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Rechtsbericht | Türkei | Arbeitsrecht

Arbeitsrecht

Die nachstehende Zusammenfassung gibt potenziellen deutschsprachigen Investoren einen ersten komprimierten Überblick über das türkische Arbeitsrecht.

Von Satı Gör Tekbaş (AHK Istanbul) | Istanbul

Gesetzliche Regelungen auf einen BlickStand 4.9.24
Vergütung: Freie Vereinbarung möglich
Mindestlohn: 17.002 Türkische Lira (netto) *)
Arbeitsstunden pro Woche: Max. 45 Stunden
Zulässige Überstunden: Max. 270 Stunden/Jahr
Bezahlte Feiertage: 15,5 Tage
Bezahlte Urlaubstage: Je nach Betriebszugehörigkeit 14 bis 26 Tage
Sonderzahlungen pro Jahr in Monatslöhnen (13. und/oder 14. Gehalt): Nicht gesetzlich geregelt
Tage mit Lohnfortzahlung bei Krankheit: Keine maximale Begrenzung vorhanden. Der Arbeitgeber kann bei der Lohnfortzahlung die Arbeitsunfähigkeitszahlung der Sozialversicherung (Krankengeld) vom Lohn des Mitarbeitenden abziehen. Der Arbeitgeber kann dem Beschäftigten bei unheilbarer Krankheit kündigen.
Probezeit: Max. 2 Monate, kann jedoch durch Tarifvertrag bis auf 4 Monate verlängert werden.
* Brutto: 20.002,50 Türkische Lira (TL) (ab 1.1.24).Quelle: Nr. 4857 Türkisches Arbeitsgesetz 2024

Rechtsgrundlagen

Maßgebliche Quelle des Individualarbeitsrechts ist das Gesetz Nr. 4857 vom 22. Mai 2003 (ArbG), das im Amtsblatt Nr. 25134 vom 10. Juni 2003 verkündet wurde und am selben Tag in Kraft trat. Flankiert und ergänzt wird das Gesetz durch eine ganze Reihe von Verordnungen, wie durch die Verordnung über Mehrarbeit und Überstunden, die im Amtsblatt Nr. 25425 vom 06. April 2004 veröffentlicht wurde. Für bestimmte Berufsgruppen wie Seeleute und Journalisten gelten Sondervorschriften. Subsidiär sind die allgemeinen Vorschriften des Obligationengesetzbuchs heranzuziehen.

Vertragsabschluss 

Artikel 8 Abs. 1 ArbG definiert ein Arbeitsverhältnis als einen Vertrag, kraft dessen sich eine Partei (Arbeitnehmer) einer anderen (Arbeitgeber) gegenüber verpflichtet, in Weisungsabhängigkeit und gegen Entgelt Arbeitsleistungen zu erbringen.

Ein solcher Vertrag kann auf unbestimmte Zeit oder befristet abgeschlossen werden. Im Grundsatz unterliegt der Arbeitsvertrag keiner Form, er kann also auch mündlich oder stillschweigend geschlossen werden. Eine Schriftform ist allerdings dann erforderlich, wenn es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handelt, dessen Laufzeit auf die Dauer von mindestens einem Jahr angelegt ist (Artikel 8 Abs. 2 ArbG). Ein Verstoß gegen dieses Formerfordernis führt gleichwohl nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrages, sondern lediglich zur Unwirksamkeit seiner Befristung. Er gilt dann als von Anfang an unbefristet.

Rechte und Pflichten der Vertragsparteien

Der Beschäftigte schuldet die Verrichtung der vertraglich vereinbarten Arbeit. Dabei unterliegt er der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers, die allerdings ihre Schranken in den gesetzlichen, tarif- oder arbeitsvertraglichen Vorgaben findet. So normiert beispielsweise Artikel 63 ArbG die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf 45 Stunden, Überstunden sind nach Art. 41 ArbG in Verbindung mit Art. 4 und 5 der "Verordnung für Mehrarbeit und Überstunden" nur bis zu einer Höhe von 270 Stunden im Jahr zulässig und mit einem Zuschlag von 25 bis 50 Prozent des regulären Lohns zu vergüten.

Wettbewerbsverbote können für ein laufendes Vertragsverhältnis vereinbart werden. Nachvertragliche Wettbewerbsverbote entfalten indes nur unter den einschränkenden Voraussetzungen der Art. 444 bis 447 des Obligationengesetzbuchs (Türk Borclar Kanunu), veröffentlicht im Amtsblatt Nr. 27836 vom 4. Februar 2011, Wirkung. Sie unterliegen der Schriftform, können maximal für die Dauer von zwei Jahren (Art. 445) vereinbart werden, müssen hinreichend bestimmt sein und setzen unter anderem einen drohenden Schaden für den Dienstherrn voraus.

Der Arbeitgeber hingegen schuldet den vereinbarten Lohn, dessen Mindesthöhe vom Gesetzgeber in jährlichen Intervallen festgelegt wird. Ungeachtet anderer Absprachen hat der Arbeitgeber den Lohn nach Artikel 32 Abs. 2 ArbG lediglich in türkischer Währung zu leisten (unter Umständen zum jeweiligen Tageskurs). Geht der Lohn nicht fristgerecht ein, steht dem Mitarbeitenden ein Kündigungsrecht im Sinne des Artikels 24 ArbG zu. Die Verjährungsfrist für Lohnforderungen beträgt fünf Jahre (Artikel 32 Abs. 8 ArbG).

Ansprüche auf bezahlten Erholungsurlaub entstehen dem Mitarbeitenden erstmalig nach einer einjährigen Wartezeit (Artikel 53 Abs. 1 ArbG). Die Zahl der jährlichen Urlaubstage bemisst sich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Danach stehen Beschäftigten in den ersten 5 Jahren 14 Tage, in den darauffolgenden 10 Jahren 20 Tage und ab einer Betriebszugehörigkeit von insgesamt 15 Jahren 26 Tage Jahresurlaub zu.

Vertragsbeendigung 

Falls eine Probezeit vereinbart wurde, können alle Arbeitsverhältnisse, auch die befristeten, während des entsprechenden Zeitraums ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist (bildirim süresi) gekündigt werden (Artikel 15 ArbG). Ansonsten ist eine einseitige Lösung von befristeten Vertragsverhältnissen nur bei Vorliegen eines zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grundes statthaft. Für die Definition eines solchen berechtigten Grundes (hakli neden) bleibt das Gesetz schuldig. Allerdings finden sich in Artikel 24 ArbG (für den Mitarbeitenden) und in Artikel 25 ArbG (für den Arbeitgeber) beispielhafte Aufzählungen, unter denen zum Beispiel gesundheitliche Umstände, verschiedene Tatbestände an grobem Fehlverhalten der anderen Seite oder bestimmte Erscheinungsformen höherer Gewalt aufgelistet sind. Stützt sich die Kündigung auf ein Fehlverhalten, ist sie innerhalb einer sechstägigen Frist ab Kenntnisnahme, spätestens jedoch innerhalb eines Jahres ab Tatbestandsverwirklichung, auszusprechen (Artikel 26 ArbG).

Auch unbefristete Vertragsverhältnisse können nach Maßgabe der soeben dargestellten Artikel 24 ff. ArbG außerordentlich, also fristlos, gekündigt werden. Was die ordentliche Kündigung anbelangt, so ist dahingehend zu differenzieren, ob der besondere Kündigungsschutz der Artikel 18 ff ArbG eingreift oder nicht. Im Normalfall bedarf es zur ordentlichen Kündigung keines besonderen Grundes. Lediglich eine Kündigungsfrist, die sich in Abhängigkeit zur Betriebszugehörigkeit berechnet, ist nach Maßgabe folgender Staffelung einzuhalten (Artikel 17 ArbG).

Betriebszugehörigkeit

Dauer im Unternehmen

Kündigungsfrist

Bis zu 6 Monate

2 Wochen

Von 6 bis 18 Monate

4 Wochen

Von 18 Monate bis 3 Jahre

6 Wochen

Mehr als 3 Jahre

8 Wochen

Auf den besonderen Kündigungsschutz der Artikel 18 bis 21 ArbG können sich diejenigen berufen, deren unbefristetes Vertragsverhältnis bereits sechs Monate währt und deren Arbeitgeber in derselben Branche, nicht unbedingt im selben Betrieb, mindestens 30 Mitarbeitende beschäftigt. Eine Kündigung ist dann nur bei Vorliegen eines gültigen Grundes (gecerli sebep) rechtmäßig, auf dessen inhaltliche Bedeutung nicht näher eingegangen wird.

Der Grund muss aus dem Kündigungsschreiben jedenfalls eindeutig hervorgehen, andernfalls ist die Kündigung schon aus formellen Gründen unwirksam (Art. 19 Abs. 1 ArbG)

Rechtspraxis

Das Arbeitsrecht der Türkei kann nicht allein dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht zugeordnet werden, denn es vereint in sich Elemente aus beiden Rechtsgebieten. Daraus ergibt sich der sogenannte Mischcharakter des türkischen Arbeitsrechtes. Beispielregelungen aus der Praxis dienen der Veranschaulichung.

Die Vorschriften bezüglich der Beschäftigungsverhältnisse in der Türkei gehören zu den striktesten in den OECD-Ländern. In der Praxis werden die damit zusammenhängenden Probleme, vor allem im Falle der Beendigung von Arbeitsverträgen, gewöhnlich durch angemessene finanzielle Abfindungen geregelt. Deren Höhe wird durch Verhandlungen bestimmt. Unabhängig von den auf freiwilliger Basis gezahlten Abfindungen sieht das türkische Arbeitsrecht die sogenannte Dienstaltersabfindung ("Kidem Tazminati") vor. Diese im internationalen Vergleich großzügige Abfindung, die der Arbeitgeber bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach einer Beschäftigungsdauer von mindestens zwölf Monaten auszuzahlen hat, stellt eine vergleichsweise hohe Kostenbelastung dar.

Die Türkei gehört laut Weltbank zu den Ländern mit den höchsten Kosten der Personalentlassung. Bei einer Arbeitskraft nach 20 Jahren Betriebszugehörigkeit entspricht die Abfindung einer Lohnsumme von etwa 87 Wochen. Die gesetzliche Dienstaltersabfindung beträgt ein Monatsgehalt pro Jahr der Beschäftigung. Sie hat eine Obergrenze, die laufend angepasst wird.

Eine gängige Praxis ist, dass Mitarbeitende nach Eintritt in den Ruhestand, Erhalt der Dienstaltersabfindung und Bezug der Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung am selben Arbeitsplatz unter geringfügig veränderten Bedingungen weiterbeschäftigt werden. Dabei haben Arbeitgeber und Beschäftigte prämienähnliche Abgaben an die Sozialversicherungsanstalt zu entrichten.

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