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Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie mit Strukturproblemen
Nach dem Waffenstillstand in Tigray hoffen Bekleidungshersteller in Äthiopien auf mehr Auslandsorder. Die vorgelagerte Textilindustrie bleibt aber schwach.
19.05.2023
Von Ulrich Binkert | Bonn
Aus Sicht der deutschen Wirtschaft haben sich die Hoffnungen in Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie bislang nicht erfüllt. Deutsche Modeeinkäufer zögern, und von geplanten Investitionen deutscher Firmen in der Branche ist nichts bekannt. Die deutschen Lieferungen von Textil- und Bekleidungsmaschinen verharrten zuletzt bei einer Million Euro jährlich, 2022 waren es laut vorläufigen Daten von Eurostat gar nur 0,2 Millionen Euro.
Produktionsbedingungen sind eigentlich top
Dabei umfasst Äthiopiens Textil- und Bekleidungsindustrie von der Faser bis zum Bekleidungsstück sämtliche Produktionsschritte. Das Land baut viel Baumwolle an, Strom ist billig und auch der Staat hilft mit Vergünstigungen und Flächen in großen Industrieparks. Die arbeitsintensive Bekleidungsindustrie profitiert von äußerst niedrigen Löhnen. Zwar hatten sich die Monatsgehälter für einfache Tätigkeiten im Zeitraum der Jahre 2019 bis 2022 zwar verdoppelt, erreichten aber dennoch umgerechnet erst 60 Euro.
Die einheimische Baumwolle allerdings ist minderwertig. Die Bauern bekommen gute Ware nicht honoriert und sind zudem vor Importen geschützt. Trotz aller staatlichen Pläne sei die Baumwolle "heute immer noch so schlecht wie vor 15 Jahren", sagt ein langjähriger Beobachter. Die Länge und Qualität der Fasern reichen für die Herstellung von Heimtextilien oder auch Jeans und anderem Gewebe, kaum aber für Strick- und Wirkwaren. Die minderwertige Qualität zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette, mit einer insgesamt veralteten, wenig leistungsfähigen Textilindustrie. Deren Kunden sind Bekleidungshersteller, die lediglich die unteren Qualitätssegmente des Inlandsmarktes oder benachbarter Länder abdecken.
Bekleidungsproduzenten müssen Stoffe weiter importieren
Daneben entstanden seit dem Jahr 2000 vermehrt exportorientierte Bekleidungshersteller. Die Investoren kamen zunächst aus der Türkei, später eher aus Indien, China und anderen asiatischen Ländern. Diese Produzenten importieren im Regelfall aus Qualitätsgründen sämtliche Stoffe. Für Knöpfe und andere Vorprodukte fehlt eine lokale Zulieferstruktur gänzlich.
Inzwischen immerhin stricken, weben, bedrucken oder färben offenbar mehr Betriebe höherwertige Stoffe: Äthiopiens Importe von Stoffen sind nach Angaben des Branchenverbands ETGAMA seit 2019 rückläufig und liegen jetzt wieder auf dem Niveau von vor einem Jahrzehnt. Kräftig zugelegt haben hingegen die Einfuhren von Garn, wovon einheimische Spinnereien offenbar nicht genügend gute Ware produzieren.
Ein Abbild dieser Entwicklung ist der Bekleidungsexporteur Desta. Er importiert noch alle benötigten Stoffe, will den Anteil durch den laufenden Bau einer Strickerei und Färberei aber auf die Hälfte reduzieren. Die Garne indes sollen auch künftig aus dem Ausland kommen, sagte Firmenchef Eyob Bekele im März 2023.
Äthiopien importiert zudem viel fertige Bekleidung. Dies verschärft den bereits extremen Devisenmangel im Land, den die Regierung durch eine strenge Bewirtschaftung zu managen versucht. Im Ergebnis erhalten Bekleidungsexporteure ebenso wie andere Branchen von der Zentralbank de facto nur noch einen Teil ihrer Exporterlöse in Dollar oder Euro. Dadurch fehlen ihnen die Mittel für den Import von Vorprodukten oder Maschinen.
Konflikte und Devisenmangel bremsen
Einen Rückschlag brachte auch der Bürgerkrieg in Tigray. Die teils bedeutenden Bekleidungsfabriken in der Nordprovinz arbeiten nicht mehr oder wurden sogar zerstört. Wegen der umstrittenen Rolle der Regierung im Konflikt haben zudem die USA als mit Abstand wichtigster Abnehmer äthiopischer Bekleidung zum Jahresanfang 2022 die Vorteile beim Marktzugang ausgesetzt. Auch nach Abschluss des Friedensvertrags im letzten November haben die USA noch keine Rückkehr zu dem AGOA genannten Schema angekündigt.
"Wir tun uns gerade sehr schwer, Bekleidungseinkäufer in Deutschland oder Nachbarländern für Äthiopien zu begeistern", sagt aktuell auch ein deutscher Berater. Grund sind nicht nur die Konflikte in Tigray und anderen Regionen, die das Image des Landes lädiert haben. Defizite gibt es weiter bei Logistik und Liefertreue. In den Fabriken ist die Arbeitsproduktivität immer noch niedrig, die Fluktuation umso höher. So kam Shanghai Textile 2022 laut eigenen Angaben nach einem Monat bereits die Hälfte von 1.500 neuen Angestellten abhanden, auch wenn dies in einem noch neuen Werk war. Aber auch ein etablierter äthiopischer Hersteller gibt aktuell an, bei 1.300 Beschäftigen pro Jahr 4.000 Einstellungen vornehmen zu müssen.
Die geografische Nähe spricht im schnelllebigen Modegeschäft eigentlich für Europa als primären Abnehmer äthiopischer Exportbekleidung. Und generell sind westliche Modefirmen an "neuen" Lieferanten wie auch Äthiopien interessiert. Sie diversifizieren ihre Beschaffungsquellen auch deshalb, um bei Problemen einer Quelle auf andere Bezugsländer ausweichen zu können, so wie bei Bangladesch und dem Einsturz der Rana-Plaza-Bekleidungsfabrik im Jahre 2013. Alternativen sind auch wegen allfälligen Fragen zur Lieferkette geboten, wenn ein Hersteller oder ein ganzes Land wegen Kinderarbeit oder schlechten Umwelt- und Sozialstandards in Verruf gerät.
US-Abnehmer und Discounter setzen auf Besserung
Für den Standort Äthiopien spricht nach Ansicht von Beobachtern, dass Probleme wie niedrige Effizienz oder hohe Fluktuation mit der Zeit verschwinden würden. Sie seien typisch für Länder im Stadium beginnender Industrialisierung. Einige ausländische Kunden arrangieren sich offenkundig mit den Defiziten in der Lieferfähigkeit Äthiopiens: Die derzeit dominierenden Abnehmer aus den USA bestellen nach Branchenabgaben eher große Mengen. In Europa gelte dies für Discounter, die zudem – anders als kleinere Modefirmen – längerfristig planten. So arbeitete Shanghai Textile Mitte 2022 an Lieferungen für Discounter in Italien und Deutschland. Und der größte ausländische Abnehmer äthiopischer Bekleidung war bis 2017 für einige Zeit Tchibo.
Unternehmen | Produkt; Anmerkungen | Ort/Industriepark |
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Indochine | chinesisch; Hosen, T-Shirts; lt. Website 6.600 Beschäftigte | Hawassa |
Jay Jay | indisch; Kinderbekleidung | Bole Lemi |
Shints | koreanisch; gewebte Bekleidung | Bole Lemi |
Nasa | äthiopisch; Jeans | Hawassa |
Shanghai Textile | chinesisch; Sweater u.a.; Bole Lemi Mitte 2022: 1.600 Beschäftigte; 5.000 Beschäftigte angestrebt; weitere Werke | Bole Lemi, Eastern Industrial Park |
Raymond | indisch; Anzüge; beschafft gerade Schneidemaschinen | Hawassa |
Lin De | chinesisch; gewebte Bekleidung | Bole Lemi |
Everest | taiwanisch | Hawassa |
Desta | äthiopisch; T-Shirts etc.; 1.300 Beschäftigte, baut Strickerei und Färberei, Maschinen dafür noch nicht beschafft | Butajira |
Ayka | ehemals größter Textil- und Bekleidungsproduzent, ehemals türkisch: Betrieb seit Jahren geschlossen, Belegschaft wird aber teils noch bezahlt; von staatlicher Development Bank of Ethiopia (DBE) kürzlich an private äthiopische Anteilseigner übergeben | |
ELSE | ehemals türkisch; von DBE kürzlich an private äthiopische Anteilseigner übergeben | |
DBL, Velocity | vormals mit die größten Bekleidungshersteller: Betriebe geschlossen wegen Tigray-Krieg | Mekelle |
Unternehmen 2) | Anmerkung; Produktion |
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Arbaminch | äthiopisch-chinesisch, veredelt importierte Stoffe |
Dongfang | chinesisch; verarbeitet importiertes Garn |
Mahavir | indisch; webt importiertes Garn |
Kombolcha | äthiopisch; voll integriert (Spinnen bis Veredeln) |
MNS | türkisch; voll integriert (Spinnen bis Produktion von Handtüchern) |
Eltex | äthiopisch; strickt und färbt |
Yirgalem | strickt |
Kanoria | indisch; webt und verarbeitet Denim |
Almeda | vormals größter Textilfirma: Betrieb beschädigt und nicht operational |
Lida | chinesisch; voll integriert; spinnt äthiopische Baumwolle, webt Denim und fertigt Jeans 2.700 Beschäftigte (2022) |
Wuxi No. 1 | chinesisch; spinnt Baumwolle |
Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
Verband der äthiopischen Textil- und Bekleidungsindustrie | |
Branchen- und Einkäufermesse, 3.-6. November 2023, Skylight Hotel, Addis Abeba; Veranstalter: Trade and Fairs Consulting GmbH |