Markets International 04/23 I Deutschland I Wasserstoff
Grüner Wasserstoff als zentraler Hebel
Der Dresdner Elektrolyseur-Hersteller will vom Wasserstoffboom profitieren, sieht grünen Wasserstoff als zentralen Hebel, um die CO2-Emissionen der Industrie zu senken. Dr. Christopher Frey , Head of Public Affairs von Sunfire, warnt aber, dass bis dahin blauer Wasserstoff von der Übergangs- zur Dauerlösung werden könnte.
Von Benedict Hartmann | Deutschland
Herr Frey, wie positioniert sich Ihr Unternehmen in der Frage grüner oder blauer Wasserstoff?
Wir sind überzeugt, dass grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien die Zukunft gehört. Wir arbeiten mit unseren Produkten an einer Zukunft ohne fossile Brennstoffe und an einer komplett auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung. Auf dem Weg dahin ergeben sich für Deutschland und Europa enorme wirtschafts- und industriepolitische Potenziale. Unser Anspruch sollte sein, die Nr.1 bei Technologien zur Produktion, Speicherung, Transport und Anwendung von grünem Wasserstoff zu werden.
Das heißt, blauer Wasserstoff hat aus Ihrer Sicht keine Daseinsberechtigung?
Blauer Wasserstoff, der auf fossilem Erdgas basiert, kann für den Übergang in eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien eine Rolle spielen. Dafür müssen bei der Erzeugung aber strengste Grenzwerte für Emissionen und ein robuster Mechanismus für die Zertifizierung gelten. Das gilt u.a. auch für Methanemissionen bei der Erdgasförderung. Sonst leidet die Akzeptanz für das Thema Wasserstoff insgesamt. Um Lock-in Effekte und wirtschaftliche Fehlanreize zu vermeiden, sollte von einer finanziellen Förderung abgesehen werden. Das Ziel bleibt: So schnell wie möglich weg von fossilen Energien.
Darüber herrscht eigentlich Konsens. Inwiefern sehen Sie blauen Wasserstoff als mögliche Bremse der Energiewende?
Wir dürfen jetzt nicht schon wieder Schwung verlieren, indem wir die nächste Technologie (CCS) als Hoffnungsträger aufbauen und dabei vergessen, die jetzt unmittelbar verfügbaren Lösungen mit voller Kraft in den Markt zu bringen.
Sind die Ausbauziele der erneuerbaren Energien ausreichend, um bis 2030 grünen Wasserstoff einsatzfähig zu nutzen?
Der beschleunigte Ausbau erneuerbarer Stromerzeugung, insbesondere von Wind und Photovoltaik, ist Grundvoraussetzung für den Hochlauf von grünem Wasserstoff. Es ist also wichtig, dass die Ausbaupfade den Bedarf für Elektrolyse berücksichtigen. Für einen funktionierenden Markt brauchen wir sowohl ambitionierte Nachfrageinstrumente für grünen Wasserstoff – zum Beispiel Mindestquoten – als auch eine konsequent auf klimaneutrale Technologien ausgerichtete finanzielle Förderung. Nur dann können wir das volle Potenzial der Technologie ausschöpfen, die notwendigen Skaleneffekte und Lernkurven erzielen – und Elektrolyseure zu einem Exportschlager für Deutschland machen.
Was wünschen Sie sich noch von der Politik?
Was wir vor allem brauchen, ist ein robuster und verlässlicher Heimatmarkt, auf dem europäische Hersteller Erfahrungen mit Großprojekten sammeln können. Die erste Welle an Projekten muss über gezielte Förderinstrumente wie etwa auf europäischer Ebene die EU-Wasserstoffbank mit ausreichend finanziellen Mitteln gefördert werden - europaweit etwa zwei bis drei Milliarden Euch pro Jahr. Darüber hinaus bedarf es aber auch eines klaren Commitments zur schnellen Skalierung hiesiger Hersteller. Der politisch-regulatorische Rahmen für den beschleunigten Ausbau der Produktionskapazitäten sollte außerdem unbedingt finanzielle Garantieinstrumente und Bürgschaften für Hersteller enthalten. Wir brauchen schnellere Beihilfeverfahren, eine gezielte Förderung von Industriepartnerschaften zur Skalierung. Gleichzeitig braucht es eine Absicherung von globalen Elektrolyseprojekten aus Deutschland heraus gegen politische und wirtschaftliche Risiken: im Sinne der Hermes-Bürgschaften.
Für welche Sektoren sehen Sie den grünen Wasserstoff als realistische Alternative zu fossilen Energieträgern?
Grüner Wasserstoff ist ein Multitalent und kann in zahlreichen Anwendungen Klimaneutralität ermöglichen. Er wird in der Energiewirtschaft genauso einsetzbar werden wie in der Industrie oder im Mobilitätssektor – als Energieträger, für die Rohstoff-Produktion oder als Speichermedium. Damit bietet er enormes Potenzial für Klimaschutz und Energiesicherheit. Grüner Wasserstoff wird zuerst zur Transformation jener Sektoren eingesetzt werden, in denen CO2-Neutralität nicht über direkte Elektrifizierung erreicht werden kann. Unser Schwerpunkt liegt aktuell bei industriellen Anwendern, insbesondere in Sektoren wie Stahl, Energie oder Chemie. Auch im Mobilitätssektor wird der Einsatz von grünem Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen, allen voran in der Luftfahrt in Form von synthetischem Kerosin.
Welche sonstigen Technologien sehen Sie in Konkurrenz zu grünem Wasserstoff und wie gehen Sie die Branche damit um?
Es wird nicht das eine Allheilmittel geben. Je nach Branche werden verschiedene Lösungen zum Einsatz kommen. Nehmen wir das Beispiel Mobilität: Wir sind überzeugt davon, dass im Individualverkehr der Einsatz von Batterien sinnvoll ist. Der Schwerlastverkehr sowie die Luft- und Schifffahrt lassen sich jedoch nicht so einfach elektrifizieren. Hier werden sich insbesondere wasserstoffbasierte Lösungen (grüner Wasserstoff, Ammoniak, e-Fuels) durchsetzen. Wir machen uns also keine Sorgen, dass grünem Wasserstoff die Einsatzmöglichkeiten ausgehen könnten. Wenn wir jetzt schnell die Weichen stellen, wird der Markt in einem Rekordtempo hochlaufen. Projektentwickler haben bereits Wasserstoffprojekte im Umfang von mehreren Gigawatt angekündigt.
Sehen Sie die Gefahr der Abwanderung gewisser Industriezweige in die USA oder China?
Blicken wir auf die grüne Wasserstoffwirtschaft, die sich gerade herausbildet: Europa war hier über Jahre der Vorreiter – der politische Wille war früh da, Technologiehersteller und Anwender haben einzigartiges Know-how und erste Kapazitäten aufgebaut. Allerdings laufen wir gerade Gefahr, überholt zu werden. Die USA sind mit dem Inflation Reduction Act quasi über Nacht zu einem attraktiven Markt für grünen Wasserstoff geworden. Die chinesische Regierung hat einen Entwicklungsplan für Wasserstoff mit starker politischer Unterstützung aufgestellt; Länder wie Australien, Kanada oder Indien folgen. In China entsteht in den kommenden Jahren ein gigantischer Markt für grünen Wasserstoff und Elektrolyseure. Und zu gegebenem Zeitpunkt werden chinesische Hersteller auch auf den europäischen Markt drängen.
Was können wir besser machen?
Europa muss vor allem lernen, Technologien nicht nur hervorzubringen, sondern auch zu skalieren. Zu häufig stehen wir uns selbst im Weg. Beihilfeverfahren sind komplex und ziehen sich mitunter mehrere Jahre, während die chinesischen Wettbewerber mit billigen Krediten befähigt werden, in kürzester Zeit neue Fertigungsstätten – grüne Gigafactories – zu bauen.
Ist das Rennen vielleicht schon verloren?
Nein, aber wir haben insgesamt schon zu viel Zeit verloren. Die Industrie braucht dringend einen verlässlichen Rahmen, damit die Nachfrage nach grünem Wasserstoff in Europa entfesselt wird. Wir stehen gerade an einem wegweisenden Punkt: Nutzen wir die riesige Chance, die die industrielle Transformation bietet, oder riskieren wir, dass andere den Markt entwickeln? Wir sind hoffnungsvoll, dass Europa die Zeichen der Zeit erkennt. Die EU-Kommission hat in den vergangenen Monaten endlich Tempo in die Regulatorik gebracht. Der Net Zero Industry Act (NZIA) und die Wasserstoffbank sind richtige und wichtige Instrumente. Außerdem sind wir erleichtert, dass die EU-Institutionen nach fast zweijährigen Verhandlungen eine Einigung über die überarbeitete Richtlinie für erneuerbare Energien (RED III) erzielt haben. Darüber hinaus steht der delegierte Rechtsakt kurz vor der endgültigen Verabschiedung durch die EU-Institutionen – wir kennen endlich die Definition von grünem Wasserstoff und die Bedingungen für die Zertifizierung.
LESETIPP: Erfahren Sie mehr zu weltweiten Trends in puncto Wasserstoff im Schwerpunkt der Augustausgabe von Markets International. |