Wirtschaftsumfeld | Türkei | Währungsabwertung und Inflation
Die Risiken im Türkeigeschäft steigen
Die Wirtschaft wächst, aber das Wachstum ist teuer erkauft: Die Inflation ist hoch und die Währung schwach. Trotz steigender Unsicherheiten investieren viele Unternehmen.
03.02.2022
Die türkische Wirtschaft legte 2021 kräftig zu. Doch das Wachstum dürfte abflauen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan setzt auf eine neue Wirtschaftspolitik mit künstlich niedrigen Zinsen und schwacher Währung. Die Inflation ist hoch und lässt die reale Kaufkraft der Haushalte schwinden. Zudem hat die Zentralbank ihre Unabhängigkeit verloren. Erdoğan scheint nicht bereit, seinen Kurs zu ändern. Damit bleibt die Türkische Lira anfällig für weitere Kursabstürze. Währungsverfall und ausufernde Inflation drohen das Land in eine Finanz- und Wirtschaftskrise zu stürzen.
Im Dezember 2021 kletterte die Inflation, basierend auf den Verbraucherpreisen, offiziell auf 36 Prozent. Andere Wirtschaftsinstitute schätzen sie auf 80 Prozent.
Die Inflation dürfte weiter steigen: Ein Blick auf die Produzentenpreise im Dezember 2021 zeigt einen Anstieg im Jahresvergleich, der auch 80 Prozent beträgt. Die gewerblichen Erzeugerpreise gelten als Frühindikator für die Entwicklung der Verbraucherpreise. Denn die Unternehmen werden einen Teil der entstehenden Kosten an die Endverbraucher weitergeben.
Gegen die hohe Inflation geht Erdoğan mit niedrigen Leitzinsen vor. Nach gängiger makroökonomischer Theorie erreicht er damit das Gegenteil: Niedrigzinsen erhöhen über mehr Kredite und geringere Spareinlagen die Geldmenge im Umlauf und befeuern so die Inflation. Diese lässt die Kaufkraft der Löhne schwinden und verbrennt die Spareinlagen. Die Bevölkerung flüchtet sich in Gold, US-Dollar, Kryptowährung, Immobilien und Autos. Dadurch sinkt der Wechselkurs der Lira. Außerdem ziehen Kapitalanleger bei niedrigen Zinsen Gelder ab. Sie verkaufen ihre Lira, das Angebot an Lira erhöht sich und der Wechselkurs sinkt weiter.
Vertrauensverlust in die Lira
Die türkische Zentralbank setzte den Leitzins im Jahr 2021 mehrfach auf Drängen Erdoğans herab - von anfangs 19 auf 14 Prozent. Das liegt deutlich unter der Inflationsrate. Ende 2021 geriet der Kurs der türkischen Lira außer Kontrolle: Am 20. Dezember 2021 fiel er auf ein Rekordtief von 20 Lira für einen Euro.
Um den Kurs zu stützen, intervenierte die Zentralbank zum Jahresende 2021 mehrfach und verkaufte US-Dollar gegen Lira. Ihr gelang es aber nur teilweise, den Kursverlust zu bekämpfen. Der Handlungsspielraum für weitere Devisenverkäufe ist zudem begrenzt. Die internationalen Währungsreserven der Türkei belaufen sich laut Zentralbank auf 110 Milliarden US-Dollar (14. Januar 2022). Wenn jedoch Forderungen aus Swapgeschäften und kommerziellen Währungskrediten abgezogen werden, wäre der Wert Analysten zufolge im Minus.
Erdoğan hat weitere Zinssenkungen angekündigt. Gleichzeitig bereitet die US-amerikanische Notenbank Zinserhöhungen vor. Ratingagenturen wie S&P, Fitch und Moody’s bewerten den Bonitätsausblick für die Türkei mit „negativ“.
Türkei beschafft sich US-Dollar über Swapverträge
Im Januar schlossen die Zentralbanken der Türkei und der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) einen neuen Swapvertrag, zum Tausch ihrer Währungen, über knapp fünf Milliarden US-Dollar. Die Türkei stockt mit dem Dreijahresvertrag ihre US-Dollar-Währungsreserven auf. Die VAE erhalten dafür Lira und können diese für geplante Investitionen in der Türkei einsetzen. Weitere Swapabkommen bestehen mit Katar, Südkorea, Aserbaidschan und der VR China. Zudem sollen Verhandlungen mit Saudi-Arabien laufen.
Harsche Maßnahmen gegen den Währungsverfall drohen
Wenn die Lira weiter abstürzt, könnte die Regierung Kapitalkontrollen einführen oder den Zwangsumtausch von Fremdwährungseinlagen bei den Banken beschließen. Unternehmen müssen bereits seit Januar 2022 ein Viertel ihrer Exporteinnahmen in Euro, US-Dollar und Pfund in Lira umtauschen. Ein Rücktausch ist erlaubt. Bei der Bevölkerung setzt die Regierung noch auf Freiwilligkeit und Lira-Konten mit Einlagensicherung.
Am 20. Dezember 2021 stellte die Regierung die gesicherten Lira-Konten vor. Bürger und Geschäftsleute sollen ihre Fremdwährungseinlagen gegen Anlagen in Lira tauschen. Der Staat verspricht Währungsverluste auszugleichen. Damit würde die Nachfrage nach türkischer Währung steigen und der Kurs gestützt. Obwohl Milliarden Lira auf den neuen Konten angelegt wurden, haben nur wenige Kunden Fremdwährung in Lira umgetauscht. Das Geld wurde lediglich umgelagert.
Internationale Unternehmen im Inland investieren trotz der Risiken
Die Türkei benötigt Investitionen aus dem Ausland, um ihr Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die aktuelle Situation schreckt neue Investoren jedoch ab. Wegen der Währungsturbulenzen sind Projekte zudem schwer kalkulierbar geworden. Jedoch kann die schwache Lira Investitionen auch billiger machen, wenn die Vorleistungen in der Türkei beschafft werden. Viele internationale Unternehmen, die bereits im Land sind, investieren deshalb trotzdem. Sie sind den Umgang mit Krisen gewohnt und vertrauen auf die langfristige Perspektive des Landes als Produktionsstandort.
Das gilt auch für Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung in der Türkei. Sie machen trotz erschwerter Bedingungen gute Geschäfte und wollen mehr investieren. Das zeigt eine Umfrage der Deutsch-Türkischen Auslandshandelskammer im Oktober 2021 unter 77 Mitgliedsunternehmen. Viele davon sind aus der Industrie und produzieren für den Export. Die meisten erwarteten eine Verschlechterung der konjunkturellen Lage in der Türkei. Sie sahen Wechselkursschwankungen, wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen und steigende Rohstoffpreise als größte Risiken für ihre Geschäftsaktivitäten.
Die Exporte boomen, aber die Kosten steigen
Die Auftragsbücher der türkischen Exporteure sind gut gefüllt. Die schwache Lira macht türkische Erzeugnisse billiger. Jedoch ist die Abhängigkeit von importierten Vorprodukten hoch, die durch den Kursverlust teurer werden. Auch Rohstoffe, Energie und Transporte werden meist in Dollar oder Euro gehandelt. Deren Preise sind ohnehin weltweit gestiegen. Für Unternehmen, die in Lira rechnen, jedoch umso mehr.