheit.
Umso mehr versucht die Koalition, die seit Anfang Oktober 2024 nur noch aus vier statt fünf Parteien besteht, für Optimismus und Aufbruchstimmung zu sorgen. Das Verkehrsministerium kündigte an, den Ausbau der Infrastruktur zu beschleunigen. Ab 2025 startet der Ausbau des Eisenbahnhochgeschwindigkeitsnetzes an der Strecke zwischen Brno und Přerov.
Außerdem beginnt im kommenden Jahr der Bau von 50 neuen Autobahnkilometern; weitere 50 Kilometer werden für den Verkehr freigegeben. Bis 2033 soll das Basis-Autobahnnetz des Landes fertig sein.
Noch weiter in die Zukunft blickt der neue Industrieminister Lukáš Vlček. Er stellte eine Wirtschaftsstrategie vor, die Tschechien bis 2040 zu den zehn führenden EU-Ländern beim BIP pro Kopf machen soll. Der Weg dahin soll über mehr Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur führen. In der Industrie wird mehr Wertschöpfung durch stärkeren Fokus auf die Halbleiterproduktion und digitale Technologien angepeilt.
Ob diese Maßnahmen reichen, Tschechien an die Wirtschaftskraft Westeuropas heranzuführen, bleibt abzuwarten. Regierungschef Fiala versprach für seine Wiederwahl, dass die Gehälter bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode das deutsche Niveau erreichen. Experten halten das für unrealistisch, weil dafür jährliche Lohnerhöhungen von mindestens 25 Prozent nötig wären.
Wirtschaftsentwicklung: Staat und Verbraucher treiben das Wachstum an
Trotz des wirtschaftlichen Abschwungs beim wichtigsten Handelspartner Deutschland hat die Tschechische Republik im Jahr 2024 ein leichtes Wachstum erreicht. Das Finanzministerium rechnet in seiner Herbstprognose mit einem Plus von 1,1 Prozent. Für 2025 erwartet es eine deutliche Belebung.
Einzelhandel freut sich über steigende Kaufkraft
Vor allem die Inlandsnachfrage stützte 2024 das Wachstum. Zum einen konsumierten die Verbraucher wieder mehr. Der Reallohnanstieg (1. Halbjahr 2024: +4,5 Prozent) spiegelte sich bei den Zuwächsen im Einzelhandel wider. Davon profitierten besonders Hersteller von Kosmetika und Onlinehändler, die 2024 zweistellig zulegten. Der Trend wird sich 2025 fortsetzen, wenn die Reallöhne nochmals um über 4 Prozent steigen.
Zum anderen investiert der Staat stärker als in den Vorjahren. Ausgaben für Renten, Verteidigung, Bildung und Soziales legen zu. Der Ausbau der Infrastruktur wird mit Hilfe von EU-Fonds intensiviert. Viel Geld in die Hand nehmen muss der Staat, um die Folgen des Hochwassers von September 2024 abzumildern. Dabei waren Schäden von mehreren Milliarden Euro entstanden.
Haushaltsdefizit sinkt trotz höherer Ausgaben
Trotz der gestiegenen Ausgaben hat Tschechien seinen Staatshaushalt im Griff. Dank des 2024 in Kraft getretenen Konsolidierungspakets sinkt das Haushaltsdefizit von 3,8 Prozent des BIP (2023) auf 2,3 Prozent (2025).
Die Inflation steuert auf ihren Zielkorridor von 2 Prozent zu. Daher konnte die Nationalbank ČNB den Leitzins zwischen Februar und November 2024 gleich siebenmal in Folge auf 4 Prozent (Stand: 8. November 2024) senken. Fachleute erwarten weitere Zinsschritte nach unten für die nächsten Monate.
Dadurch verbessern sich die Rahmenbedingungen für Investitionen. Das ist dringend nötig, denn 2024 stiegen die Bruttoanlageinvestitionen um weniger als 1 Prozent. Die Lagerbestände schmolzen ab, weil die Unternehmen nicht auf ein Anziehen der Nachfrage setzten.
Dienstleister und Bauwirtschaft optimistischer
Doch das Stimmungsbild klart sich auf. Vor allem im Dienstleistungssektor und in der Bauwirtschaft blickten die Unternehmen im Oktober 2024 optimistischer in die Zukunft als ein Jahr zuvor.
Angespannt bleibt die Lage im verarbeitenden Gewerbe. Eine schwache Auslandsnachfrage, hohe Lohn- und Energiekosten und der immer noch ausgeprägte Fachkräftemangel setzen der Industrie zu. Von Januar bis September 2024 schrumpfte ihr Ausstoß gegenüber der Vorjahresperiode. Maschinenbauer und die Stahlindustrie büßten rund ein Zehntel ihrer Produktion ein. Die Fahrzeugindustrie stagnierte, und erste Kfz-Zulieferer schließen ihre tschechischen Fabriken. Im Oktober 2024 waren die Kapazitäten der Industrie zu 82 Prozent ausgelastet, was unter dem langjährigen Durchschnitt lag.
Exportüberschuss schrumpft allmählich
Die Auslandsnachfrage nach Autos, Maschinen und anderen Exportgütern ist derzeit schwach. In den ersten drei Quartalen 2024 lag das Ausfuhrvolumen auf Vorjahresniveau. Für die Jahre 2025 bis 2027 erwartet das Finanzministerium zwar wieder Exportzuwächse von jeweils über 3 Prozent. Doch die Importe von Waren und Dienstleistungen steigen wegen der guten Konsumstimmung noch stärker: 2025 um 5,6 Prozent und 2026 um 4,7 Prozent.
Deutsche Perspektive: Ende der Durststrecke in Sicht
Die deutschen Exporte nach Tschechien entwickeln sich schwächer als die Ausfuhren in andere Länder Mittelosteuropas. In den ersten drei Quartalen 2024 sank das Liefervolumen um 3,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Neue Investitionsprojekte deutscher Unternehmen sind selten geworden. Die meisten Vorhaben beschränken sich auf Erweiterungen bestehender Anlagen. Laut AHK World Business Outlook von Herbst 2024 klagt jede zweite deutsche Firma in Tschechien über schwache Nachfrage. Außerdem verderben die gestiegenen Lohnkosten, der Fachkräftemangel und die Energiekosten das Geschäft.
Ab 2025 könnten die Konjunkturbelebung, die erwarteten Importzuwächse und große Infrastrukturvorhaben in Tschechien die Chancen für deutsche Produkte wieder verbessern. Fast jedes zweite Unternehmen erwartet für die kommenden zwölf Monate eine positivere Geschäftsentwicklung.
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