Im Jahr 2021 hat Finnland die neue Gesundheitsreform beschlossen. Das hat Auswirkungen auf die Nachfrage nach Medizintechnik. Der Bedarf wird vor allem aus dem Ausland gedeckt.
Finnlands Markt für Medizintechnik belief sich 2021 nach Schätzungen des Marktforschungsunternehmens Fitch Solutions auf ein Volumen von etwa 1,1 Milliarden Euro. Pro Kopf entspricht das einem Wert von 207 Euro. Der finnische Markt wird nach Ansicht der Experten in den Folgejahren zwar schrittweise wachsen. Das geringe Wirtschaftswachstum in Europa aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine wird die Entwicklungen auf kurze Sicht jedoch begrenzen.
Zwischen 2021 und 2026 erwartet Fitch Solutions ein durchschnittliches jährliches Marktwachstum von 6,6 Prozent. Damit würde sich der finnische Medizintechnikmarkt 2026 auf fast 1,6 Milliarden Euro insgesamt beziehungsweise 284 Euro pro Einwohner belaufen.
Nachfrage wird über Importe gedeckt
In Finnland eingesetzte Medizintechnik kommt zum großen Teil aus dem Ausland. Im Jahr 2021 beliefen sich die Importe auf insgesamt 940 Millionen Euro und lagen damit in etwa auf Vorjahresniveau. Deutschland war der wichtigste Lieferant und steuerte mehr als ein Viertel der gelieferten Medizintechnik bei. Mit einem Volumen von 250 Millionen Euro lagen die Importe aus Deutschland allerdings rund 6 Prozent unter dem Vorjahresniveau.
Im 1. Halbjahr 2022 setzt sich diese Entwicklung fort. Die Einfuhr von Medizintechnik nach Finnland aus aller Welt lag zwischen Januar und Juni 2022 um mehr als 3 Prozent über dem Niveau des Vorjahreszeitraums. Der Wert der aus Deutschland importierten Medizintechnik fiel im selben Zeitraum hingegen um mehr als 15 Prozent niedriger aus als im Vorjahr. Deutschland rutschte damit im finnischen Ranking der wichtigsten Lieferanten von Medizintechnik im 1. Halbjahr 2022 auf Platz 2. Stattdessen belegten die Niederlande den 1. Platz. Besonders die finnische Nachfrage nach deutschen Elektrodiagnoseapparaten und -geräten sowie Orthopädietechnik und Prothesen made in Germany ging stark zurück.
Lang diskutierte Reform wird umgesetzt
Finnland hat im Sommer 2021 die lang diskutierte Sozial- und Gesundheitsreform beschlossen. Über die sogenannte Sote-Reform wurde 15 Jahre debattiert. Hintergrund ist die stark dezentralisierte Organisation der finnischen Gesundheits- und Sozialdienste. Noch obliegt diese Aufgabe den 310 Gemeinden. Ab Januar 2023 wird die Organisation nun an 21 neu geschaffene Gesundheits- und Sozialregionen (hyvinvointialue) übertragen. Finnlands Hauptstadt Helsinki wird ihre Sozial- und Rettungsdienste weiterhin selber verwalten. Die Sote-Reform soll die Gesundheits- und Sozialversorgung in Finnland landesweit auf ein einheitliches Niveau bringen. Helsinkis Verwaltung befürchtet, dass ihr in Zukunft weniger Gelder zur Verfügung stehen werden.
Die Übertragung der Aufgaben an die neuen Regionen sowie die Integration der verschiedenen IT-Systeme ist mit einem großen administrativen Aufwand verbunden. Laura Hollanti, Geschäftsführerin des finnischen Medizintechnik-Verbands Sailab - MedTech Finland erwartet, dass es bis zum erfolgreichen Abschluss der Sote-Reform keine Zeit für strategische Entscheidungen geben wird. Aufgrund der alternden Bevölkerung im Land seien diese allerdings dringend notwendig. Die Expertin rechnet mit einem Abschluss der Reform innerhalb von einigen Jahren.
Saara Hassinen, Geschäftsführerin des Branchenverbands Healthtech Finland, erwartet ebenfalls einen jahrelangen Umstellungsprozess. "Derzeit wird die gesamte Aufmerksamkeit in die administrativen Herausforderungen gesteckt. Medizintechnik oder digitale Dienste werden aktuell kaum eingekauft", berichtet die Expertin. Auf lange Sicht wird der finnische Gesundheitssektor nach Einschätzung von Hassinen dank der Sote-Reform effizienter. Sie erwartet zudem, dass die Krankheitsprävention dann eine deutlich größere Rolle einnehmen wird.
Planungssicherheit für Firmen
Dass die Sote-Reform nach so langer Diskussion endlich beschlossen wurde und jetzt umgesetzt wird, bewertet Hollanti als positiv und ergänzt: "Das bietet den Unternehmen mehr Planungssicherheit." Der genaue Ausgang der Umstrukturierung stehe derzeit allerdings noch nicht fest. Dessen müssen sich die Unternehmen bewusst sein, warnt die Expertin. Sie empfiehlt daher, die Diskussionen zur Reform aufmerksam zu verfolgen.
Auf dem finnischen Markt aktive Hersteller von Medizintechnik befürchten, dass der Fokus bei Ausschreibungen nach der Umsetzung der Sote-Reform nur auf dem Preis liegen wird. Auch Hollanti stuft dieses Szenario als möglich ein. Wie eine Unternehmensbefragung von Sailab zeigt, sind die Absatzchancen für innovative Medizintechnik in Finnland in der jüngeren Vergangenheit jedoch gestiegen. Die Expertin ist deshalb vorsichtig optimistisch, dass bei finnischen Ausschreibungen auch in Zukunft die Qualität der Produkte eine Rolle spielen wird.
Als sicher gilt, dass das Volumen der Ausschreibungen in Zukunft größer ausfallen wird, da zukünftig nur noch 22 Gesundheits- und Sozialregionen und nicht mehr 310 Gemeinden ausschreiben. Das dürfte die Beteiligung für kleinere Unternehmen schwieriger machen. Marktexperten erwarten zudem, dass die Ausschreibungen zukünftig qualitativ besser und professioneller gestaltet werden. In der Vergangenheit sei das nicht immer der Fall gewesen, weil zum Teil entsprechendes Know-how in den Gemeinden fehlte.
Aktuelle Investitionsvorhaben im Gesundheitssektor in Finnland (Auswahl; Investitionssummen in Millionen Euro)
Private Gesundheitsdienstleister mischen auch mit
Nicht zu vernachlässigen sind in Finnland private Gesundheitsdienstleister. Sie übernehmen die berufsspezifische Gesundheitsversorgung am Arbeitsplatz, zu der die finnischen Unternehmen gesetzlich verpflichtet sind. Finnische Erwerbstätige haben dadurch meist einen besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung als beispielsweise Rentner oder Arbeitssuchende. Aufgrund der langen Wartezeiten im öffentlichen Gesundheitswesen steigt die Nachfrage nach privaten Gesundheitsdienstleistungen. Laut finnischem Verband der privaten Gesundheitsdienstleister (LPY) haben private Anbieter 2019 fast die Hälfte der primären Gesundheitsdienste (ohne Zahnmedizin) erbracht.
Private Gesundheitsdienstleister in Finnland (2021)
Lösungen für die Altenpflege sind gefragt
Der Eintritt in den finnischen Medizintechnikmarkt gilt als nicht einfach. Der Markt ist weitestgehend gesättigt. Besonders für einfache Produkte wie beispielsweise Spritzen, Masken oder Lösungen zur Wundversorgung ist der Markteintritt für neue Firmen sehr schwer. Auch bei den hochentwickelten Technologien (z.B. Röntgengeräte oder MRT) gibt es bereits viele Unternehmen auf dem finnischen Markt. Chancen gibt es in diesem Bereich laut Hollanti jedoch für Anbieter von neuen Technologien oder besseren als derzeit auf dem Markt verfügbaren Lösungen.
Das größte Marktpotenzial sieht Hollanti bei Produkten zur Altenpflege. Aufgrund der stark alternden finnischen Bevölkerung gebe es hier einen enormen Bedarf. Auch bei der Behandlung von klassischen Volkskrankheiten sieht die Expertin eine wachsende Nachfrage. Damit der Markteintritt in Finnland gelingt, empfiehlt sie die Zusammenarbeit mit einem lokalen Vertriebspartner. Eine gute Möglichkeit für die Kontaktaufnahme mit potenziellen finnischen Partnern sei die Medica Messe in Düsseldorf.
Rahmendaten zum Gesundheitssystem in FinnlandIndikator | Wert |
---|
Einwohnerzahl (2022 in Mio.)¹ | 5,5 |
Bevölkerungswachstum (2021 in % p.a.)² | 0,3 |
Altersstruktur der Bevölkerung (31.12.2021) | |
Anteil der unter 15-Jährigen (in %) | 15,4 |
Anteil der über 65-Jährigen (in %) | 20,2 |
Durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt (2021)² | Männer: 79,6 Frauen: 84,9 |
Durchschnittslohn (2021, brutto pro Monat, in Euro) | 3.678
|
Gesundheitsausgaben pro Kopf (2020, in Euro) | 4.137 |
Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP (2020, in %) | 9,6 |
Ärzte/100.000 Einwohner (2018) | 370 |
Zahnärzte/100.000 Einwohner (2018) | 75 |
Krankenhausbetten/100.000 Einwohner (2020), davon | |
privat | 13 |
öffentlich | 270 |
1) Prognose 2) Schätzung Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest
Von Niklas Becker
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