Rechtsbericht Ägypten Coronavirus
Ägypten: Coronavirus und Verträge
Aktuell sind in Ägypten durch das sich ausbreitende Coronavirus viele Vertragsbeziehungen in Frage gestellt. Welche Antwort gibt das ägyptische Recht darauf?
16.12.2020
Von Jakob Kemmer | Bonn
Einleitung
Auch Ägypten hat das Coronavirus fest im Griff. Dies wirkt sich unweigerlich auch auf den Geschäftsverkehr aus. Vor allem der für das Land so überlebensnotwendige Tourismussektor steht still. Aber auch viele Vertragsbeziehungen im internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr mit Ägypten stehen daher nun aufgrund von unterbrochenen Lieferketten vor einer unklaren Zukunft. Welche Antwort gibt das ägyptische Recht, wenn eine Vertragserfüllung durch ein Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus nicht mehr wie vereinbart möglich ist oder gar gänzlich unmöglich geworden ist?
Regelungen für besondere Umstände
Aktuell stehen in Ägypten aufgrund des sich ausbreitenden Coronavirus viele Vertragsbeziehungen vor einer ungewissen Zukunft. Während die Personenluftfahrt vorerst fast gänzlich wegbricht, ist auch der Warenfrachtverkehr per Luft nur noch mit Ausnahmeregelungen aufrechtzuerhalten. Das Land ist auf die wenigen Exportgüter (Früchte und Textilien) angewiesen. Bereits viele Lieferketten nach und innerhalb Ägyptens sind unterbrochen, sodass sich die Frage stellt, welche Antwort das ägyptische Recht auf ein unvorhergesehenes Ereignis wie den Ausbruch des Coronavirus gibt.
Normativer Ansatz dafür ist Artikel 215 des ägyptischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Danach schuldet die vertragsbrüchige Partei für die Nichterfüllung von Verträgen Schadensersatz. Es sei denn, diese Partei kann nachweisen, dass ihre Nichterfüllung auf einen Grund zurückzuführen ist, auf den sie keinen Einfluss hat. Dabei unterscheidet das ZGB zwischen dem „Härtefall“, geregelt in Artikel 147, und „höherer Gewalt“, festgeschrieben in Artikel 159 und 373 ZGB.
Was ist ein "Härtefall"?
Das ägyptische Zivilgesetzbuch definiert den Begriff des Härtefalls in Artikel 147 Absatz 1 ZGB als ein außergewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis allgemeiner Art, das nach Vertragsschluss eingetreten ist und die Erfüllung eines Vertrages „belastet“. Ein Ereignis ist dabei außergewöhnlich und unvorhersehbar, wenn sein Eintreten selten und somit nicht gewöhnlich ist. Die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gilt weiter dann als „belastet“, wenn diese zwar noch möglich, aber so nachteilig für die vertragsbrüchige Partei wäre, dass dieser schwere Verluste drohen würden. Absatz 2 des Artikel 147 ZGB sieht genau für diese Fälle eine Ausnahmeregelung vor:
„Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und Abwägung der beidseitigen Interessen der Vertragsparteien kann das Gericht die vertraglich vereinbarte Verpflichtung des Schuldners anpassen, wenn nach Vertragsschluss ein außergewöhnliches unvorhersehbares Ereignis allgemeiner Natur eintritt, das die Erfüllung des Vertrages zwar nicht unmöglich macht, den Schuldner aber in einer Weise belastet, dass er die geschuldete Leistung nur mit erheblichen Einbußen erbringen kann.“
Das Gesetz gibt dem Richter durch die Verwendung sogenannter unbestimmter Rechtsbegriffe viel Auslegungsspielraum. Ob ein Ereignis „unvorhersehbar“ ist, kann durchaus unterschiedlich beantwortet werden. Gewünscht ist dann sicherlich, dass ein Richter, je nach Tatbestand und nach den Interessen beider Parteien einen Ausgleich herbeiführt. Es ist aber ebenso vorstellbar, dass in Zeiten des Coronavirus in Ägypten gerichtlicher Schutz bei unterbrochenen Lieferketten an dem Begriff der Unvorhersehbarkeit scheitert. Abschließend sei noch erwähnt, dass Artikel 147 Absatz 2 ZGB eine dispositive Vorschrift darstellt, was bedeutet, dass auch im Bereich der Härtefallregelung individuelle Vertragsgestaltung möglich ist. Eine solche darf die Vorschrift aber natürlich nicht unterlaufen, indem beispielsweise der Schuldner dadurch schlechter gestellt würde, als es das Gesetz vorsieht.
Höhere Gewalt
Höhere Gewalt wird definiert als ein außergewöhnliches Ereignis, das nach Vertragsabschluss eintritt und zu diesem Zeitpunkt nicht vorhersehbar war und zugleich die Erfüllung des Vertrages unmöglich macht. Wie beim „Härtefall“ wird auch „höhere Gewalt“ durch externe Ereignisse ausgelöst, die außerhalb der Kontrolle der Vertragsparteien liegen. Anders als beim „Härtefall“ muss bei „höherer Gewalt“ das äußere Ereignis nicht zwingend von allgemeinem Charakter sein.
Der Hauptunterschied zwischen „höherer Gewalt“ und einem „Härtefall“ besteht also darin, dass im Falle des Letzteren die Erfüllung des Vertrages noch möglich ist, aber zu belastenden Nachteilen für die vertragsbrüchige Partei führt. „Höhere Gewalt“ dagegen macht die Vertragserfüllung gänzlich unmöglich, wobei es hier auf die „objektive Unmöglichkeit“ ankommt. Ganz ähnlich wie im deutschen Recht, muss die Vertragserfüllung für jedermann ausgeschlossen sein. Das heißt auch ein Dritter darf die Vertragsverpflichtung nicht erfüllen können.
Prozessuales
Die Partei, die sich auf „höhere Gewalt“ oder einen „Härtefall“ berufen möchte, muss die konkreten, spezifischen Auswirkungen des jeweiligen Ereignisses vor Gericht nach- und beweisen. Es besteht also eine sogenannte Beweislast zulasten der vertragsbrüchigen Partei. Diese muss die Kausalität für den drohenden Nachteil durch Vertragserfüllung beziehungsweise die Unmöglichkeit der Vertragserfüllung durch den Eintritt des unvorhergesehenen Ereignisses darlegen. Mit einem abstrakten Hinweis auf den Coronavirus kommt man der Darlegungs- und Beweispflicht auch im ägyptischen Recht nicht nach.
Ägypten hatte seit dem 16. März 2020 alle laufenden Gerichtsverfahren zunächst für die Dauer von zwei Wochen ausgesetzt. Eine mehrmalige Verlängerung dieser Maßnahme endete endgültig am 23. Mai 2020.
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