Branchen | Tunesien | Textilien, Bekleidung
Tunesische Bekleidungsindustrie setzt Wachstum fort
Nach dem Coronaschock wird wieder mehr Bekleidung in Tunesien produziert, die Exporte ziehen dank hoher Preise an. Es spricht immer noch einiges für eine Ansiedlung vor Ort.
04.12.2023
Von Verena Matschoß | Tunis
Die tunesische Textil- und Bekleidungsindustrie hat die Coronakrise endgültig hinter sich gelassen. Nach einem Plus von 20 Prozent im Jahr 2022 zogen die Exporte von Januar bis August 2023 noch einmal um 8 Prozent an und erreichten knapp 2 Milliarden Euro.
Tunesien profitiert vor allem von gestiegenen Preisen für Textilprodukte. Mengenmäßig exportierten die tunesischen Textil- und Bekleidungsproduzenten von Januar bis August 2023 um 4,5 Prozent weniger als in der gleichen Periode des Vorjahres, so die Zahlen des technischen Zentrums für Textilien (CETTEX).
Warenart | Januar bis August 2023 | Veränderung gegenüber dem Vorjahreszeitraum |
Insgesamt | 1.643,5 | 8,3 |
Jeanshosen | 299,8 | -1,1 |
Arbeitskleidung | 180,1 | 33,2 |
Stoffhosen | 148,4 | 4,6 |
T-Shirts, Unterhemden | 142,5 | 4,1 |
Pullover, Strickjacken | 117,8 | 60,8 |
Frauenunterwäsche | 86,1 | 1,7 |
Badeanzüge | 84,4 | 14,8 |
Hemden, Blusen | 81,6 | 29,4 |
Nach einem starken Einbruch in der Coronakrise wächst die Produktion seit 2021 wieder robust. Im Jahr 2022 legte die Bruttowertschöpfung bei der Herstellung von Textilien, Bekleidung und Leder sogar um 17 Prozent zu. Das war das mit Abstand stärkste Wachstum im Industriebereich. Die Entwicklung in den ersten drei Quartalen 2023 war durchmischt - trotzdem wurde ein Zuwachs um 2 Prozent erzielt.
Jean-François Limantour, Präsident der französischen Vereinigung EVAlliance, hält den positiven Trend für nachhaltig. Voraussetzung sei jedoch, dass Tunesien die politischen Querelen beende, um seine Stabilität und Attraktivität zu steigern, heißt es in einer Analyse vom Juni 2023. Das Land sei bestens positioniert, um die wachsende Nachfrage nach Bekleidung im mittleren und oberen Preissegment zu bedienen.
Tunesien ist ein wichtiger Nearshoring-Standort
Internationale Hersteller setzen schon lange auf den Standort im Norden Afrikas. Seit den 1970er Jahren wird in Tunesien Bekleidung im großen Stil produziert - vor allem für den europäischen Bedarf. Gemessen am Bestand der ausländischen Direktinvestitionen sind Frankreich, Italien und Deutschland die wichtigsten Investoren. Laut der Foreign Investment Promotion Agency (FIPA) sind etwa 115 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung im tunesischen Textil- und Bekleidungssektor aktiv. Sie haben bis Ende 2021 über 16.000 Arbeitsplätze in der Branche geschaffen.
Der deutsche Hemdenproduzent van Laack unterhält im nordtunesischen Bizerte sogar vier Produktionsstätten mit insgesamt 800 Mitarbeitenden. Geschäftsführer von van Laack Tunesien, Ghazi El Biche, rät auch anderen Bekleidungsproduzenten, den Schritt nach Tunesien zu wagen:
"Kurze Transportwege, wettbewerbsfähige Produktionskosten und vor allem junge und motivierte Arbeitskräfte - eine Ansiedlung in Tunesien ist eine echte Alternative zur Produktion in Osteuropa".
Vor allem bei Strickwaren, bei denen die Vorprodukte nicht unbedingt aus Asien importiert werden müssen, machen die geringen Transportkosten ein Nearshoring attraktiv. El Biche ist auch Präsident der deutsch-tunesischen Industrie- und Handelskammer (AHK Tunesien), die deutsche Unternehmen bei Ansiedlungsplänen und der Geschäftspartnersuche vor Ort unterstützen kann.
Internationale Hersteller bauen Produktion aus
Einige internationale Bekleidungsproduzenten bauen ihr Engagement in Tunesien derzeit aus. So will die japanische Gesellschaft YKK in ihrem neuen Werk pro Jahr 17 Millionen Reißverschlüsse fertigen. Das im Oktober 2023 eröffnete Gebäude hat eine Fläche von 13.000 Quadratmetern und befindet sich in der Neotex Wirtschaftszone in Monastir. YKK ist bereits seit 25 Jahren in Tunesien aktiv.
Pressemeldungen zufolge hat der französische Unterwäscheproduzent Etam im Sommer 2023 sein erstes Werk in Tunesien eröffnet und will hier Spitze für seine Marken Etam, Undiz, Yvsé und Livy fertigen.
Tunesische Bekleidung geht vor allem in die EU
Textilien und Bekleidung sind nach Kfz-Elektronik die wichtigsten Exportprodukte für Tunesien. Sie stehen für rund 16 Prozent der Ausfuhren. Ein Großteil geht davon in die Europäische Union. Wichtigste Abnehmer sind Frankreich, Italien und Deutschland.
Laut El Biche könnten die Ausfuhren noch um einiges höher sein. Zwar gibt es ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Tunesien. Schwierig werde es aber, wenn Vorprodukte aus asiatischen Ländern importiert und weiterverarbeitet werden. Dann würden bei einer Einfuhr in die EU Zölle anfallen.
Für El Biche sind diese Ursprungsregeln ein entscheidender Wettbewerbsnachteil gegenüber der Konkurrenz aus Südostasien. Bangladesch, Myanmar oder Kambodscha profitieren über das Allgemeine Präferenzsystem der EU von Zollfreiheit, egal woher sie ihre Stoffe importieren. Laut Daten von Eurostat war Bangladesch im Jahr 2022 bereits zweitwichtigstes Lieferland der EU für Bekleidung - Tunesien kam nur auf Rang 10. Das Allgemeine Zollpräferenzsystem läuft für Bangladesch aber 2026 aus.
Die Herstellung von Textilien und Bekleidung trägt rund 2,5 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Schätzungsweise 85 Prozent der Unternehmen stellen Bekleidung her, die restlichen 15 Prozent sind Textilproduzenten. Rund 80 Prozent der 1.385 Unternehmen (Firmen über 10 Mitarbeitende) produzieren rein für den Export.
Mit über 150.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten rund 30 Prozent aller in der verarbeitenden Industrie Beschäftigten in der Textil- und Bekleidungsbranche. Die meisten Firmen sind kleine und mittlere Betriebe, die zwischen 20 und 100 Mitarbeitern beschäftigen.
Wichtigstes Zentrum der Textil- und Bekleidungsindustrie ist das Gouvernorat Monastir. Hier befindet sich auch der Textil-Technologiepark Neotex Monastir. Weitere wichtige Regionen sind der Großraum Tunis, Sousse, Nabeul und Sfax. |
Deutschland ist drittwichtigster Maschinenlieferant
Deutschland ist nicht nur wichtiges Abnehmerland, sondern steht auch an dritter Stelle bei den Lieferungen von Textilmaschinen. Wichtigstes deutsches Exportprodukt sind Nähmaschinen.
Die Konkurrenz aus China wurde in den letzten Jahren allerdings immer stärker. Kamen 2010 noch 16 Prozent der importierten Nähmaschinen aus Deutschland, waren es 2022 nur noch 8 Prozent. In der gleichen Zeit sind die Lieferungen aus China stetig gewachsen. Im Jahr 2022 stand die Volksrepublik bereits für knapp 40 Prozent der Nähmaschinenimporte.
Organisation | Anmerkung |
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Germany Trade & Invest | Ansprechpartner für Informationen rund um Tunesien |
AHK Tunesien | Anlaufstelle für deutsche Unternehmen |
Fédération Tunisienne du Textile et de l’Habillement FTTH | Verband für die Textilwirtschaft |
Centre technique du Textile en Tunisie CETTEX | Technisches Zentrum für Textilien, Beratungs- und Informationszentrum für Hersteller im Textil- und Bekleidungssektor sowie für Behörden |
Neotex Technologiepark Monastir | Technologiepark für die Textil- und Bekleidungsindustrie in Monastir |
Agence de Promotion de l’Industrie et de l’Innovation APII | Staatliche Agentur für Industrieförderung und Innovation |
Union Tunisienne de l’Industrie, du Commerce et de l’Artisanat UTICA | Tunesische Union für Industrie, Handel und Handwerk |
Messen | |
Intertex Tunisia | Fachmesse für die Textil- und Bekleidungsindustrie, Textilmaschinen (17. bis 19. Oktober 2024, Sousse) |