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Branchen | Ukraine | Energie

Energie für den Wiederaufbau

Bis 2035 will die Ukraine fossile Brennstoffe aus ihrer Stromerzeugung verbannen. Dafür setzt sie zu gleichen Teilen auf Erneuerbare und Kernkraft. Billig wird das nicht.

Von Hans-Jürgen Wittmann, Michał Woźniak | Berlin

In Folge des russischen Angriffskrieges wurden in der Ukraine Energieerzeugungs- und verteilungskapazitäten für rund 10 Milliarden Euro zerstört, meldet die Weltbank. Die erwarteten russischen Angriffe im Winter 2023/24 werden diesen Betrag weiter steigern. Nur die Hälfte der Erzeugerkapazitäten vor Kriegsbeginn ist noch am Netz. Für Reparaturen und Ersatz, vor allem aber für die grüne Energiewende werden bis 2050 laut Weltbank jährliche Investitionen von 9 Milliarden Euro benötigt. Daneben stehen die Dezentralisierung und der Aufbau einer Energieexportwirtschaft auf der Agenda. Deutsche Firmen könnten zweifach profitieren: Einerseits Technologien und Lösungen liefern, andererseits bei der Erzeugung von grüner Energie profitieren.

  • Erneuerbare Energien genießen Ausbaupriorität

    Das Potenzial der Ukraine bei erneuerbaren Energiequellen beläuft sich auf rund 870 Gigawatt. Bereits 2035 soll die Hälfte des erzeugten Stroms grün sein, auch mit deutscher Hilfe.

    Die ukrainische Regierung plant bis 2032 in ihrem Wiederaufbauplan den Bau von 30 Gigawatt Kapazitäten bei erneuerbaren Energiequellen. Im Vergleich zum Januar 2022 - mit einer installierten Kapazität von weniger als 12 Gigawatt - wäre dies beinahe eine Verdreifachung.

    Marktliberalisierung eröffnet Stromproduzenten neue Vertriebskanäle

    Am 1. Juli 2023 trat ein Gesetz zur Liberalisierung des Energiemarktes in Kraft. Ein freierer Strommarkt, die Aufhebung von Preisbeschränkungen und der geplante Aufbau einer Exportwirtschaft würden laut dem Stromerzeuger DTEK den Markteintritt von Erzeugern erneuerbarer Energien fördern. Derzeit erhalten diese nur 40 bis 45 Prozent der zustehenden Zahlungen vom Staat. Laut Alexander Podprugin, stellvertretender Leiter des Ukrainischen Windenergieverbandes,

    "beträgt die Gesamtkapazität der [Wind-]Projekte, die fast baureif sind und zwischen 2025 und 2027 in Betrieb genommen werden könnten, 6 Gigawatt".

    DTEK nutzt bereits die neu eröffneten Verkaufskanäle, um den Strom aus seinem Ende Mai 2023 eröffneten Windpark Tyligulska abzusetzen. Aktuell erzeugen 19 Windräder 144 Megawatt Leistung. In einer zweiten Phase sollen Vestas-Turbinen insgesamt 384 Megawatt generieren. Für das Vorhaben im Wert von bis zu 400 Millionen Euro werden laut Firmenchef Maksym Timchenko Investoren gesucht.

    Laut dem Nachrichtenportal Ecopolitic wird in der Region Riwne ein Windpark geplant. Das Unternehmen Vitropark Zahidnyi-R plant den Bau von 54 Windrädern mit jeweils einer Höhe von 160 Metern und einer Gesamtleistung von 320 Megawatt. Die Windkraftanlage befindet sich derzeit in der Projektierungsphase. Der Bau soll 2025 beginnen und 18 Monate dauern.

    Deutsche Projektentwickler bei Wind und Solar mit dabei

    Mitte September 2023 erneuerte die Potsdamer Firma Notus Energy ihr Commitment zur Ukraine. Die Firma stellte bereits 2019 Pläne für drei Windparks mit insgesamt 270 Megawatt installierter Leistung unweit der Hafenstadt Odessa vor. Am Rande einer Ukrainereise von Außenministerin Annalena Baerbock unterzeichneten Firmenvertreter eine gemeinsame Absichtserklärung mit Vertretern der ukrainischen Regierung sowie Ukrenergo über die Entwicklung eines Windparks in der Sperrzone von Tschernobyl.

    Angedacht sind nach einer ersten Machbarkeitsstudie Kapazitäten von bis zu 1 Gigawatt Windenergie. Laut einer offiziellen Stellungnahme des Unternehmens biete der unbewohnte Standort zahlreiche Vorteile. Er sei sozial und ökologisch konfliktarm und könne durch die Modernisierung der alten Kraftwerksinfrastruktur Strom direkt in die Metropolregion Kiew liefern.

    Die Firma Goldbeck Solar gab Anfang 2023 bekannt, binnen fünf Jahren 500 Megawatt Solarkapazitäten in der Ukraine aufbauen zu wollen. Laut der Finanz- und Investitionsleiterin Olga Kovalchuk laufen derzeit Gespräche mit Kreditgebern und Partnern vor Ort. Während der Außenwirtschaftstage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unterstrich sie die Verbesserung des Investitionsklimas dank der Liberalisierung des Energiemarktes in der Ukraine, sowie der Instrumente zu Investitionsabsicherungen der Bundesregierung.

    Stromerzeuger hoffen auf Abbau von Hürden

    Aktuell bremsen noch zahlreiche Hürden die Investitionen. Der ukrainische Finanzmarkt unterliegt kriegsbedingten Beschränkungen und bietet daher nur kurzfristige Finanzierungsinstrumente an. Der Rechtsrahmen muss stabiler und transparenter werden. Internationale Förderung und Absicherungsprogramme sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Zudem wünscht sich Olga Kovalchuk eine Liste "sicherer Standorte", in denen keine unmittelbaren Kriegshandlungen zu erwarten sind. Dies soll die Prüfung von Anträgen für erneuerbare Quellen beschleunigen.

    Auch die Integration der Ukraine ins europäische Emissionshandelssystem wäre von Vorteil, weil sie zur Bankability, also der Finanzierungswürdigkeit des Projekts, beitragen würde, so Olga Kovalchuk. Der noch vor dem Krieg ins Leben gerufene "Garantierte Verkäufer" - ein staatlicher Mittelsmann zwischen Energieerzeugern und -abnehmern, der den Absatz der gesamten grünen Stromproduktion sicherte - hatte im September 2023 rund 840 Millionen Euro Schulden gegenüber den Betreibern von Solar- und Windenergie. Diese muss nun Ukrenergo begleichen, nachdem sie den "Garantierten Verkäufer" übernahm.

    Solar läuft in kleinem und großem Maßstab

    Sonnenenergie ist auch für DTEK ein wichtiger Baustein seiner Ausbaupläne. Bis 2030 will der private Stromerzeuger seine grünen Kapazitäten auf 2 GW verdoppeln. Das Projekt in Trifanivska in der Region Mykolajiw zeugt dabei von den Gefahren im Krieg. Der 10 MW große Solarpark fiel zeitweise unter russische Besatzung und wurde schwer beschädigt. Die Instandsetzung dauerte vier Monate und beanspruchte einen Großteil des rund 39 Millionen Euro umfassenden Reparaturbudgets für 2023. Weil aber auch ein Umspannwerk und die Netzinfrastruktur unter den russischen Angriffen gelitten haben, konnte weniger als die Hälfte der zu 50 Prozent wiederhergestellten Erzeugerkapazitäten eingespeist werden.

    Solarenergie wird auch im kleineren Maßstab erzeugt. In der Stadt Winnyzja, die den landesweit ersten kommunalen grünen Fahrplan mit konkreten Zielen für einzelne Bezirke und finanziellen Hilfen für Firmen verabschiedet hat, installierte Aurora Multimarket auf einem Verteilcenter für rund 500.000 Euro Solarpaneele mit 350 Kilowatt (KW) Leistung. Sie sollen 30 Prozent des eigenen Strombedarfs decken und bei Überproduktion das lokale Stromnetz beliefern. Bereits im Sommer 2023 vollendete die Ladenkette Epicentr K ähnliche Anlagen an zwei Läden in Winnyzja. Zusammen mit drei weiteren in Kiew verfügt sie nun über Kapazitäten von 6 MW.

    Von Michał Woźniak | Berlin

  • Wasserstoff soll nach Europa

    Die Ukraine verfügt über ein enormes Potenzial zur Erzeugung von Wasserstoff. Pilotprojekte laufen trotz des Krieges weiter. Produzenten setzen dabei auf Expertise aus Deutschland.

    Das osteuropäische Land vollzieht beim Wiederaufbau die Wende zu grüner Energie. Eine zentrale Rolle spielt dabei Wasserstoff. Vorhaben für die Produktion und den Export des farblosen Gases werden trotz des anhaltenden russischen Angriffskrieges vorangetrieben. So lauten die drei wichtigsten Botschaften aus einem Webinar des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie sowie der Deutsch-Ukrainischen Industrie- und Handelskammer (AHK Ukraine), an dem Ende September 2023 rund 40 Unternehmer teilnahmen.

    Wasserstoff soll zentrales Element der Energiewende werden

    Die Ukraine will ein zuverlässiger Partner der EU bei der Produktion und Lieferung von Wasserstoff werden, heißt es in der Energiestrategie der Regierung. Das osteuropäische Land verfügt über eigene Vorkommen. "In der Region Riwne gibt es natürliche Gesteinsverbände, die den malischen ähneln, sowohl im Alter als auch in der Zusammensetzung", erklärt Alexander Ponomarenko, Akademiker und Sekretär der Abteilung für Geowissenschaften der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Der Vergleich zum westafrikanischen Mali sei ihm nach entscheidend - dortige Bohrlöcher produzieren "zu 98 Prozent reinen Wasserstoff".

    Ferner wird jährlich auch rund 360.000 Tonnen Wasserstoff produziert: allerdings meist grauer aus Methan oder türkiser aus Atomstrom. Ferner stellt die Chemieindustrie jährlich rund 2 Millionen Tonnen Ammoniak zur Produktion von Mineraldünger her.

    Perspektivisch will Kiew jedoch vor allem grünen Wasserstoff mit Strom aus erneuerbaren Quellen erzeugen und diesen nach Europa exportieren. Zudem planen ukrainische Metallurgiekombinate die Produktion von grünem Stahl auf Wasserstoffbasis.

    Eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung des ukrainischen Wasserstoffmarktes kommt Deutschland zu. Die im Jahr 2020 geschlossene Energiepartnerschaft beinhaltet die Zusammenarbeit bei Wasserstofflieferungen aus der Ukraine nach Deutschland.

    Gaspipelines sollen Wasserstoff nach Europa transportieren

    Die Ukraine will ihr Exportpotenzial bei Wasserstoff kommerzialisieren. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte und vom Fraunhofer-Institut geleitete Projekt HYPAT (Hydrogen Potential Atlas) analysiert die potenzielle Menge von Wasserstoff für den Export. Im Rahmen der EU-Wasserstoff-Initiative "Green Hydrogen Initiative 2x40 GW in 2030“ muss die Ukraine rund 10 Gigawatt Elektrolyseleistung errichten, um genug Wasserstoff für den Export in die EU zu erzeugen.

    Das ukrainische Gastransportnetz ist trotz des Krieges einsatzfähig. Die Pipeline "Transgas" liefert russisches Gas aus dem Gebiet Transkarpatien rund 830 Kilometer durch die Slowakei und Tschechien bis nach Waidhaus. Experten schätzen, dass dem durchgeleiteten Methan bis zu 260 Terawattstunden Wasserstoff pro Jahr beigemischt werden können. Das Unternehmen Transmission System Operator (TSO) of Ukraine entwickelt als Mitglied der EU-Initiative "European Hydrogen Backbone" bereits Pläne für einen Exportkorridor von Wasserstoff nach Mitteleuropa.

    Zudem verfügt die Ukraine mit einer Kapazität von rund 330 Terawattstunden über die größten unterirdischen Gasspeicher Europas. In diesen könnten perspektivisch auch bis zu 109 Terawattstunden Wasserstoff gespeichert und bei Bedarf nach Europa gepumpt werden.

    Wasserstoffwirtschaft muss zentrale Herausforderungen lösen

    Um dieses Ziel zu erreichen, muss das osteuropäische Land jedoch noch eine landesweite Wasserstoff-Strategie verabschieden. Außerdem fehlen aktuell noch gesetzliche Regelungen für die Umwandlung von Wasserstoff in Ammoniak oder andere Gase für den Export, sowie für dessen Speicherung, berichtete Oleksandr Dyachenko, Vize-Präsident des Vereins "Ukrainischer Wasserstoffrat". Auch für den Bau von Wasserstoff-Tankstellen gäbe es noch keine einheitlichen Standards und Vorschriften hinsichtlich der Qualität und Sicherheit.

    Das entscheidende Kriterium bei Vorhaben zur Produktion von Wasserstoff in der Ukraine ist vor allem deren Wirtschaftlichkeit, gibt Jaroslav Kryl, Generaldirektor der Entwicklungsgesellschaft "Wasserstoff der Ukraine" (OOO Vodorod Ukrainy), zu bedenken. Aktuell sind Pilotprojekte noch nicht rentabel. Das vom Krieg gezeichnete Land kann keine großen staatlichen Anschubinvestitionen in Wasserstoffprojekte tätigen und setzt stattdessen auf das Engagement der Privatwirtschaft.

    Pilotprojekte setzen auf Know-how aus Deutschland

    Die Gesellschaft "Wasserstoff der Ukraine" entwickelt aktuell zwei Projekte (H2-Valley) im Gebiet Odessa und in Transkarpatien.

    In der Hafenstadt Reni an der Donau im Gebiet Odessa entstehen in einer ersten Etappe 100 Megawatt Elektrolysekapazitäten. Mittelfristig soll die Kapazität auf 200 Megawatt steigen. Das deutsche Unternehmen Ludwig Bölkow Systemtechnik berät die Projektgesellschaft bei dem Vorhaben, das im Mai 2023 als erstes Wasserstoffvorhaben der Ukraine auf die Plattform Global Hydrogen Valley aufgenommen wurde.

    Der Strom für die Elektrolyse kommt aus Wind- und Solarparks. Die deutsche Firma WindGuard GmbH nahm die Messung der Windstärke vor. Das Wasser für die Elektrolyse wird der Donau und deren Nebenarmen entnommen. Durch die günstige geografische Lage an der Donau soll der grüne Wasserstoff künftig per Tankschiff nach Zentraleuropa transportiert werden. Über das vorhandene Erdgasnetz soll Wasserstoff zudem in die Nachbarstaaten Rumänien und Moldawien gepumpt werden.

    Das zweite Wasserstoffprojekt liegt im Gebiet Transkarpatien in der Grenzregion zur Slowakei und zu Ungarn. Auf einer Fläche von 120 Hektar werden 1,5 Gigawatt Elektrolysekapazität aufgebaut. Der Strom kommt auch hier aus Wind- und Solarkraft. Der erzeugte Wasserstoff soll perspektivisch in das Metallurgiewerk im slowakischen Kosice, das bei der Produktion von Eisenerz von Koks auf Wasserstoff umstellen will, exportiert werden. Zudem soll der Anschluss an den transeuropäischen Transportkorridor nach Deutschland hergestellt werden.

    Kontaktdaten

    Bezeichnung

    Anmerkungen

    Entwicklungsgesellschaft "Wasserstoff der Ukraine"

    Kontaktperson: Jaroslav Kryl, Generaldirektor, Tel: +380 50 456 74 04; E-Mail: kryl@hydrogen.ua

    Verein "Ukrainischer Wasserstoffrat"

    Kontaktperson: Oleksandr Dyachenko, Vize-Präsident; Tel: +380 50 456 74 04; E-Mail: info@hydrogen.ua

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin

  • Kernkraft wird größer und kleiner zugleich

    Die Atomkraft deckt knapp die Hälfte des ukrainischen Strombedarfs. Dank internationaler Partner soll sie zukünftig ausgebaut werden und zur Energiewende beitragen.

    48 %

    ihres Strombedarfs deckt die Ukraine mit Atomkraft

    Die Ukraine setzt auch in Zukunft weiter auf Kernenergie. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 deckte Atomkraft 48 Prozent des Strombedarfs in der Ukraine, meldet Energoatom. Das Staatsunternehmen betreibt vier Atomkraftwerke mit 15 Reaktoren, wovon allerdings sechs auf das von Russland zeitweise besetzte Werk Enerhodar im Gebiet Saporischschja entfallen. Dort befinden sich 6 der knapp 14 Gigawatt Erzeugerkapazitäten. Eine groß angelegte Wartungskampagne soll dafür sorgen, dass die neun unter ukrainischer Kontrolle stehenden Reaktoren spätestens im November 2023 wieder voll einsatzfähig sind.

    Diversifizierung der Brennstoffquellen steht im Mittelpunkt

    Eine große, langfristige Herausforderung für die ukrainische Kernkraft ist die Erschließung alternativer Treibstoffquellen für den Betrieb der Reaktoren vom Typ VVER-1000 und VVER-440. Um den bisherigen Lieferanten Russland zu ersetzen, wurde 2020 eine Zusammenarbeit mit der schwedischen Tochter der Westinghouse Electric Company aufgenommen. Diese lieferte Mitte September 2023 die ersten Brennstäbe für den kleineren der beiden Reaktortypen: "Dass uns dies so schnell gelungen ist, ist ein großer Erfolg und eine wesentliche Grundlage für unsere weitere Zusammenarbeit mit Westinghouse, die gerade expandiert. Dies ist ein großartiger Tag für die ukrainische Energiewirtschaft, für unsere Zusammenarbeit mit den USA und Schweden, wo sich die entsprechende Aufbereitungsanlage befindet", freute sich Energieminister Herman Haluschtschenko.

    Das für die Brennstäbe notwendige Uran soll zumindest teilweise aus der Ukraine selbst kommen. Das Land verfügt laut der World Nuclear Association (WNA) über Vorkommen von bis zu 185.000 Tonnen Uran. Allerdings sind die Uranelemente vor allem in Granitgestein gebunden, was dessen Abbau verteuert. Experten sprechen zudem vom großen Modernisierungs- und Investitionsbedarf der lokalen Bergbaubranche. Dennoch plant das hochverschuldete und seit 2021 zu Energoatom gehörende Unternehmen VostGOK seine jährlichen Kapazitäten bis 2026 auf 1.265 Tonnen Uran zu steigern.

    Vorerst muss das Ausgangsmaterial eine über 20.000 Kilometer lange Lieferkette durchlaufen. Erste Station ist Kanada, wo die Firma Cameco - vertraglich zur Deckung des Gesamtbedarfs von Energoatom zwischen 2024 und 2035 verpflichtet - das Uran in Uranhexafluorid umwandelt. Dessen Reise geht weiter ins Vereinigte Königreich zur Anreicherung bei Urenco, bevor es in Schweden von Westinghouse in Brennstäbe eingesetzt wird. "Eine solche Kernmaterialverarbeitung ist in der Ukraine noch nicht möglich. Aber wir arbeiten daran, die entsprechenden Kapazitäten zu schaffen", skizziert Energoatom-Chef Petro Kotin das Ziel.

    Eigenproduktion von Uran als mittelfristiges Ziel

    Bei der Vertiefung der Wertschöpfungskette in der Ukraine soll ebenfalls Westinghouse helfen. Ende September 2023 gaben der US-Konzern und Energoatom bekannt, beim verzögerten Projekt des Aufbaus einer Produktionslinie für Brennelemente in der Ukraine nun aufs Tempo zu drücken. Ursprünglich war angedacht, noch in diesem Jahr mit der Fertigung von Endkappen und 2024 mit der Herstellung von Stabhalteplatten für Brennstäbe zu beginnen. "Im Jahr 2026 plant unser Unternehmen, eine eigene Linie mit einem vollständigen Zyklus der Kernbrennstoffproduktion zu schaffen, um sich selbst mit 50 Prozent des notwendigen Kernbrennstoffs zu versorgen", stellte der Energoatom-Chef die aktualisierten Fristen vor.

    Westliche Reaktoren ersetzen sowjetische Typen

    Westinghouse wird auch beim Ausbau des Kernkraftpotenzials in der Ukraine zum Zuge kommen. Im Herbst 2021 unterzeichneten Energoatom und der US-Atomkonzern gleich zwei Verträge zum Bau von insgesamt sieben Nuklearreaktoren des Typs AP1000, die an bestehenden Standorten die alternden Anlagen aus Sowjetzeiten ersetzen sollen. Kostenpunkt: 40 Milliarden US-Dollar.

    Der Ausbruch des Krieges hat die Pläne dabei nicht durchkreuzt, sondern sogar angekurbelt: Im Juni 2022 wurden die Vereinbarungen um weitere zwei Reaktoren des gleichen Typs - Stückpreis 5 Milliarden US-Dollar - ergänzt.

    Die ersten beiden der neuen Reaktoren sollen in Chmelnyzkyj zwischen 2030 und 2032 ans Netz gehen. Laut der WNA plant die Ukraine mit Neu- sowie Ersatzreaktoren in Saporischschja, Riwne, Tschyhyryn sowie an weiteren Standorten im Süden und Westen des Landes die Kernkraftkapazitäten bis 2040 um mehr als die Hälfte auf 24 Gigawatt zu steigern.

    Dazu beitragen sollen auch "Gebrauchtimporte" aus dem Ausland. Nach dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Sofia Anfang Juli 2023 sagte der bulgarische Premierminister Nikolaj Denkow, beide Länder würden über den Verkauf von zwei Reaktoren russischer Bauart verhandeln. Weil der geplante Bau eines Atommeilers auf deren Basis in Bulgarien wegen der EU-Sanktionen nicht mehr möglich erscheint, sucht die dortige Regierung nach Abnehmern. Laut Presseberichten wird der Verkaufspreis für die Anlagen auf bis zu 650 Millionen Euro geschätzt.

    Kleinere Anlagen sollen größere Leistung erzeugen

    Die Ukraine setzt beim Ausbau der Kernenergie - ähnlich wie Kanada, Polen, Schweden oder Tschechien - auf kleine modulare Reaktoren (Small Modular Reactor; SMR). Bereits im Jahr 2018 ging Energoatom eine Vereinbarung mit Holtec International zum Bau von sechs Einheiten des Typs SMR160 ein. Ein 2019 gegründetes Konsortium soll das Vorhaben bis 2030 realisieren.

    Ende September 2023 folgte eine Absichtserklärung mit Westinghouse zur Entwicklung und zum Einsatz eines Reaktors vom Typ AP300 in der Ukraine. Zuerst wird eine gemeinsame Arbeitsgruppe eingerichtet, die in Bereichen wie Vertragsvergabe, Lizenzierung und der lokalen Lieferketten zusammenarbeiten soll.

    "Die Ukraine hat gute Aussichten […] die nuklearen Erzeugungskapazitäten sowohl durch den Bau neuer Hochleistungskraftwerke als auch durch die Installation kleiner modularer Reaktoren zu erhöhen",

    unterstrich Energieminister Herman Haluschtschenko.

    Von Michał Woźniak | Berlin

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