Branchen | China | Elektromobilität
Im Wettbewerb entscheidet Schnelligkeit
Chinas Elektroautobauer haben sich mit neuen Modellen auf der Auto Show in Shanghai überboten. Diesen „China-Speed“ müssen VW und Co. lernen, um künftig erfolgreich zu sein.
09.05.2023
Von Corinne Abele | Shanghai
Chinas Automobilsektor befindet sich in rasantem Umbruch - und die deutschen Autobauer sind mitten drin. Jeder vierte verkaufte neue Pkw war im 1. Quartal 2023 im weltweit größten Kfz-Markt bereits ein Elektroauto. Was in China geschieht, ist Auftakt einer globalen Entwicklung. Deutsche Autobauer müssen um diesen Markt kämpfen, sie haben keine andere Wahl.
"Nur wenn deutsche Autobauer in China bestehen, werden sie die Zukunftsmärkte weltweit besetzen können."
Das betonte Christian Hochfeld, Direktor von Agora Energiewende, auf einer Veranstaltung der Redaktion China.Table Ende April 2023. Zweifel gibt es durchaus. Doch Hochfeld ist sich sicher: "Die deutschen Automobilhersteller zurückzupfeifen und sie aus diesem Stresstest herauszunehmen, ich glaube, das wäre das Ende der deutschen Automobilindustrie." Nicht umsonst wird der im Mai 2023 scheidende Präsident der Europäischen Handelskammer, Jörg Wuttke, nicht müde, immer wieder vom „Fitnesscenter China“ zu sprechen.
Kategorie | 2021 | 2022 | 2023 | 1. Halbjahr 2024 | Veränderung |
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Pkw, darunter: | 21.482 | 23.563 | 26.063 | 11.979 | 6,3 |
NEV 1) | 3.334 | 6.547 | 10.529 | 4.702 | 31,5 |
Pure Battery Drive (BEV) 2) | 2.734 | 5.365 | 6.885 | 3.019 | 11,6 |
Plug-in-Hybrid (PHEV) 2) | 600 | 1.518 | 2.804 | 1.922 | 85,2 |
Marktanteile deutscher Hersteller schwinden
Vor allem für Volkswagen steht viel auf dem Spiel. Jahrelang dominierte der deutsche Automobilbauer mit seinen Joint-Venture-Partnern den chinesischen Markt für Pkw mit Verbrennungsmotor. Inzwischen hat VW in China eine radikale Kehrtwende eingeleitet und in Hefei für rund 1 Milliarde Euro ein großes Werk für New Energy Vehicles (NEV) errichtet, wie in China Elektrofahrzeuge genannt werden. Außerdem haben die Wolfsburger dort ein Produktionswerk für Batteriesysteme aufgebaut. Hefei, die Hauptstadt der Provinz Anhui, will Elektromobilitätszentrum werden. Auch der chinesische Batteriezellenhersteller und Volkswagen-Partner Gotion High-Tech hat dort kräftig investiert. Zudem hat der chinesische Elektroautohersteller NIO mit lokaler Unterstützung neue Produktionskapazitäten geschaffen und errichtet Pressemeldungen zufolge ein Batterieproduktionswerk.
"China Speed" als Benchmark
Doch es reicht nicht. Volkswagen muss schneller werden, um mit den chinesischen Wettbewerbern bei Elektroautos mithalten zu können. So verkündete Volkswagen im April 2023, 1 Milliarde Euro in ein neues Entwicklungs-, Innovations- und Beschaffungszentrum (Projektname: 100%TechCo) für voll vernetzte Elektroautos in Hefei zu investieren. Damit soll die bisherige Entwicklungszeit um 30 Prozent reduziert werden.
Um die für China typische Geschwindigkeit zu erlangen, kündigte Volkswagen Ende 2022 an, mit Horizon Robotics zu kooperieren. Das Unternehmen bietet Computing-Plattformen für smarte Fahrzeuge in China an. Der Gründer und Chief Executive Officer Kai Yu berichtet, dass der Entwicklungszyklus für ein Fahrzeugmodell außerhalb Chinas mindestens ein bis eineinhalb Jahre betrage; chinesische Elektroautohersteller lägen hingegen, teilweise deutlich, unter einem Jahr.
Chinas Fahrzeugbauer als wichtige Kundengruppe
Geschwindigkeit und Flexibilität sind auch für die deutschen Tier-1-Zulieferer wie Bosch oder Continental ein Muss, wollen sie in China und letztlich global führend bleiben. Sie sind fester Bestandteil der chinesischen Kfz-Wertschöpfungsketten. Die meisten sichern sich inzwischen ihren Erfolg über einen erhöhten Anteil chinesischer Kunden. Bereits 39 Prozent der deutschen Kfz-Zulieferer in China erzielten 2022 mindestens 40 Prozent ihres Umsatzes mit chinesischen Fahrzeugherstellern (OEM), so eine erste Auswertung einer Umfrage des Verbandes der deutschen Automobilhersteller (VDA).
Langwierige Abstimmungsprozesse über die Zentrale in Deutschland können zum Wettbewerbsnachteil werden. Die während der Covid-Pandemie gewonnenen Freiräume haben vor Ort für Selbstbewusstsein gesorgt. Selbstständig, aber nicht unabhängig (vom Headquarter) zu sein, sei daher die Aufgabe, sagt ein deutscher Manager aus der Branche.
Für jeden das richtige Modell
Chinas Elektroautobauer bestimmen die Marktdynamik und sorgen bei ihren Kunden für die Qual der Wahl. Automodelle für jeden Geldbeutel und jede Altersklasse begründen auch den Erfolg des chinesischen Elektroautobauers BYD. Im 1. Quartal 2023 hielt das Unternehmen laut der China Association of Automotive Manufacturers (CAAM) am NEV-Markt einen Anteil von 34,8 Prozent und baute damit seinen Abstand auf Tesla (Anteil: 14,5 Prozent) weiter aus. Damit schob sich BYD im 1. Quartal 2023 vor Volkswagen auf Platz 1 der Liste der absatzstärksten Automarken in China.
Dabei haben die Anfang 2023 von Tesla eingeleiteten Preissenkungen inzwischen einen Preiskrieg ausgelöst. Einige traditionelle Autobauer wie SAIC, FAW, GAC Motor oder Geely finanzieren ihre neuen NEV-Modelle und -Marken mit Gewinnen aus dem traditionellen Fahrzeugbau. Doch gerade neue Marken wie NIO, XPeng oder Li Auto geraten stärker unter Druck, nachdem zum 1. Januar 2023 die nationalen Zuwendungen entfallen sind. Die Plattform Bestsellingcarsblog.com zählte Ende März 2023 insgesamt rund 190 chinesische Automarken; 17 Marken (wie Byton oder Byvin) rutschten bereits aus der seit 2018 bestehenden Liste.
Chinesische Auto-Exporte erst am Anfang
Während sich der NEV-Markt in China in den nächsten Jahren konsolidieren wird, haben führende Hersteller bereits gezielt Auslandsmärkte im Visier. Im 1. Quartal 2023 stiegen die NEV-Exporte Chinas um 110 Prozent auf 248.000 Fahrzeuge. Der größte Teil entfiel mit 92.000 Fahrzeugen auf Tesla. Etabliert sich China weiter als globales Produktionszentrum für Elektrofahrzeuge, wird sich dies ändern. Auch Elektro-Mini (BMW) oder Elektro-Smart (Mercedes-Benz) sollen künftig in Joint Ventures in China für China und die Welt produziert werden.
Die an Uiguren verübten Menschenrechtsverletzungen werden für Chinas Kfz-Industrie mit ihren weit verzweigten Lieferketten im In- und Ausland ein immer schwierigeres Thema. Seit 1. Januar 2023 fordert das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz von deutschen Unternehmen mit über 3.000 Arbeitnehmern eine sorgfältige Kontrolle ihrer Lieferketten, um Menschenrechtsverletzungen auszuschließen. Seit Ende 2021 gilt in den USA der Uyghur Forced Labor Prevention Act.