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Trübe Aussichten für die Entwicklungszusammenarbeit in Europa
Meldungen über gekürzte Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mehren sich unter europäischen Geberländern. Die Finanzierung von Projekten schwächelt. Ein Überblick.
28.01.2025
Von Hélène Pestel | Bonn
Programme der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit stehen in ganz Europa unter Druck. Aufgrund wachsender Haushaltsengpässe und neuer politischer Prioritäten reduzieren die Regierungen wichtiger europäischer Geberländer ihre Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit (ODA). Für Unternehmen im Entwicklungssektor bedeutet dies, dass Geschäftschancen mit bilateralen Agenturen in Zukunft knapper werden könnten.
Was ist ODA?
Die Official Development Assistance (ODA) ist eine international vereinbarte Messgröße für die Entwicklungszusammenarbeit der Geberländer. Mit der ODA misst der Entwicklungsausschuss DAC (Development Assistance Committee) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die öffentlichen Mittel, die Geberländer für Entwicklungsleistungen in Entwicklungs- und Schwellenländern ausgeben. Die Geber melden jährlich ihre ODA-Zahlen, der DAC wertet sie aus und veröffentlicht sie.
Zur ODA zählen Leistungen, die zu günstigen Bedingungen, mit dem Hauptziel der Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung von Entwicklungsländern von öffentlichen Stellen an Entwicklungsländer vergeben werden. Für die Anrechnung als ODA müssen alle vier Bedingungen erfüllt sein.
Deutschland und Frankreich: Noch kein Budget für 2025 verabschiedet
Deutschland und Frankreich sind traditionelle Schwergewichte der Entwicklungsfinanzierung. 2023 war Deutschland nach den USA der zweitgrößte bilaterale Geber der Entwicklungszusammenarbeit, während Frankreich auf Platz fünf lag.
In beiden Ländern steht der Staatshaushalt für 2025 noch nicht fest. Die bisherigen Haushaltsentwürfe können sich mit der Bildung der neuen Bundesregierung beziehungsweise der Verabschiedung des französischen Finanzgesetzes noch wesentlich ändern, geben aber erste Anhaltspunkte. Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland sehen diese erhebliche Kürzungen für die Entwicklungspolitik vor. Laut deutschem Gesetzentwurf soll das Budget des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) um knapp eine Milliarde Euro (circa 8 Prozent) sinken. Frankreich plant, das Entwicklungsbudget um 1,3 Milliarden Euro (22 Prozent) zu kürzen.
Akteure der Branche stellen sich auf eingeschränkte Mittel im Jahr 2025 und den darauffolgenden Jahren ein. Deutschlands und Frankreichs Partnerländer erwarten weniger neue Projekte und Zusagen.
Großbritannien: Kontinuität nach dem Regierungswechsel
In Großbritannien gewann die Labour-Partei die Neuwahlen im Frühsommer 2024 nach 14 Jahren konservativer Regierung. Die Entwicklungspolitik der Konservativen stand in der Kritik, insbesondere wegen erheblicher Budgetkürzungen seit 2020: Die ODA-Ausgaben sanken von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens (BNE) im Jahr 2020 auf 0,5 Prozent seit 2021.
Das 0,7-Prozent-Ziel
Das 0,7-Prozent-Ziel besagt, dass reiche Länder 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungsleistungen (ODA) ausgeben sollen. Das Ziel gibt es seit dem Jahr 1972 und stammt von den Vereinten Nationen. Bisher haben es nur wenige Länder erreicht, im Jahr 2022 waren es vier: Luxemburg, Schweden, Norwegen und Deutschland.
Der Regierungswechsel hat keine großen Veränderungen für die britische Entwicklungszusammenarbeit mit sich gebracht. Die Labour-Regierung will die 0,5 Prozent halten und gibt keinen Zeithorizont für das Erreichen des 0,7-Prozent-Ziels an. Verglichen mit dem Haushalt 2023/2024 wird das Budget für 2024/2025 um 1,6 Milliarden Pfund Sterling (10 Prozent) gekürzt.
Ein weiterer Kritikpunkt von Beobachtern im Sektor war, dass Großbritannien seit Jahren einen erheblichen Teil seiner ODA für die Unterbringung von Flüchtlingen im eigenen Land anstatt für Projekte in Partnerländern verwendet. 2023 betrugen diese Kosten 4,3 Milliarden Pfund – fast 30 Prozent der gesamten britischen ODA. Die neue Regierung plant keine Änderung dieser Praxis.
Niederlande und Schweden: Depriorisierung der Entwicklungspolitik unter rechtspopulistischem Druck
Beide Länder haben offiziell angekündigt, die Entwicklungszusammenarbeit von BNE-basierten Finanzierungszielen zu entkoppeln. Dies markiert einen Wendepunkt für zwei Länder, die sich seit 1975 verpflichtet hatten, das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen und bisher zu den großzügigsten bilateralen Gebern zählten. 2023 lagen Schweden und die Niederlande auf Platz 3 und 7 der Geber gemessen am BNE.
In den Niederlanden hat die neue, von der radikal-rechten Partei für die Freiheit (PVV) geführte Koalitionsregierung beschlossen, das Entwicklungsbudget drastisch zu kürzen: 300 Millionen Euro im Jahr 2025, 500 Millionen Euro im Jahr 2026 und 2,4 Milliarden Euro ab 2027. Die Regierung will drei Bereiche weiterhin priorisieren: Wasser, Ernährungssicherheit und Gesundheit.
In Schweden ist der Einfluss der rechtspopulistischen Schwedendemokraten, auf deren Unterstützung die Regierung angewiesen ist, auch in der Entwicklungspolitik zu spüren. Vorgesehen ist ab 2026 eine jährliche Kürzung von 3 Milliarden Schwedischen Kronen (etwa 260 Millionen Euro) gegenüber dem Jahresbudget für die Jahre 2023 bis 2025. In welchen Bereichen gespart werden soll, ist noch unbekannt. Die Ukraine soll aber der größte ODA-Empfänger Schwedens bleiben. 2024 hatte Schweden wiederum schon angekündigt, die Zusammenarbeit mit einigen Partnerländern zu beenden: Kambodscha, Mali, Südsudan, Burkina Faso, Jemen und Irak.
Italien und Spanien: neue Ambitionen in Sicht?
Ende 2023 kündigte die italienische Regierung den Mattei-Plan an, einen neuen, ambitionierten Plan, um Italiens Engagement in Afrika zu stärken. Geplant sind Projekte in ausgewählten Ländern, unter anderem in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft und Energie. Doch für die Umsetzung des Plans wurden keine zusätzlichen Gelder zugesagt. Vielmehr sollen die Mittel aus dem italienischen Klimafonds und aus dem Topf der Entwicklungszusammenarbeit kommen.
Der Haushaltsentwurf der italienischen Regierung für 2025 sieht zwar eine leichte Erhöhung der ODA-Mittel vor, doch die zusätzlichen Mittel sollen hauptsächlich an multilaterale Organisationen gehen und für die Unterbringung von Flüchtlingen in Italien verwendet werden. Die italienische Entwicklungsagentur AICS soll sogar weniger Geld erhalten.
Ein Lichtblick könnte aus Spanien kommen. Mit einem neuen, im Jahr 2023 verabschiedeten Entwicklungsgesetz verkündete die spanische Regierung größere Ambitionen. Während andere Geber das 0,7-Prozent-Ziel aufgeben, verpflichtet sich Spanien, dieses Ziel bis 2030 zu erreichen. Zuletzt gab Spanien 0,24 Prozent seines BNE für ODA aus. Ein positives Signal war zudem die Verdoppelung des Budgets der spanischen Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (AECID) zwischen 2021 und 2023, von rund 360 Millionen auf über 700 Millionen Euro.
Land | Durchführende Institution |
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Deutschland | KfW Entwicklungsbank Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) |
Frankreich | Agence Française de Développement (AFD) |
Italien | Italienische Entwicklungsagentur (AICS) |
Niederlande | Niederländisches Außenministerium (BZ) |
Vereinigtes Königreich | Britisches Ministerium für Auswärtiges, Commonwealth & Entwicklung (FCDO) |
Schweden | Schwedische Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (Sida) |
Spanien | Spanische Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (AECID) |
Angesichts des aktuell schwierigen Ausblicks sollten Anbieter im Entwicklungssektor genau beobachten, welche Projekte bei den jeweiligen Organisationen noch anstehen und bewilligt werden und sich gut auf die Teilnahme an Ausschreibungen vorbereiten. Zudem kann sich der Blick auf andere Geber wie multilaterale Entwicklungsbanken und ihre Projektpipelines lohnen.
Informationen über Projekte und Ausschreibungen
Bei der Umsetzung von geberfinanzierten Vorhaben schreiben die Staaten die benötigten Bau-, Liefer- und Beratungsleistungen oft international aus.
GTAI informiert tagesaktuell mit Projektfrühinformationen und Hinweisen auf Ausschreibungen über die vielfältigen Geschäftschancen in der internationalen Zusammenarbeit. Die kostenfreie Datenbank ist nach Land, Branche und Geber filterbar.
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