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Energieversorgung soll grüner und autarker werden

Indiens Energiesektor hängt stark von Kohlestrom und von Ölimporten ab. Doch das soll sich mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien bald ändern. Der Investitionsbedarf ist riesig.

Von Boris Alex | New Delhi

Indien zählt zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt. Parallel dazu steigt auch der Energiebedarf der Haushalte und Unternehmen. Zwischen 2012 und 2022 legte der Primärenergieverbrauch jedes Jahr um durchschnittlich 3,8 Prozent zu, so die Daten der Internationalen Energieagentur (IEA). Bis 2030 dürfte er jährlich um weitere 3 Prozent steigen. Indien muss einen bedeutenden Teil seiner Energieträger importieren. Brennstoffe wie Erdöl, Flüssigerdgas und Kohle hatten 2022 einen Anteil von 30 Prozent an den Gesamtimporten in Höhe von 733 Milliarden US-Dollar (US$).

Indien ist abhängig von Energieimporten (2022)
Energieträger

Jahresverbrauch

Importe

Importanteil (in Prozent)

Rohöl (in Mio. Tonnen)

237

231

97,5

Erdgas (in Mrd. Kubikmetern)

58

28

48,3

Kohle (in Exajoules)

20

5

25,0

Quelle: Energy Institute Statistical Review of World Energy 2023

Energiesektor steht im Zentrum der Klimapolitik

Der indische Energiesektor dürfte sich in den nächsten Jahrzehnten stark wandeln. Bis 2070 will das Land klimaneutral sein. Dieses Ziel soll vor allem durch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht werden. Die Regierung will die Stromerzeugung aus Wind, Solar, Biomasse und Wasserkraft bis 2030 auf 500 Gigawatt mehr als verdoppeln. Der Umbau des Energiesektors soll aber auch dazu beitragen, die Importabhängigkeit Indiens bei fossilen Brennstoffen zu verringern und die Energieversorgung stärker gegen Krisen abzusichern.

Indien hatte im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit steigenden Weltmarktpreisen für Rohöl zu kämpfen. Um die Folgen für die eigene Wirtschaft abzufedern, importiert Indien verbilligtes Erdöl aus Russland. Im Mai 2023 erreichten die Bezüge mit 2 Millionen Barrel pro Tag und einem Anteil an den gesamten Ölimporten von 42 Prozent ihren bisherigen Höchststand. Seitdem gehen die Einfuhren aus Russland zwar wieder zurück, lagen aber im August noch bei 1,5 Millionen Barrel pro Tag. Traditionell bezieht Indien sein Rohöl vor allem aus Saudi-Arabien, Irak, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den USA.

Strompreise bleiben auch in Krisenzeiten stabil

Der indische Stromsektor ist deutlich krisenresistenter. Im Jahr 2022 wurden knapp drei Viertel des Stroms aus überwiegend heimischer Kohle erzeugt. Die erneuerbaren Energien einschließlich Großwasserkraftwerken mit einer Leistung über 25 Megawatt hatten einen Anteil von 23 Prozent an der gesamten Stromerzeugung von 1.858 Terawattstunden. Die im globalen und auch regionalen Vergleich relativ niedrigen Strompreise sind trotz Ukrainekrieg stabil geblieben. Im Dezember 2022 lagen sie einschließlich Steuern und Nebenabgaben für Privathaushalte bei umgerechnet 78 US$ und für gewerbliche Abnehmer bei 116 US$ je Megawattstunde.

Überblick über wichtige Energiemarktindikatoren
 

Indien

Deutschland

Bevölkerung (in Millionen; 2021)

1.380,8

83,2

Energieproduktion (Terajoule; 2020)

23.780

4.045

Stromverbrauch (Terawattstunde; 2020)

1.280,7

550,7

Nettoenergieimporte (Petajoule; 2020)

13.653

7.916

Pro-Kopf-Verbrauch (Gigajoule/Kopf; 2021)

25,4

144,9

CO2-Emissionen (in Millionen Tonnen; 2021)

2.500

622

Strompreis Gewerbekunden (US$/Megawattstunde; 2022)

116,00

221,17

Strompreis Endverbraucher (US$/Megawattstunde; 2022)

78,00

380,05

Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2023; IEA World Statistics 2023; BP Statistical Review of World Energy 2022

Indiens Strombedarf dürfte bis 2030 jedes Jahr zwischen 5 und 6 Prozent zulegen, so die Prognose der IEA. Wachstumstreiber sind die verarbeitende Industrie, die immer mehr produziert und die Privathaushalte, die beispielsweise mehr Strom für die Gebäudekühlung benötigen. Hinzu kommt der Ausbau der Elektromobilität: Bis 2030 sollen 30 Prozent aller neu zugelassenen Fahrzeuge mit Batterieantrieb unterwegs sein. Um den wachsenden Strombedarf decken zu können und die Strompreise stabil zu halten, muss Indien seine Erzeugungskapazitäten bis 2032 um 70 Prozent auf 720 Gigawatt ausbauen, so die Berechnung von Fitch Solutions Group.

Indiens Energiemix soll grüner werden

Bei der Sicherstellung seiner Energieversorgung ist Indien weitgehend technologieoffen. Der Strommix wird sich aber in den nächsten Jahren hin zu klimaschonenden Quellen wie Solar, Wind und Wasserkraft verschieben. Die Regierung verfolgt ehrgeizige Ausbauziele bei den erneuerbaren Energien. Die Solarkapazitäten sollen bis 2030 auf 280 Gigawatt vervierfacht und die Windkapazitäten von 45 auf 140 Gigawatt ausgebaut werden. Indien will auch sein bislang ungenutztes Offshore-Potenzial heben und bis 2030 Windparks mit 37 Gigawatt ans Netz bringen. Die erste Ausschreibung über 4 Gigawatt im südostindischen Bundesstaat Tamil Nadu wird für Dezember 2023 erwartet.

Die Wasserstoffwirtschaft dürfte in der indischen Energiestrategie künftig eine wichtigere Rolle spielen. Die Regierung will bis 2030 Produktionskapazitäten für jährlich 5 Millionen Tonnen grünen Wasserstoff aus Wind- und Solarstrom aufbauen. Hierfür stehen in den nächsten sieben Jahren Fördermittel von 2,4 Milliarden US$ bereit. Damit will Indien auch die Importabhängigkeit bei Wasserstoff verringern. Bis 2050 soll sich der Wasserstoffbedarf Indiens auf 30 Millionen Tonnen jährlich verfünffachen. Wasserstoff wird auf dem Subkontinent vor allem für die Produktion von Düngemitteln und Stahl verwendet.

Mehr Strom aus Kohle und Kernkraft

Ganz auf fossile Brennstoffe kann Indien nicht verzichten, wenn es die Stabilität seiner Energieversorgung gewährleisten will. Daher wird auch die Stromerzeugung aus Kohle in den nächsten Jahren ausgebaut. Bis 2040 könnten sich die Kapazitäten auf über 400 Gigawatt verdoppeln, so die Prognose der Central Electricity Authority. Der Anteil an der gesamten Stromerzeugung dürfte im betrachteten Zeitraum von zurzeit 75 auf unter 50 Prozent sinken.

Auch bei der Kernkraft hat sich Indien ambitionierte Ausbauziele gesetzt, kommt hier aber langsamer voran, als geplant. Zurzeit befinden sich acht Reaktoren mit einer Leistung von insgesamt 6 Gigawatt im Bau. Eigentlich wollte Indien seine Atomkapazitäten bis 2032 von derzeit knapp 7 auf 63 Gigawatt steigern. Beim Uran bleibt Indien auf Importe angewiesen. Die wichtigsten Lieferanten sind Kasachstan, Kanada, Russland und Frankreich, so die Daten der indischen Atomenergiebehörde Department of Atomic Energy.

Gute Beteiligungschancen für Technologieanbieter

Der Umbau des indischen Energiesektors bietet auch deutschen Unternehmen interessante Geschäftschancen. Nicht nur für den Ausbau der erneuerbaren Energien, sondern auch bei Projekten zur Steigerung der Energieeffizienz in der Industrie und im Gebäudesektor stehen in den nächsten Jahren milliardenschwere Investitionen an. Daneben muss das Stromnetz erweitert und modernisiert werden, was für eine wachsende Nachfrage für Smart-Grid- und Stromspeicherlösungen sorgt.

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