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Branchen | Vereinigtes Königreich | Automobilsektor

Branchenstruktur

Die neue Rolle außerhalb der EU stellt den Produktionsstandort vor extreme Anpassungsschwierigkeiten im elektromobilen Wandel. Eine Gigafactory-Ankündigung lässt die Branche aufatmen.

Von Marc Lehnfeld | London

Automobilstandort vor Lackmustest

Das Vereinigte Königreich ist laut OICA der sechstgrößte Produktionsstandort für Pkw in Europa und weltweit auf Rang 15. Die Insel ist vor allem ein Produktionshub, dessen vorläufiger Produktionshöhepunkt von rund 1,7 Millionen hergestellten Autos 2016 in immer weitere Ferne rückt. So ist das Volumen nicht nur im Coronajahr um fast 30 Prozent auf 921.000 Autos zurückgefallen, sondern bis Ende 2022 weiter auf nur noch 775.000 Pkw abgesackt. Für den Rückgang sorgen die allgemeinen Lieferkettenengpässe, vor allem die Chip-Krise, über die die Branche weltweit klagt. Aber auch die zollbürokratiereichere Position außerhalb des europäischen Binnenmarkts sowie das Ende der Honda-Produktion in Swindon und das Aus der Astra-Herstellung in Ellesmere Port sorgen für eine geringere Produktion von Fahrzeugen.

Schließlich werden acht von zehn Pkw exportiert, davon knapp 58 Prozent in die Europäische Union. Die Nachfragetransformation vom Verbrenner zum Elektroauto setzen die britische Industrie kräftig unter Druck. Diese wird zusätzlich getrieben durch die geplanten Verkaufsverbote für Pkw mit konventionellem Verbrennungsmotor im Vereinigten Königreich ab 2030 und in der EU ab 2035. Schließlich hinkt die Entwicklung von Gigafactories auf der Insel der EU hinterher.

Hinzu kommt eine Verschärfung der Ursprungsregeln für den britisch-europäischen Elektrofahrzeughandel: Ab 2024 darf bei Batteriepacks der maximale Anteil von Drittlandswaren 40 Prozent des Ex-Works-Preises (statt wie bisher 70 Prozent) beziehungsweise wie Batteriezellen 50 Prozent (statt 70 Prozent) nicht übersteigen. Ohne eigene Gigafactories können britische Hersteller ihre Elektroautos also nur noch dann zollfrei in die EU exportieren, wenn sie die Batterien aus der Union beziehen. Das wäre ein extremer Wettbewerbsnachteil der Insel. Deshalb schlägt einerseits der britische Automobilverband SMMT Alarm, aber auch das deutsche Branchensprachrohr VDA sieht die deutschen Exporteure für die Anhebung nicht bereit.

Nissan und JLR bauen eigene Gigafactories

Der elektromobile Wandel der britischen Autofabriken läuft in zwei Geschwindigkeiten. Von den fünf größeren Herstellern im Land haben sich bisher nur die zwei größten Hersteller zu Gigafactory-Projekten im Königreich bekannt. Am weitesten ist die Entwicklung beim größten Hersteller Nissan. Eine entsprechende Produktionsanlage des chinesischen Partners Envision AESC für 11 Gigawattstunden pro Jahr ab 2024 ist seit Ende 2022 in Bau und wird das benachbarte Nissan-Werk in Sunderland beliefern. Envision und Nissan investieren damit rund 1,2 Milliarden Euro im Vereinigten Königreich. Im Juni 2023 gab Nissan außerdem bekannt, die elektrische Version des Modells Leaf ab 2026 in Sunderland zu bauen. Noch Anfang des Jahres kritisierte das Unternehmen die hohe Kostenbasis am britischen Standort und forderte staatliche Unterstützung.

Größte Pkw-Hersteller im Vereinigten Königreich

Hersteller

Pkw-Produktion (2022, Stück)

Gesamtproduktion

775.014

Nissan

238.329

Jaguar Land Rover

202.788

MINI

186.222

Toyota *⁾

105.590

Bentley

15.639

* inklusive Suzuki.Quelle: SMMT (Motor Industry Facts) 2023

Der indische Jaguar Land Rover (JLR) Eigentümer Tata zog Ende Juli 2023 mit der Ankündigung einer 40 Gigawattstunden starken Produktion nach. Sie wird die Tata-Tochter Agratas umgerechnet knapp 5 Milliarden Euro kosten, während der britische Staat das Projekt mit knapp 600 Millionen Euro subventioniert. Produktionsstart soll 2026 erfolgen. Beide Marken des Konzerns, Jaguar und Land Rover, sind Spätzünder bei der Elektromobilität. Jaguars erstes Elektroauto, der SUV I-PACE, wird erst nächstes Jahr in den Markt eingeführt, bei Land Rover dauert es bis Ende 2024. JLR bekennt sich allerdings zu seinem traditionellen Standort auf der Insel. Über 17 Milliarden Euro investiert das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren in die Umrüstung seiner Produktionsanlagen, stärkt damit den Standort Halewood und den Elektromotorbau im Electric Propulsion Manufacturing Centre in Wolverhampton.

Flaute bei anderen Gigafactory-Projekten

Andere Gigafactory-Projekte im Königreich laufen schleppend. Laut Faraday Institute benötigt die nationale Industrie eine jährliche Produktionskapazität von 100 Gigawattstunden Batterien im Jahr 2030, um die Vorkrisenvolumen von 1,6 Millionen produzierten Pkw zu bedienen.

Der einstige Vorreiter Britishvolt hatte eine ursprünglich geplante Batterieproduktionskapazität von 300.000 Stück pro Jahr. Mit etwa 4,4 Milliarden Euro Investitionsvolumen war das Projekt die größte geplante Gigafactory des Landes, fiel aber in die Insolvenz und Medienberichten zufolge kommt der australische Aufkäufer Recharge seiner letzten Schlusszahlung für die Übernahme nicht nach. Das mit 1 Gigawattstunde deutlich kleinere Gigafactory-Projekt des Konkurrenten AMTE Power im schottischen Dundee konnte Ende Juli nur knapp einer drohenden Insolvenz entgehen.

Die als aussichtsreicher Kandidat für die JLR-Beschaffung gehandelte West Midlands Gigafactory mit einer möglichen Kapazität von 60 Gigawattstunden existiert bisher nur auf dem Papier. Nach der Tata-Entscheidung für die eigene Anlage in Somerset zeigen sich die Projektverantwortlichen zuversichtlich. Mögliche Batteriekunden bleiben hingegen unbekannt.

Wichtige Investitionsprojekte in der Kfz-Industrie im Vereinigten Königreich

Akteur

Investitionssumme (in Mio. Euro)

Projektstand

Vorhaben/Anmerkungen

Tata Group (indischer Mischkonzern), London

4.600

in Planung. Geplanter Produktionsstart: 2026

Bau einer neuen Batteriezellen-Gigafabrik in Somerset. Geplante Kapazität: 40 Gigawattstunden. Tata Group wird die zukünftigen batterieelektrischen Modelle ihrer Tochtergesellschaft Jaguar Land Rover beliefern, mit dem Potenzial, auch andere Automobilhersteller in Großbritannien und Europa zu beliefern.

Envision AESC; International Advanced Manufacturing Park (IAMG), in Sunderland, Nordostengland

522

Bauarbeiten begannen im Dezember 2022

Bau einer neuen Batteriefertigungsanlage für den Automobilsektor. Geplante Kapazität: 12 Gigawattstunden.

Tees Valley Lithium Ltd; Wilton International Chemicals Park                                                                                   

290

geplante Fertigstellung: 2025

Bau neuer Lithiumhydroxid-Aufbereitungsanlage für EV-Batterien.

Ford; Halewood, Merseyside und Produktionsentwicklungszentrum in Dunton, Essex

174

in Planung

Ford plant rund 145 Mio. Euro in Elektrofahrzeug-Antriebsstränge im Werk Halewood zu investieren. Rund 28 Mio. sollen in das Produktentwicklungszentrum in Dunton, Essex investiert werden.

Gordon Murray Group; Windlesham, Surrey

58

geplante Fertigstellung: 2024

Bau eines neuen globalen Hauptquartiers sowie Forschungs- und Entwicklungseinrichtung.

Hydrogen Vehicle Systems Ltd; Glasgow

35

in Planung

Entwicklung einer mit Wasserstoff-Brennstoffzellen betriebenen LKW-Kabine und Sattelzugmaschine. Das Projekt wird mit rund 17 Mio. Euro von der britischen Regierung unterstützt.

Toyota (GB) Plc

13

in Planung

Entwicklung und Pilotproduktion eines mit Wasserstoff-Brennzellen betriebenen Hilux-Pickup Trucks. Das Projekt wird mit rund 6 Mio. Euro von der britischen Regierung unterstützt.

Quelle: Pressemitteilungen; Recherchen von Germany Trade & Invest 2023

BMW stärkt Mini-Standort Oxford mit 700 Millionen Euro

Unter den vier Volumenherstellern im Königreich überwiegen nun die Bekenntnisse zum Standort Insel. Dazu gehört auch die kürzlich bekannt gewordenen Entscheidung des BMW-Konzerns umgerechnet rund 700 Millionen Euro in den Ausbau der Produktion in Oxford zu investieren. Ab 2026 werden die Vollelektro-Modelle MINI Cooper, in der Dreitürer-Version, und der MINI Aceman das Produktionsportfolio des Standorts erweitern. Ab 2030 sollen in Oxford dann nur noch Vollelektro-Pkw produziert werden. Im Zuge der angekündigten Verkaufsverbote für Verbrenner im Königreich und in der EU hat sich BMW damit langfristig bekannt.

Unklar ist die Lage beim viertgrößten Hersteller Toyota, die am Standort Derbyshire einzig den Hybrid-Corolla produzieren, und noch keine Entscheidung für die vollelektrifizierte Zukunft getroffen haben. Das Unternehmen produziert sein einziges Vollelektro-Modell, den bZ4X, weder im Königreich noch in der EU. Damit bleibt das Risiko, dass der japanische Hersteller seine Pkw-Produktion auf der Insel einstellen könnte, bestehen. Möglich ist aber ein Richtungswechsel. Das Unternehmen sicherte sich im Dezember 2022 staatliche Zuschüsse von fast 13 Millionen Euro, um am gleichen Standort Wasserstoff-betriebene Pickup-Trucks zu bauen. Einen ähnlichen Weg ging Stellantis am Standort Ellesmere Port mit dem Wechsel von der Pkw-Produktion zur Fertigung eines elektrischen Transporters. 


Einfuhr ausgewählter Kfz-Teile ins Vereinigte Königreich (in Millionen Euro, Veränderung in Prozent)

2022 1) 

 1. Halbjahr 2023 

Veränderung 1.Halbjahr 2022/2023

aus Deutschland 1.  Halbjahr 2023

SITC 778.3 Kfz-Elektrik

1.565,3

840,5

7,4

124,5

SITC 784 Karosserien, Stoßstangen etc.

11.463,1

6.449,4 

12,0

1.700,8

SITC 773.13 Zündkabelsätze

1.142,3

676,0

22,7

43,9

SITC 713.2 Motoren

1.222,4

868,0

47,4

241,7

Summe

15.393,1

8.834,0

15,0

2.110,9

1 Wechselkurs der Europäischen Zentralbank 2022: 1 Euro = 0,85276 Britische Pfund-Sterling (£); durchschnittlicher Wechselkurs 1. Halbjahr 2023: 1 Euro = 0,87661(£); Veränderung auf Basis der Landeswährung; SITC-WarenverzeichnisQuelle: UK Trade Info (HM Revenue & Customs) 2023

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