Interview | Tunesien | Textilien, Bekleidung
"Es fing ganz klein an"
Christine Murmann, Inhaberin zweier Nähfabriken in Tunesien, spricht im Interview über die derzeitigen Herausforderungen in der Modeindustrie und die Auswirkungen auf ihr Geschäft.
18.11.2024
Von Verena Matschoß | Tunis
Die Bekleidungsproduktion ist ein wichtiger Sektor für die tunesische Wirtschaft. Rund 1.400 Firmen sind in der Branche tätig, 80 Prozent von ihnen fertigen rein für den Export. Darunter die Firmen MT MONDIAL und Manufacture Textile Mhamdia der Deutschen Christine Murmann. Beide Fabriken produzieren im Großraum Tunis vor allem für französische und belgische Marken.
Christine Murmann, Geschäftsführerin, MT MONDIAL und Manufacture Textile Mhamdia, Bekleidung Tunesien | © Christine MurmannFrau Murmann, wie läuft das Geschäft?
Ganz gut. In beiden Fabriken bin ich gut ausgelastet und muss eher Auftragsanfragen ablehnen. Ich beschäftige rund 200 Näherinnen und habe nicht den Wunsch, mich noch zu vergrößern. Was mir Sorge macht: Die Kosten steigen und die Anforderungen werden strenger. Gleichzeitig ist die Landeswährung derzeit stabil. Früher konnten wir die Lohnerhöhungen in Tunesien mit der Abwertung des Dinars abfangen.
Bleibt der Kostenvorteil in Tunesien trotzdem bestehen?
In der Branche wird nach Tarifvertrag bezahlt. Im Vergleich zu einer Produktion in Osteuropa sind die Löhne durchaus wettbewerbsfähig. Die Kosten für nötige Zertifizierungen steigen aber. Wir sind sehr gerne bereit, uns die Produktionsstandards in Bezug auf Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Umweltschutz auch bestätigen zu lassen. Aber die Kunden und vor allem auch die Verbraucher müssen verstehen, dass dies unsere Produkte verteuert. In einem hart umkämpften Markt haben wir nur geringe Margen und können diese Kosten nicht alleine stemmen.
Und die Transportkosten?
Da haben wir einen Vorteil, da Tunesien sehr nah an Europa ist und wir damit schnell und relativ günstig liefern können. Wir produzieren im Großraum von Tunis, der Hafen von Radès ist nicht weit weg. Einmal pro Woche verlässt ein Lastwagen mit unserer Ware Tunesien. Wenn wir am Samstag verschicken, dann ist die Ware bereits am Dienstag beim Kunden in Frankreich.
Wie geht es der Konkurrenz?
Die Jahre 2022 und 2023 waren starke Jahre. Aber dieses Jahr sind die Aufträge aufgrund der schwächeren Nachfrage in Europa zurückgegangen. Wir haben in der Branche eine starke Fluktuation. Immer wieder eröffnen neue Fabriken, die aber meist genauso schnell wieder schließen müssen, weil sie nicht die nötige Qualität liefern können. Leidtragende sind dann die angestellten Frauen, die auf ihr Gehalt vergeblich warten.
Wer sind derzeit Ihre größten Kunden?
Ich habe zwei größere Direktkunden, das Modelabel A.P.C. in Paris und Libeco aus Belgien, den Hersteller von Heimtextilien aus Leinen. Von ihnen importieren wir die Stoffe und die Designs und produzieren die Kollektionen. Wenn die Kollektion verkauft wurde, bekommen wir den genauen Produktionsauftrag. Nicht viele tunesische Produzenten haben solche direkten Kunden, sondern bekommen ihre Aufträge über Mittelsmänner.
Und wie haben Sie Ihre Direktkunden gefunden?
Das war reines Glück. A.P.C hat direkt bei uns angefragt, sie hatten über eine Empfehlung von uns gehört. Und Libeco haben wir auf einer Modemesse in Paris kennengelernt.
Haben Sie auch Kunden in Tunesien?
In beiden Fabriken produzieren wir rein für den Export. Aus meiner Anfangszeit habe ich mir aber noch ein kleines lokales Unternehmen erhalten, über das ich auch Aufträge aus Tunesien annehmen kann. Vor Corona haben wir zum Beispiel die Uniformen für die Stewardessen der tunesischen Fluggesellschaft Nouvelair genäht.
Hatte Corona starke Auswirkungen auf die Branche?
Ja, die Coronazeit war wirklich nicht einfach. Im ersten Jahr konnten wir noch unsere Aufträge abarbeiten, im zweiten Jahr wurde es schon deutlich schwieriger. Wir hatten aber Glück und konnten anstelle von Kleidung vor allem Heimtextilien fertigen. Hier ist der Bedarf in der Coronazeit gestiegen.
Die Herstellung von Textilien und Bekleidung trägt rund 2,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Schätzungsweise 85 Prozent der Unternehmen stellen Bekleidung her, die restlichen 15 Prozent sind Textilproduzenten. Rund 80 Prozent der 1.385 Unternehmen (Firmen über 10 Mitarbeitende) produzieren rein für den Export.
Mit über 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten rund 30 Prozent aller in der verarbeitenden Industrie Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsbranche. Die meisten Firmen sind kleine und mittlere Betriebe, die zwischen 20 und 100 Mitarbeitern beschäftigen.
Wichtigstes Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie ist das Gouvernorat Monastir. Hier befindet sich auch der Textil-Technologiepark Neotex Monastir. Weitere wichtige Regionen sind der Großraum Tunis, Sousse, Nabeul und Sfax. |
Machen Sie alles selbst oder haben Sie auch Zulieferer?
Für das Waschen und Färben von Textilien vergeben wir Unteraufträge an spezialisierte Unternehmen. Wir kennen unsere Zulieferer gut und wissen auch, dass sie alle nötigen Umwelt- und Qualitätsstandards einhalten.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, Fabriken in Tunesien zu eröffnen?
Ich habe aus meinem Hobby einen Beruf gemacht. Eigentlich bin ich Zahnärztin, durfte aber als Ausländerin meinen Beruf in Tunesien nicht ausüben. Es fing ganz klein an. Ich habe 1999 in Hammamet, einem Badeort an der Küste Tunesiens, eine kleine Boutique für Baby- und Kindermode eröffnet.
Und dann?
Der Club Med, ein französisches Tourismusunternehmen, hatte ein Hotel in Hammamet. Sie sind auf mich aufmerksam geworden und bestellten 2.000 Teile aus meiner Kollektion für ihre Hotel-Boutique. Die gefragte Stückzahl erhöhte sich jährlich und am Ende produzierte ich – natürlich mit Hilfe von Unterauftragnehmern – für den Club Med nicht nur in Tunesien, sondern auch in Spanien und Portugal. Nachdem Club Med nach den Anschlägen auf das World Trade Center sein Hotel in Hammamet geschlossen hatte, machte ich mich selbst auf die Suche nach neuen Aufträgen.
Das war anscheinend von Erfolg gekrönt.
Es gab Höhen und Tiefen. Aber meine Ausdauer und meine soziale Verantwortung gegenüber meinen Mitarbeitern haben mich immer zum Weitermachen angespornt.