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Wirtschaftsausblick | Venezuela

Unsichere Zeiten: Venezuelas Wirtschaft nach der Wahl

Nicolás Maduro wurde erneut zum Präsidenten Venezuelas erklärt. Was bedeutet das für die Wirtschaft in den kommenden Monaten? GTAI gibt einen Ausblick. 

Von Janosch Siepen | Bogotá

Top-Thema: Drei Szenarien für die Wirtschaft nach der Präsidentschaftswahl

Am 28. Juli fand in Venezuela die Präsidentschaftswahl statt. Der seit 2013 amtierende Präsident Nicolás Maduro wurde zum Sieger erklärt. Viele Beobachter und Staaten halten das Wahlergebnis für höchst zweifelhaft und fordern die autoritäre Regierung auf, die Abstimmungsunterlagen zu veröffentlichen. Die Opposition gibt an, dass ihr Beweise für den Sieg ihres Kandidaten Edmundo González vorliegen. 

Das Ergebnis hat Konsequenzen für die Wirtschaft, die sich in den vergangenen Jahren von einer schweren Krise teilweise erholt hat. Maduros offizieller Amtsantritt ist im Januar 2025. Dem Land stehen daher unruhige Monate bevor, die von politischer wie wirtschaftlicher Unsicherheit geprägt sein werden. Daraus entstehen verschiedene mögliche Szenarien, unter anderem:

  1. Szenario 1: Trotz der vermuteten Wahlfälschung überwiegt das Interesse nordamerikanischer und europäischer Staaten an wirtschaftlicher Kooperation, um fossile Energieressourcen aus Venezuela zu nutzen. Sondergenehmigungen für internationale Unternehmen stützen die Ölwirtschaft weiterhin. Die Ölproduktion Venezuelas erholt sich zunehmend. Die Maduro-Regierung setzt die zaghafte Liberalisierung der Wirtschaft fort. Venezuelas Privatwirtschaft arrangiert sich mit der politischen Situation und agiert pragmatisch. Die gewachsene Annäherung zwischen beiden Seiten überdauert die politische Krise. 
  2. Szenario 2: Venezuelas Annäherung an die USA und die zeitweise Lockerung der Sanktionen enden. Die USA verkünden neue Sanktionen. Dies könnte insbesondere dann eintreffen, sollte Donald Trump erneut zum US-Präsidenten gewählt werden. Sondergenehmigungen für das Ölgeschäft werden gestoppt. Das trifft den Öl- und Gassektor, der sich in den letzten Jahren erholt hatte. Venezuela verkauft sein Öl weiter unter Wert, sinkende Ölpreise sorgen zusätzlich für niedrigere Exporterlöse. Der Zugang zu ausländischen Devisen nimmt weiter ab. Die Staatsfinanzen geraten noch stärker unter Druck. Kredite für Unternehmen bleiben rar. Derweil wertet die Währung schneller ab, die Inflation steigt.
  3. Szenario 3: Die innenpolitischen Turbulenzen, die bereits kurz nach den Wahlen begannen, breiten sich weiter aus. Gewaltsame Repression der Opposition wie in den vergangenen Jahren führen zu weiterer Polarisierung. Blockaden unterbrechen Transport- und Logistikrouten. Die komplexe Sicherheitslage macht es für Unternehmen schwieriger, die eigene Wirtschaftstätigkeit wie gewohnt weiterzuführen. Der Wirtschaftsbetrieb im Land leidet stark, die Auslastung der industriellen Kapazität sinkt weiter.

Wirtschaftsentwicklung: Prognosen rechnen 2024 mit Wachstum

Wie ist der aktuelle Stand? Prognosen sind wegen der eingeschränkten Datenlage im Fall Venezuelas mit Unsicherheit verbunden. Der britische Informationsdienstleister Economist Intelligence Unit (EIU) geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt 2024 um real 4 Prozent wächst. Langsamere Inflation, höhere öffentliche Ausgaben und eine leichte Erholung bei der Vergabe von Bankkrediten sorgen für mehr Konsum von Haushalten und Unternehmen. Ein stärkeres Wachstum verhindern die geringen Reallöhne und die hohe Steuerlast. Diese lag 2022 bei zwei Dritteln des Nettogewinns von Unternehmen, so der Thinktank Ecoanalítica.   

Verstaatlichungen und übermäßige staatliche Regulierung haben dazu geführt, dass Investoren kaum Vertrauen in das Land haben. Strukturelle Hürden werden die Investitionsdynamik weiter behindern, etwa der fehlende Zugang zu Bankkrediten im Land. Investitionen konzentrieren sich auf den Öl- und Gassektor, obwohl das Potenzial für eine industrielle Reaktivierung groß ist.

Inflation deutlich gesunken

Die Inflation ist im 1. Halbjahr 2024 gefallen. Die Zwölfmonatsrate lag im Juni bei 51,4 Prozent im Vergleich zu 404,4 Prozent im Vorjahresmonat, so die venezolanische Zentralbank BCV. Der Trend dürfte sich laut EIU fortsetzen, so dass der Konsum 2024 um real 2,7 Prozent zunehmen könnte. Zwar bremst die Teildollarisierung der Wirtschaft aktuell die Inflation, doch könnte eine Währungsabwertung infolge der Wahl die Inflation wieder beschleunigen. Die schwache Währung und Versorgungsengpässe behindern das Wachstum des Privatkonsums.

Venezuelas Importe hängen von dem Zugang zu Devisen und daher von den Ölexporten ab. EIU schätzt, dass die Exporte 2024 um rund 10 Prozent zulegen, in den kommenden Jahren aber ebenso wie die Importe langsamer steigen werden. Die hohen Ölpreise dürften sinken, und neue Sanktionen könnten die Exporterlöse zusätzlich mindern. US-Sanktionen führen bereits zu einer Überregulierung ("overcompliance"), die den Zugang einheimischer Firmen zu ausländischem Kapital erschwert.

Deutsche Perspektive: Unternehmen sind verhalten optimistisch

Zwar hänge die Situation vom jeweiligen Sektor ab, aber die wenigen im Land verbliebenen deutschen Unternehmen seien verhalten optimistisch, sagt Derxi Regardiz, stellvertretender Geschäftsführer der Deutsch-Venezolanischen Industrie- und Handelskammer (AHK Venezuela). Bei manchen Energieprojekten vergehen von der Planung bis zum Betriebsbeginn mehrere Jahre. Daher halten beteiligte Unternehmen trotz der politischen Unruhen an ihren Plänen fest. Dennoch dürfte sich die Geschäftstätigkeit durch die unsichere Lage schwieriger gestalten. Regardiz rät ausländischen Firmen, mit Investitionen bis Januar 2025 zu warten, wenn die konstitutionelle Amtszeit des derzeitigen Präsidenten endet. Er sagt:

"Die Zukunft in Venezuela ist kurz. Das heißt, man kann kaum langfristig planen." 

Unternehmen seien derzeit vor allem daran interessiert, Gehälter und Steuern weiter zahlen zu können. Da keine kurzfristige Lösung der politischen Krise absehbar ist, hält Regardiz aktuelle Wachstumsprognosen für fraglich. Gleichzeitig dürften strukturelle Faktoren wie die ausländische Nachfrage nach venezolanischen Energieträgern bestehen bleiben. 

Weitere Informationen finden Sie auf der GTAI-Länderseite zu Venezuela.

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