Rechtsbericht Türkei Coronavirus
Türkei: Coronavirus und Verträge
Auch in der Türkei breitet sich das Coronavirus immer mehr aus und schränkt die wirtschaftlichen Tätigkeiten im Land erheblich ein. Was bedeutet das aus rechtlicher Sicht?
16.12.2020
Von Jakob Kemmer | Bonn
Einleitung
Die Ausbreitung des Coronavirus führt auch in der Türkei zu verstärkten Einreisekontrollen und Gesundheitsprüfungen. Ebenso sind durch die Pandemie viele Lieferketten unterbrochen, viele Unternehmen können ihre Verpflichtungen aus internationalen Handelsverträgen nicht mehr rechtzeitig oder gar nicht mehr erfüllen. Daher stellt sich die Frage, was das türkische Recht zum Ausfall von Vertragsleistungen durch ein unvorhergesehenes Ereignis wie das des Coronavirus sagt?
Gibt es eine Klausel über "Höhere Gewalt" im Vertrag und was deckt sie ab?
Zunächst sollte man klären, ob der Vertrag eine eigene Klausel über "Höhere Gewalt" beinhaltet. In den meisten Fällen wird "Höhere Gewalt" als ein Ereignis definiert, das sich der Kontrolle der Parteien entzieht, dessen Verhinderung unzumutbar ist und das gleichzeitig die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen der Parteien wesentlich beeinflusst.
Der Begriff "Höhere Gewalt" wird aber nicht in allen Handelsverträgen einheitlich verwendet und kann je nach Parteivereinbarung unterschiedliche Umstände umfassen. Daher ist es möglich, dass einige der von den Parteien festgelegten Klauseln über "Höhere Gewalt" zwar „Pandemien“ enthalten, andere jedoch nicht. Klauseln über "Höhere Gewalt" verlangen im Allgemeinen, dass die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen als Folge des Ereignisses unmöglich sein muss und nicht einfach nur belastender ist. Sie können auch zusätzliche Anforderungen zur Erklärung "Höherer Gewalt" mit sich bringen, wie zum Beispiel die Pflicht, die Gegenpartei innerhalb einer angemessenen Frist zu benachrichtigen, wenn ein Ereignis höherer Gewalt eintritt, und, was noch wichtiger ist, die Pflicht, die Verluste zu mindern. Darüber hinaus listen einige Klauseln über "Höhere Gewalt" die Ereignisse, die eine "Höhere Gewalt" darstellen, abschließend auf, während sich die Parteien in anderen Fällen damit begnügen, nur Beispiele solcher Ereignisse zu nennen.
Als ein ähnliches Konzept enthalten einige Verträge auch Bestimmungen, die als „Härteklauseln“ bekannt sind. Härteklauseln sollen Umstände abdecken, in denen das Gleichgewicht eines Vertrags aufgrund unvorhergesehener Ereignisse, die eine der beteiligten Parteien übermäßig belasten, zusammenbricht. Daher verpflichten diese Klauseln die Parteien in der Regel dazu, die Vertragsbedingungen anzupassen, um mit den unvorhergesehenen Umständen umgehen zu können.
Keine Klausel über "Höhere Gewalt" im Vertrag - was sagt das türkische Recht?
Manchmal enthalten Verträge keine Klausel über "Höhere Gewalt", aber die meisten Verträge enthalten eine Bestimmung über das anwendbare Recht. Wenn der Vertrag also keine Klauseln über "Höhere Gewalt" enthält, kann sich eine Partei auf das anwendbare Recht berufen, um möglicherweise von ihren vertraglichen Verpflichtungen befreit zu werden.
Der Begriff der „Höheren Gewalt“ ist im türkischen Obligationenrecht allerdings nicht definiert. Vielmehr können sich die Parteien gemäß der Artikel 136, 137 und 138 des Obligationengesetzbuches (OGB) auf die Artikel über die Unmöglichkeit der Erfüllung berufen. Wird die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung aus einem Grund unmöglich, der nicht vom Verpflichteten zu vertreten ist, wird der Verpflichtete gemäß Artikel 136 OBG von der Erfüllung befreit. Das türkische Obligationengesetz sieht auch den Widerruf von Verträgen nach Artikel 138 vor, wonach der Schuldner bei Gericht eine Anpassung oder einen Widerruf des Vertrags beantragen kann, falls nach der Vertragserfüllung ein unerwartetes Ereignis eintritt, das unvorhergesehen war und vom Schuldner nicht vorhergesehen werden konnte.
Darüber hinaus wird eine Epidemie im türkischen Gesetz über das öffentliche Auftragswesen mit der Nummer 4735 ausdrücklich als Ereignis höherer Gewalt aufgeführt. Dementsprechend können sich die türkischen öffentlichen Einrichtungen, die Verträge mit von Coronavirus betroffenen Gegenparteien gemäß dem genannten Gesetz abgeschlossen haben, ebenfalls auf "Höhere Gewalt" berufen und den Vertrag kündigen oder eine Fristverlängerung beantragen. Es sollte hier jedoch betont werden, dass es keine Rechtsprechung gibt, die sich speziell mit einem solchen Fall befasst.
Rechtsfolge
Nach türkischem Recht haftet der Schuldner grundsätzlich für den Ersatz der Verluste durch das Ausbleiben der Vertragserfüllung, es sei denn, der Schuldner benachrichtigt den Gläubiger sorgfältig und rechtzeitig über die Unmöglichkeit der Erfüllung der Verpflichtungen und trifft die erforderlichen Vorkehrungen, um eine Erhöhung des Schadens zu verhindern. Wenn das Coronavirus unter den Begriff der „Höheren Gewalt“ fällt, besteht die Rechtsfolge dann grundsätzlich in der Befreiung der Parteien von ihren vertraglichen Verpflichtungen und der Beendigung des Vertrags beziehungsweise in der Aussetzung dieser Verpflichtungen für die Dauer des Ereignisses höherer Gewalt zur Folge.
In der türkischen Rechtsprechung gibt es bereits mehrere höchstrichterliche Präzedenzfälle, die Epidemien als Ereignisse bestimmen, die vom Verpflichteten nicht zu vertreten sind und die in der Folge die vertragliche Verpflichtung unmöglich machen. Es bleibt abzuwarten, ob dies für das Coronavirus ebenso sein wird.
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