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Rechtsbericht USA Produzentenhaftung

US-Produkthaftung: Inhalt und Umfang der Ersatzpflicht

Geschädigte klagen in amerikanischen Produkthaftungsprozessen üblicherweise von Anfang an sehr hohe Schadensersatzsummen ein.

Von Jan Sebisch | Bonn

Hinweis: Der Rechtsbericht wurde erstmals am 2. März 2021 veröffentlicht und zuletzt inhaltlich überprüft und - soweit dies erforderlich war - aktualisiert im Oktober 2023.

Das amerikanische Recht unterscheidet bei Produkthaftungsansprüchen grundsätzlich zwischen dem kompensierenden Schadensersatz (compensatory damages) und dem Schadensersatz mit Strafcharakter (punitive damages). Im Vordergrund steht das Kompensationsprinzip. Der Kläger soll so gestellt werden, wie er stünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre. Die Kompensation erfolgt auf finanzieller Ebene. Dieser Gedanke kommt beim Schadensersatz mit Strafcharakter nicht zum Tragen. Der Schadensersatz mit Strafcharakter soll den Beklagten für sein Verhalten bestrafen und eine Warnung für Dritte sein.

Kompensierender Schadensersatz (compensatory damages)

Durch den kompensierenden Schadensersatz sollen die tatsächlich erlittenen Schäden ausgeglichen werden. Umfasst hiervon sind materielle Schäden (pecuniary loss) sowie immaterielle Schäden (non-pecuniary losses).  

Zu berücksichtigen ist, dass der kompensierende Schadensersatz von Laienrichtern beziehungsweise einer jury festgelegt wird. Es bestehen allerdings seitens der Gerichte Kontrollmöglichkeiten in Form von remittitur und additur. Remittitur fordert von der Jury die Minderung der zugesprochenen Summe. Sofern die Jury dem nicht folgt, ist nicht der Vorschlag des Richters entscheidend, vielmehr wird das Verfahren neu aufgerollt. Im Gegensatz dazu bewirkt additur eine Korrektur der zugesprochenen Summe nach oben. Hinsichtlich dessen gilt es allerdings zu beachten, dass diese Vorgehensweise von einigen Gerichten im Hinblick auf die verfassungsmäßige Bedeutung des jury trial als verfassungswidrig erachtet wird. Schadensersatzzahlungen die zum Ausgleich tatsächlich erlittener Schäden eingeklagt werden können, sind unter anderem Personen-, Sach- und Vermögensschäden.   

Personenschäden (personal injuries)

Der Ersatz von Personenschäden infolge eines fehlerhaften Produkts ist nach allen Haftungsgrundlagen (vertragliche Haftung, Fährlässigkeit, Gefährdungshaftung) möglich. Im Rahmen von Personenschäden werden insbesondere die Behandlungskosten ausgeglichen. Die Personenschäden umfassen gegebenenfalls auch die psychischen Beeinträchtigungen (emotional distress). Die Entscheidungspraxis der Gerichte zur Ersatzfähigkeit psychischer Beeinträchtigungen ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Zum Teil sind körperliche Begleitschäden erforderlich. Die Voraussetzungen, unter denen außenstehende Personen Schadensersatz für psychische Schäden verlangen können, die ihnen daraus entstehen, dass sie die Verletzung eines Dritten miterlebt haben (bystanders), sind ebenfalls unterschiedlich beziehungsweise unter den US-Gerichten sehr umstritten.

Sachschäden (property damages)

Sachschäden können im Rahmen der Fahrlässigkeitshaftung (liability for negligence) sowie der Gefährdungshaftung (strict liability) zugesprochen werden. Bei Ansprüchen aus der Gewährleistungshaftung ist die Ersatzfähigkeit davon abhängig, inwieweit der betreffende Bundesstaat den Uniform Commercial Code übernommen hat.

Vermögensschäden (pure economic loss)

Vermögensschäden sind Nachteile, die der benutzenden Person daraus entstehen, dass das Produkt hinter den versprochenen Leistungen zurückbleibt. Hierzu zählen der Minderwert des Produkts, Kosten für eine Ersatzbeschaffung, entgangener Gewinn, Folgeschäden an anderen Rechtsgütern oder sonstige wirtschaftliche Folgeschäden, wie zum Beispiel Anwalts- und Gerichtskosten oder Haftungsverpflichtungen gegenüber Dritten. Die Frage, ob ein Vermögensschaden ersetzt wird, ist von erheblicher praktischer Bedeutung, da diese Schäden oftmals den Großteil der entstandenen Schäden ausmachen. Viele Gerichte vertreten die Ansicht, dass ein Kläger, der durch ein fehlerhaftes Produkt allein einen Vermögensschaden erlitten hat, diesen ausschließlich unter den Voraussetzungen der Gewährleistungshaftung geltend machen kann. Eine einheitliche Rechtsprechung existiert allerdings nicht.

Strafschadensersatz (punitive damages)

Die Verurteilung zu Strafschadensersatz (punitive damages) ist eine Besonderheit des amerikanischen Schadensersatzrechts. Kaum eine andere Rechtsfrage ist häufiger Gegenstand von im Ausland geführten Diskussionen über das amerikanische Recht. Generell gilt, dass sensationelle Pressemeldungen nicht die Wirklichkeit vor amerikanischen Gerichten widerspiegeln. Die Furcht vieler deutscher Unternehmen vor astronomischen punitive damages ist oft unbegründet. Grundsätzlich gilt: Auch in den USA werden punitive damages nur in seltenen Fällen ausgesprochen.

Punitive damages werden dem Verursacher im amerikanischen Prozess zusätzlich zum tatsächlichen Schadensersatz auferlegt. Sinn und Zweck sind die individuelle Bestrafung des Beklagten, die Genugtuung des Opfers sowie die abschreckende Wirkung. Strafschadensersatz kann grundsätzlich nur bei deliktischen Ansprüchen, nicht bei vertraglichen Ansprüchen geltend gemacht werden.

Die Zuerkennung von punitive damages setzt, vorbehaltlich der Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten, ein besonders verwerfliches Verhalten des Beklagten voraus. Dem Beklagten muss eine besonders rücksichtlose (reckless) oder absichtliche (willful) Schadensverursachung, die als böswillig oder arglistig (malice) zu qualifizieren ist, zur Last fallen.

Die Höhe der punitive damages bemisst sich nach dem Charakter der Handlung, der Art der Verletzung und der Finanzkraft des Beklagten. Letzteres resultiert aus der Prämisse, dass der Beklagte die Zahlung von Strafschadensersatz "spüren" soll. Deswegen fallen punitive damages bei Großunternehmen auch tendenziell höher aus.

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