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Rahmenbedingungen
Die Aufnahme von Bautätigkeiten in Ungarn ist auch für ausländische Unternehmen unkompliziert. Sonder- und Neuregelungen sind zu beachten, oft auch kurzfristig.
15.04.2025
Von Kirsten Grieß | Budapest
Bauunternehmen müssen ihre Tätigkeiten in Ungarn spätestens fünf Tage nach Baubeginn bei der ungarischen Kammer für Handel und Industrie registrieren. Die Registrierung bleibt bis auf Widerruf gültig und kann online durchgeführt werden. Für EU-Bürger gibt es aus arbeitsrechtlicher Sicht aufgrund der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit keine Beschränkungen. Eine A-1 Bescheinigung ist jedoch erforderlich.
Rasche Genehmigungsverfahren im One-Stop-Shop
Der administrative Prozess für den Bau von Wohn- und Geschäftsgebäuden ist in Ungarn unkompliziert und transparent geregelt. Allerdings können sich Zuständigkeiten kurzfristig ändern. Grundsätzlich bedarf es einer Baugenehmigung durch die örtliche Baubehörde. Die holt in der Regel ein lokal ansässiger Notar ein. Die Frist für die Erteilung der Baugenehmigung beträgt 15 Tage. Bauvorhaben mit absehbaren Umweltauswirkungen müssen vorab durch die zuständige Umweltschutzbehörde auf Basis einer Umweltverträglichkeitsprüfung genehmigt werden. Auch solche mehrstufigen Genehmigungsverfahren wickelt die lokale Baubehörde als One-Stop-Shop ab und übernimmt die Abstimmung mit den beteiligten Fachbehörden.
Ein Sonderfall in der ungarischen Bauwirtschaft sind Bau-, Umbau- und Erweiterungsvorhaben in Einzelhandelsgebäuden mit einer Gesamtfläche von über 400 Quadratmetern. Für Einkaufszentren dieser Größe wurde ein grundsätzliches Bauverbot verhängt. Ausnahmen sind per Sondergenehmigung und über mehrstufige Verträglichkeitsprüfungen möglich und werden angesichts neuer Shopping-Malls im Land offenbar regelmäßig gewährt. Seit 2012 versucht die Fidesz-Regierung mit dem "Plaza-Stop"-Gesetz die Konzentration auf dem Einzelhandelsmarkt einzudämmen und lokale Händler zu stärken. Die EU leitete dazu 2014 ein Vertragsverletzungsverfahren ein.
Regulatorisches Umfeld verunsichert Unternehmen
Die Unberechenbarkeit und hohe Frequenz staatlicher Regulierungen im Bausektor wird von internationalen und einheimischen Marktakteuren beklagt. Bei der letzten Mitgliedsbefragung des Bauunternehmerverbands ÉVOSZ empfanden 44 Prozent der Teilnehmenden das regulatorische Umfeld als hinderlich für ihre Geschäfte. Ein Problem für die Unternehmen ist nicht nur die Regulierungsfülle, sondern auch der kurze Vorlauf von neuen Vorschriften. Eine Konsultation der Interessenvertretungen findet häufig nicht statt.
Baustoffproduzenten und -händler wurden zuletzt mit einigen nennenswerten Änderungen konfrontiert. Für strategisch wichtige Rohstoffe und Produkte übt die ungarische Regierung seit 2021 eine Ausfuhrkontrolle aus. Exporte müssen vorab beim Ministerium für Technologie und Industrie beantragt werden. Für die Dauer der Prüfung des Antrags verfügt der ungarische Staat über ein Vorkaufsrecht. Zu den betroffenen Rohstoffen und Produkten zählen beispielsweise Kieselsteine, Schotter und Steine. Für zahlreiche weitere Bauprodukte gilt eine elektronische Meldepflicht im Warenkontrollsystem EKEAR.
Darüber hinaus führte die ungarische Regierung Mitte 2022 Sonderertragssteuern für einzelne Branchen ein. Betroffen sind auch Hersteller von Zement, Ziegeln, Baukeramik und Fliesen. Der Steuersatz beträgt 90 Prozent auf alle Verkaufserlöse, die über einem staatlich festgelegten Höchstpreis liegen. Seit Juli 2023 müssen große CO2-Emittenten wie Zementhersteller zudem eine CO2-Abgabe von 40 Euro pro Tonne entrichten.
Brüssel blockiert weiterhin EU-Fördergelder
Seit dem EU-Beitritt Ungarns profitierte die inländische Bauindustrie stark vom Zufluss europäischer Fördergelder. In der aktuellen EU-Förderperiode bis 2027 stehen Ungarn rund 22 Milliarden Euro kohäsionspolitischer Mittel zur Verfügung. Davon sind 6,7 Milliarden Euro für Maßnahmen im Bereich Umwelt und Energieeffizienz sowie nachhaltige Verkehrsentwicklung vorgesehen, weitere 1,7 Milliarden Euro sind für die Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur eingeplant. Bis Ende 2026 könnte Ungarn zudem 5,8 Milliarden Euro an Zuschüssen und 3,9 Milliarden Euro an Krediten aus dem EU-Wiederaufbaufond abrufen. Der ungarische Maßnahmenplan sieht hohe Summen für den Ausbau der Transportinfrastruktur und für Projekte in den Bereichen Energieinfrastruktur und Energieeffizienz vor.
Allerdings wird die Zahlung der Gelder seit Ende 2022 von Brüssel zurückgehalten. Die EU-Kommission sieht Defizite bei der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, dem Schutz von Menschenrechten und Minderheiten sowie der Korruptionsbekämpfung in Ungarn. Die Blockade der Mittel ist auch ein Grund, warum Bauminister János Lázár fast alle staatlichen Investitionsprojekte stoppte. Ende 2023 kam es zu einer Vorauszahlung von knapp einer Milliarde Euro aus dem Wiederaufbaufonds. Darüber hinaus gab die EU-Kommission unter großer öffentlicher Kritik zehn Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfond frei. Eine Klage des EU-Parlaments gegen die Freigabe ist noch anhängig.
Über den Einsatz der freigegebenen Gelder herrscht wenig Transparenz. Außerdem muss Budapest davon zunächst auch bereits getätigte Auslagen begleichen. Einige Gelder könnten sicherlich in die zuletzt angekündigten staatlichen Bauprojekte fließen. Die Reformbemühungen der ungarischen Regierung sind indes wenig überzeugend, während sich Ministerpräsident Viktor Orbán weiter unter seinen europäischen Amtskollegen isoliert. Vor dem Hintergrund bleibt es fraglich, ob weiteres Geld aus Brüssel kommen wird.
Tipps für den Markteinstieg
- Eine inländische Tochtergesellschaft oder lokale Partnerschaften eröffnen den Zugang zu Fördergeldern und öffentlichen Ausschreibungen.
- Auf Compliance sollte in Ungarn geachtet werden. Das Land belegte im Jahr 2024 lediglich Platz 82 im "Corruption Perception Index".
- Bei längerfristigen Vertragsabschlüssen entstehen Wechselkursrisiken.
- Für Investoren empfiehlt es sich, mit bilingualem Personal oder Partnern zu arbeiten.
Germany Trade & Invest stellt ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen zur Verfügung. Unsere Reihe Arbeitsmarkt liefert ausführliche Informationen zur aktuellen Lage auf dem ungarischen Arbeitsmarkt und zu den rechtlichen Rahmenbedingungen.