Branche kompakt | Vereinigtes Königreich | Medizintechnik
Branchenstruktur
Die britische Medizintechnikindustrie profitiert von ihrer Nähe zum Pharmasektor und der neuen Industriestrategie.
23.01.2025
Von Marc Lehnfeld | London
Im britischen Medizintechniksektor (UK SIC 2007, 26.60 + 32.50) erwirtschafteten 2022 nach Angaben des britischen Statistikamts 2.123 Unternehmen einen Umsatz von umgerechnet rund 9,9 Milliarden Euro. Zu dem Sektor zählen Konzerne wie der britische Orthopädie- und Wundversorgungsspezialist Smith & Nephew und der Verbrauchsmittelhersteller Convatec, aber auch große US-Hersteller wie Johnson & Johnson, Becton Dickinson und GE Healthcare mit eigenen Niederlassungen auf dem britischen Markt. Die Medizintechniksparte Smith Medical, die ursprünglich zum britischen Industriekonzerns Smiths gehörte, wurde im Januar 2022 für 2,7 Milliarden US-Dollar an den US-Hersteller ICU Medical verkauft und dort integriert.
Unternehmen | Sparte | Umsatz 2023 1) |
---|---|---|
Smith & Nephew Plc | Rekonstruktion Hüft- und Kniegelenkersatz, Wundversorgung | 5.132 |
Convatec Plc | Wund-, Stoma-, Kontinenz- und Infusionsversorgung | 2.035 |
Siemens Healthcare Limited | MRT, CT, Röntgensysteme, molekulare Bildgebung und Ultraschall, Labor-, Molekularsysteme, Angiographiesysteme | 842 2) 3) |
Medtronic Limited | Herzschrittmacher, Defibrillatoren, Knochentransplantate | 664 3) 4) |
Johnson & Johnson Medical Limited | Orthopädie (Hüfte, Knie, Trauma, Wirbelsäule), chirurgisches Nahtmaterial | 659 5) 6) |
Becton Dickinson Limited | Diabetesversorgung, Lösungen zur Medikamentenverwaltung und pharmazeutische Systeme, diagnostische - und präanalytische Systeme | 644 2) |
Elekta Limited | Präzisionsgeräte für die Strahlentherapie | 520 4) |
B. Braun Medical Limited | IV-Lösungen, Spritzenpumpen und Zubehör für IV-Therapie, Intensivpflege und Anästhesie | 263 |
Lokale und internationale Firmen produzieren vor Ort
Zu den deutschen Medizintechnikfirmen mit größerer Präsenz im Königreich zählen B.Braun Medical mit einer Produktion in Sheffield, Fresenius Medical Care als größter unabhängiger Dialyseanbieter mit über 50 Behandlungszentren im Land, sowie Siemens Healthineers mit mehreren Forschungs- und Produktionsstandorten. Siemens Healthineers investiert derzeit rund 270 Millionen Euro in den Bau einer neuen Produktionsanlage in North Oxfordshire für MRT-Geräte mit geringerem Heliumbedarf, die den aktuellen Standort westlich von Oxford ersetzen wird. Das Vereinigte Königreich zählt neben einem zweiten MRT-Produktionsstandort in China zu den strategischen Standorten des Konzerns.
Die britische Medizintechnikbranche verfügt zudem über eine breite Start-up-Szene mit 950 Gründern, wie aus einer Studie des Imperial College hervorgeht. Dazu zählen auch 282 Spin-offs aus britischen Universitäten. Erfolgreiche Beispiele für britische Healthtech-Start-ups sind der DNA-Analysespezialist DnaNude, CMR Surgical für robotergestützte Chirurgiegeräte oder der KI-basierte Gesundheitsberater von Peppy Health. Nennenswerte Forschungseinrichtungen im Bereich Digital Health sind das Big Data Institute der University of Oxford, das Institute of Health Informatics am University College London (UCL) und die Global Digital Health Unit am Imperical College London.
Life Sciences wird Teil der nationalen Industrial Strategy
Zusammen mit der bedeutenden Pharmabranche im Land, mit Großkonzernen wie AstraZeneca und GSK, bilden die Medizintechnikfirmen den noch größeren Sektor mit 4.465 Unternehmen, rund 154.000 Beschäftigten und einem gemeinsamen Umsatz von rund 37 Milliarden Euro. Der Life Sciences Sektor wird als einer von acht Sektoren in der neuen Industriestrategie der britischen Regierung berücksichtigt. Besonders in den Bereichen Datenverfügbarkeit, Künstliche Intelligenz, innovative Behandlungsansätze, personalisierte Gesundheit und innovative Produktionsverfahren sieht sie einen Wettbewerbsvorteil für den britischen Standort. Die genaue Strategie ist noch nicht veröffentlicht, weshalb noch unklar bleibt, wie die Branche konkret gefördert werden soll.
Wie wichtig der staatliche Handlungsdruck bereits ist, zeigt eine Umfrage der Association of British HealthTech Industries (ABHI). Darin sieht Verbandsgeschäftsführer Peter Ellingworth die Branche an einem Kipppunkt und verweist auf die gestiegenen Kosten durch die Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitgeber, gestiegene Registrierungskosten bei der nationalen Regulierungsbehörde MHRA und den schwierigen Marktzugang zum NHS.
Exporte 2024 rückläufig
Im Export sind die USA mit einem Anteil von rund 23 Prozent das wichtigste Zielland britischer Medizintechnikexporteure. Jedoch kommt der EU als Wirtschaftsraum mit einem Anteil von 56 Prozent eine deutlich größere Bedeutung zu, vor allem den Zielmärkten Deutschland, Niederlande, Belgien, Irland und Frankreich. Im Zeitraum Januar bis Oktober 2024 sind die britischen Medizintechnikausfuhren mit einem leichten Rückgang von 0,5 Prozent im Vergleich zur Vorjahresperiode stabil geblieben. Sowohl die Ausfuhren in die USA (-3,1 Prozent) als auch in die EU (-2,3 Prozent) schrumpften. Die Exporte nach Deutschland stiegen gegen den Trend um 3,8 Prozent.
SITC | Import (2023) | Anteil Import aus Deutschland | |
---|---|---|---|
774.1 | Elektrodiagnoseapparate und -geräte | 1.040 | 17,5 |
774.2 | Röntgenapparate etc. | 677 | 27,2 |
741.83 | Sterilisierapparate | 25 | 19,9 |
872.1 | Zahnmedizinische Instrumente; a.n.g. | 202 | 33,8 |
872.21 | Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen etc. | 1.394 | 13,5 |
872.25 | Ophthalmologische Instrumente | 220 | 7,1 |
872.29 | Andere Instrumente, Apparate und Geräte | 2.517 | 12,9 |
872.3 | Therapiegeräte, Atmungsgeräte etc. | 690 | 13,6 |
872.4 | Medizinmöbel etc. | 246 | 12,2 |
899.6 | Orthopädietechnik, Prothesen etc. | 3.304 | 8,0 |
Bei den medizintechnischen Importen ist die britische Abhängigkeit noch größer. Rund 72 Prozent der Einfuhren stammten im Zeitraum Januar bis Oktober 2024 aus der Europäischen Union, vor allem aus den Niederlanden (31 Prozent) und Deutschland (14 Prozent). Aus den USA als drittwichtigstem Herkunftsland und wichtigstem Drittstaat kommen etwa 10 Prozent. Auf Basis der Warensegmente (nach der Abgrenzung obiger Tabelle) ist die britische Importabhängigkeit aus der EU bei Spritzen, Nadeln, Katheter, Kanülen mit knapp 82 Prozent am höchsten. Nur bei Medizinmöbeln kommen etwas mehr als die Hälfte der Importe aus Nicht-EU-Ländern, vor allem aus China.