Massive gegenseitige Sanktionen und Embargos unterbrechen Lieferketten von und nach Russland. Kapazitätsengpässe erschweren und verteuern den Warentransport erheblich.
Der Ukraine-Russland-Krieg und seine Auswirkungen beeinträchtigen die internationalen Lieferketten im Warentransport nach und über Russland enorm. Umschichtungen und die Verschärfung bestehender Kapazitätsengpässe führen zu einer Explosion der Preise. Experten des Logistikanalysten Fourkites erwarten, dass die Seefrachtraten um den Faktor 20 bis 40 steigen. Während ein Containertransport von Schanghai nach Rotterdam 2020 noch weniger als 2.000 US-Dollar (US$) kostete, stieg der Preis unmittelbar nach Beginn des Kriegs in der Ukraine auf 54.000 US$ an.
Sanktionen und Kapitalverkehrskontrollen treffen Russlands Transportbranche hart
Westliche Länder verhängen gegen Russland Sanktionen in einem Ausmaß, das den Handel mit dem weltweit größten Flächenstaat drastisch einschränkt. Im Transportsektor führen Finanzsanktionen, Listungen von Personen und Unternehmen, Embargos für zahlreiche Güter (darunter besonders Dual-Use-Güter) sowie Luftraumsperrungen zu einem abrupten und weitgehenden Rückgang des Waren- und Güterverkehrs. Der Lieferkettenspezialist Fourkites meldete zum 2. März 2022, dass binnen einer Woche die russischen Importe um 27 Prozent abnahmen.
Der russische Rubel wertete an den Devisenmärkten gegenüber Euro und US-Dollar um mehr als die Hälfte ab. Die russische Staatsführung verhängte Devisen- und Kapitalverkehrskontrollen sowie Gegensanktionen, wie spezielle Genehmigungspflichten für Geschäfte mit Unternehmen und Personen aus „unfreundlichen Ländern“. Russische Unternehmen können gemäß einer Verordnung von Präsident Putin ihre Schulden gegenüber Gläubigern aus diesen Ländern in Rubel begleichen, auch wenn zuvor anderes vereinbart wurde.
Am 10. März gab Russland Exportverbote gegen „unfreundliche Länder“ bekannt, die 200 Güterarten umfassen, darunter Holz. In Kürze dürften weitere Gegensanktionen in Kraft treten, die Düngemittel, Metalle und Energieträger beinhalten. Diese Maßnahmen beeinträchtigen insbesondere Massen- und Stückguttransporte per Bahn und Schiff.
Ukrainekrieg führt zu Engpässen im Lkw-Verkehr
In Europa kommen rund 100.000 Lkw-Fahrer aus der Ukraine. Das entspricht rund 10 Prozent. Kriegsdienst und humanitäre Einsätze sorgen für einen zusätzlichen Engpass an Arbeitskräften im Gütertransport auf den Straßen.
Zugleich stellen Preissteigerungen bei Diesel und Gaskraftstoffen von rund 30 Prozent seit Ausbruch des Kriegs am 24. Februar 2022 Spediteure vor große Herausforderungen. Hinzu kommt, dass infolge der Finanzsanktionen mit westlichen Kreditkarten in Russland und Belarus nicht mehr bezahlt und auch kein Bargeld mehr abgehoben werden kann. Die Russische Zentralbank legte für den Ankauf von Devisen in Russland eine Kommission von derzeit 12 Prozent fest.
Die Zollabfertigung in Belarus und Russland läuft Angaben der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer zufolge ohne nennenswerte Verzögerungen. Die russischen Zollbehörden haben für Unternehmen und Transportfirmen eine Hotline für eine planmäßige Abwicklung eingerichtet.
Güterverkehr auf der Schiene kommt zum Stillstand
Das staatliche Eisenbahnunternehmen RZD unterliegt bislang nicht einem unmittelbaren Embargo (Listung), ist jedoch von den Kapitalverkehrsbeschränkungen und Finanzsanktionen gegenüber den russischen Geschäftsbanken mittelbar betroffen. Unter Beachtung der aktuellen rechtlichen Regelungen ist der Güterverkehr somit prinzipiell möglich.
Im Jahr 2020 verkehrten rund 12.400 Züge mit einem Transportvolumen von 1,1 Millionen Zwanzig-Fuß-Standardcontainer (TEU) zwischen China und Europa.
Wegen seines günstigen Kostenprofils im Vergleich zum Lufttransport und seiner Zeitersparnis gegenüber dem Seetransport galt der Gütertransport per Bahn zwischen dem Reich der Mitte und Europa als großer Hoffnungsträger im Projekt der neuen Seidenstraße.
Die Tageszeitung Vedomosti berichtete, dass chinesische Verlader damit begannen, den Transit von Waren durch Russland in die Europäische Union (EU) auszusetzen. Grund sei die Furcht der Frachteigentümer und Exportversicherer um ihre Waren, die bei Verhängung weiterer Sanktionen kurzfristig konfisziert werden könnten.
Umfangreiche Flugverbote bremsen Luftfracht aus
Luftraumsperrungen legen den regulären Flugverkehr zwischen der EU, weiteren westlichen Ländern wie den USA, Kanada und Japan und Russland auf Eis. Flüge zwischen Deutschland und Fernost verlängern sich um mehrere Stunden. Wegen der Umwege wird mehr Kerosin verbraucht. Lufthansa Cargo zufolge führt das dazu, dass die Frachtzuladung um bis zu 20 Prozent reduziert werden muss.
Ausländische Unternehmen ziehen sich aus Russland zurück. Der Flughafenbetreiber Fraport lässt sein Geschäft in Sankt Petersburg ruhen. UPS, Fedex und DHL befördern keine Sendungen mehr nach Russland und Belarus.
Das Flugverbot für den großen Frachtcarrier Volga-Dnepr mit seiner Tochter AirBridgeCargo im Auslandsgeschäft führt zur weiteren Verknappung von Kapazitäten in der Branche. Im Jahr 2021 transportierte die Gruppe mehr als 100.000 Tonnen Fracht zwischen Russland, Europa und den USA – vor allem Medizinbedarf und Pharmazeutika.
Da die Ausweichmöglichkeiten auf See- und Schienenfracht begrenzt sind, werden die hohen Frachtraten weiter steigen. Gesellschaften, die Vollfrachtflugzeuge anbieten, dürften besonders profitieren. Anbietern aus der Golfregion kommen die südlichen Umwege auf den Flugrouten zwischen Europa und Fernost geografisch entgegen.
Seefrachtraten explodieren
Wegen der Unsicherheit stoppten viele Reedereien Buchungen für Transporte nach Russland, darunter auch Maersk und Hapag-Loyd. Die EU hat eine Sperrung ihrer Häfen für russische Schiffe bislang nicht beschlossen. Sollte dies geschehen, dürfte Russland Gegensanktionen verhängen und den nördlichen Seeweg für europäische Frachter schließen. Der Umschlag von Massengut dominiert über den Containerverkehr. Russische Gegensanktionen bei Massengütern wie Kohle, Holz oder Düngemittel konfrontieren die Branche mit einer Umorientierung auf alternative Bezugsquellen.
Hinweise und Handlungsempfehlungen für Unternehmen- Steht der russische Geschäftspartner oder das Partnerunternehmen auf der Sanktionsliste der Europäischen Union (EU), ist der Handel gesetzlich verboten.
- Bei der Abwicklung von Altverträgen, bei denen möglicherweise ein Bestandsschutz greifen könnte, nehmen Sie juristischen Rat in Anspruch.
- Geschäftspartner aus Russland und Belarus unterliegen umfangreichen Devisen- und Kapitalverkehrsbeschränkungen, die Sie jeweils überprüfen sollten.
- Klären Sie, ob die vereinbarten Geschäftsbanken SWIFT-Sanktionen unterliegen oder diese drohen.
- Aktualisierungen und weitere Ergänzungen der Sanktionen können kurzfristig (binnen Tagesfrist) erfolgen. Verfolgen Sie die neuesten Entwicklungen.
- Setzen Sie keine ukrainischen Staatsangehörige für Transportdienstleistungen nach Belarus und Russland ein, die die Ukraine als Kriegsgegner betrachtet.
- Bargeldabhebungen und elektronische Zahlungen sind in Belarus und Russland nicht oder nur noch mit Einschränkungen möglich.
- Überwachen Sie Versandkosten und prüfen Sie alternative Versandwege.
- Eine legale Abwicklung des Handels über Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion wie Armenien oder Kasachstan ist nur möglich für Güter und Partnerunternehmen, die nicht sanktioniert werden.
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Von Hans Peter Pöhlmann
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Bonn