Wirtschaftsausblick | GUS | Konjunktur
Kaukasus und Zentralasien als neue Wachstumsinseln
Im Kaukasus und in Zentralasien wachsen die Volkswirtschaften trotz der globalen Krisen. Große Investitionsprojekte machen die Länder zunehmend interessant für deutsche Firmen.
10.06.2022
Von Gerit Schulze | Berlin
Für die ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und in Zentralasien ist Russlands Krieg in der Ukraine eine Zäsur. Beide Länder waren zuvor wichtige Beschaffungs- und Absatzmärkte. Außerdem leben dort viele Gastarbeiter aus den Kaukasusstaaten und Zentralasien, die mit ihren Geldtransfers in die Heimat einen wichtigen Beitrag zum Privatkonsum leisten.
Region könnte von globalen Verwerfungen profitieren
Der Warenaustausch mit Russland und der Ukraine wird durch den Krieg erheblich einbrechen. Gleichzeitig bieten sich neue Geschäftsmöglichkeiten, denn Unternehmen in aller Welt sind auf der Suche nach neuen Absatzmärkten und Produktionsstandorten. Davon könnte die Region rund um den Kaukasus und das Kaspische Meer profitieren.
Alle Länder der Region dürften schon 2022 ein Wachstum erzielen, das allerdings noch durch hohe Energiepreise, Inflation und das Wegbrechen des russischen Marktes gehemmt wird. Ab 2023 nimmt die Konjunktur dann an Fahrt auf mit Zuwachsraten beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) zwischen 4 und 5 Prozent.
Das größte Wachstum verzeichnet zurzeit Turkmenistan, das von seinen Gasvorräten und den hohen Weltmarkpreisen profitiert. Das Land ist stark auf China als Absatzmarkt fixiert und weitgehend unabhängig von der Wirtschaftsentwicklung in Russland. Allerdings profitiert die Privatwirtschaft kaum vom Aufschwung, weil der Staat das Geschäftsleben dominiert.
Usbekistan baut seine Infrastruktur aus
Interessanter für deutsche Unternehmen ist Usbekistan, dessen BIP 2022 und 2023 um jeweils 4 bis 5 Prozent zulegen dürfte. Die Prognosen mussten aufgrund der Behinderungen im internationalen Warenverkehr zwar gesenkt werden, jedoch profitiert der Binnenstaat weiter von seinem Ruf, einer der reformfreudigsten und chancenreichsten Zukunftsmärkte zu sein. Mit Hilfe privater Investoren lässt Taschkent die Infrastruktur ausbauen, setzt ambitionierte Branchenprogramme um und profitiert von gestiegenen Preisen für die Exportschlager Gold und Kupfer.
Die Anlageinvestitionen in Usbekistan sollen sich 2023 auf 60 Milliarden US-Dollar (US$) gegenüber 2022 mehr als verdoppeln, auch dank ausländischer Investoren. Große Vorhaben sind die Erschließung einer Erzlagerstätte, Windparks und Gaskraftwerke. Eine zunehmend wichtige Rolle spielt der Tourismus, wie der Bau eines 500 Millionen US$ teuren Ganzjahres-Resorts in einer Bergregion bei Taschkent zeigt.
Georgien hofft auf Ansturm der Touristen
Vom Aufschwung des Fremdenverkehrs will auch die Kaukasusrepublik Georgien profitieren. Während der Coronapandemie waren die Besucherzahlen stark gesunken. Nun sollen die Touristen die Berg- und Küstenregionen wiederentdecken. Entsprechend gibt es neue Investitionsprojekte für große Hotelanlagen im Thermalbad Tskaltubo und im Badeort Kobuleti. Positive Impulse bekommt Tiflis durch Migranten aus Russland und Belarus, die vor den Repressionen in ihrer Heimat geflüchtet sind und sich in Georgien eine neue Existenz aufbauen. Ihren Außenhandel hat die Schwarzmeerrepublik schon seit einigen Jahren diversifiziert, hängt beim Export von Getränken und beim Import von Weizen bislang aber stark von Russland ab.
In Kasachstan entstehen neue Windparks
Noch enger ist die wirtschaftliche Verflechtung mit dem großen Nachbarn in Kasachstan. Der Niedergang der russischen Wirtschaft infolge der Sanktionen und des Abzugs ausländischer Investoren dämpft daher auch die Konjunkturaussichten im neuntgrößten Land der Welt. Hinzu kommt der Corona-Lockdown in China, der den Warenverkehr mit Kasachstan einschränkt.
Wenig Impulse liefern die Anlageinvestitionen. Die Regierung in Nur-Sultan konzentriert ihre Ausgaben derzeit auf soziale Bereiche, um weitere Unruhen zu vermeiden. Erst ab 2023 dürfte es wieder mehr Projekte geben. In Planung sind große Vorhaben in der Chemieindustrie. Außerdem entstehen in Kasachstan neue Windparks und alte Heizkraftwerke werden modernisiert.
Während Kasachstan noch Wachstum generiert, droht das Nachbarland Kirgisistan in die Rezession abzurutschen. Wegen der schrumpfenden Überweisungen der Gastarbeiter in Russland erwartet die Weltbank 2022 einen Rückgang der Wirtschaftsleistung um 5 Prozent. Andere Institutionen wie der Internationale Währungsfonds trauen dem Land dagegen ein leichtes Wachstum zu. Hoffnungen setzt Bischkek in Investitionen mit Hilfe ausländischen Kapitals. Geplant sind Mautstraßen, Erdgaspipelines für den Transit nach China und ein großes Wasserkraftwerk.
In Aserbaidschan treiben die hohen Preise für Öl und Gas das Wachstum an. Während der Coronapandemie verschoben die Privathaushalte außerdem viele Anschaffungen. Dieser Konsum wird nun nachgeholt und kurbelt die Konjunktur zusätzlich an. Für Dynamik im Bausektor sorgen Transport- und Infrastrukturprojekte in den Ende 2020 von Armenien zurückeroberten Territorien. Außerdem investiert Aserbaidschan in Wind- und Solarparks, baut die U-Bahn in Baku aus und modernisiert Straßen und Bahntrassen.
Energiepreise treiben die Inflation an
Die hohen Energiepreise und Engpässe bei den Lieferketten heizen auch im Kaukasus und in Zentralasien die Inflation an. Bis auf Armenien und Tadschikistan sind die Teuerungsraten derzeit überall zweistellig.
Land | Inflation im April 2022 (in % zum Vorjahresmonat) |
---|---|
Moldau | 27,1 |
Ukraine | 16,4 |
Aserbaidschan 1) | 12,4 |
Kirgisistan 1) | 14,5 |
Turkmenistan 2) | 14,0 |
Kasachstan | 13,2 |
Georgien | 13,0 |
Usbekistan | 10,4 |
Armenien | 7,4 |
Tadschikistan | 7,3 |
Geschäftsklima bleibt eine Herausforderung
Trotz der positiven Wachstumsprognosen bleiben der Kaukasus und Zentralasien schwierige Märkte. Oft behindern staatliche und oligarchische Unternehmensstrukturen den freien Wettbewerb. Die Schattenwirtschaft ist groß, die Rechtsprechung nicht immer unabhängig. In Kirgisistan hat die Zwangsverwaltung einer privaten Goldmine ausländische Investoren verschreckt.
Auch die Kaufkraft bleibt schwach. Teure Konsumgüter aus Deutschland können sich nur wenige Haushalte leisten. In Aserbaidschan geben die Menschen pro Monat nur 200 Euro aus, davon die Hälfte für Lebensmittel. Im Nachbarland Georgien liegt der Wert bei 120 Euro und in Usbekistan nur bei 50 Euro.