Wirtschaftsumfeld | Italien | Wirtschaftsstruktur
Wirtschaftsstruktur: Viele Wirtschaftszweige sind exportstark
Italiens Wirtschaft weist viele wettbewerbsfähige Industrie- und Dienstleistungsbranchen auf. Diese konzentrieren sich in nördlichen Regionen.
18.07.2024
Von Torsten Pauly | Mailand
Mit seinen 59 Millionen Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 2.000 Milliarden Euro ist Italien der drittgrößte Markt in der Europäischen Union und ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. In beiden Ländern haben der Maschinenbau, die Chemie- und Kfz-Industrie sowie weitere Zweige der Metallindustrie große Bedeutung. Italien hat positive Salden in der Handels- und Leistungsbilanz.
Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die guten Handelbeziehungen sind die kurzen Lieferwege zwischen italienischen und deutschen Standorten. Unter den zehn EU-Regionen mit den meisten Beschäftigten in der Kfz-Industrie befanden sich 2020 drei in Süddeutschland und eine in Norditalien. Im Maschinenbau waren es fünf Regionen in Süddeutschland und vier in Norditalien. Dennoch gibt es Kritik an den teuren Mautgebühren auf den italienischen Autobahnen, die zudem in Teilen erneuerungsbedürftig sind. In der Zukunft dürfte der deutsch-italienische Handel vom Ausbau des Bahnnetzes für Hochgeschwindigkeits- und Güterzüge profitieren, einschließlich des Baus des Brennerbasistunnels.
Viele deutsche und italienische Industriebranchen ergänzen sich
Laut einer aktuellen Studie der Deutsch-Italienischen Hanelskammer ist die italienische Industrie – wie die deutsche – geprägt von vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die oft in Familienbesitz sind. Dabei liefert Italien oft hochwertige Vorprodukte. So hat Italien 2023 im Außenhandel mit Deutschland bei Kfz-Teilen einen Exportüberschuss von 474 Millionen Euro erwirtschaftet.
Im europäischen Standortvergleich punktet Italien mit einem günstigen Verhältnis von Produktivität und Lohnkosten. Im Jahr 2021 war die Bruttowertschöpfung je geleisteter Arbeitssunde um 10,4 Prozent höher als im EU-Durchschnitt. Gleichzeitig kostete eine Bruttoarbeitsstunde 2023 rund 6,7 Prozent weniger als im EU-Durchschnitt.
Strengths | Weaknesses |
Marktgröße | Wirtschaftliches Gefälle zwischen nördlichen und südlichen Regionen |
Diversifizierte Industriestruktur mit vielen Clustern | Teilweise langwierige Verwaltungsprozesse |
Forschung und Innovation | Hohe Staatsverschuldung |
Exportstärke vieler Branchen | Abhängigkeit von Auslandsmärkten |
Wettbewerbsfähige Lohnkosten | Fachkräftemangel im Norden |
Opportunities | Threats |
Hohe Fördergelder aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der EU bis 2027 | Hohe Zinsen verteuern Investitionskredite |
Ausbau der Verkehrsinfrastruktur | Stark gestiegene Energiekosten für Unternehmen und Haushalte |
Ehrgeizige Ziele bei erneuerbaren Energien | Alterung der Bevölkerung |
Investitionen in die Digitalisierung, Industrie 4.0 und Elektromobilität | Volatiles internationales Konjunkturumfeld |
Bestrebungen zur Entbürokratisierung | Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte vor allem aus Süditalien (Braindrain) |
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Verarbeitendes Gewerbe hat große Bedeutung
Italiens verarbeitendes Gewerbe hat seine Bedeutung in der Wirtschaftsstruktur in den letzten zehn Jahren um 2,1 Prozent ausgeweitet. Besonders wachstumsstark waren zwischen 2013 und 2023 der Maschinenbau, die Chemieindustrie, die Metallbe- und -verarbeitung, die Kfz-Industrie und die Elektroindustrie. Aber auch die Nahrungsmittel- und Getränkeverarbeitung sowie die Möbelindustrie verzeichneten in diesem Zeitraum ein deutliches Wachstum. Mit einem Anteil von mehr als 17 Prozent an der Bruttowertschöpfung belegte Italiens verarbeitendes Gewerbe 2023 innerhalb der EU den achten Platz in Bezug auf die Bedeutung dieses Sektors für die Wirtschaftsleistung.
Im Dienstleistungssektor haben dank überdurchschnittlichen Wachstums insbesondere das Gastgewerbe, der Handel und das Leasing sowie der Finanzsektor zwischen 2013 und 2023 an Bedeutung gewonnen. Der Beitrag von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten an der Bruttowertschöpfung blieb konstant bei etwa 1 Prozent. Große Bedeutung hat auch der öffentliche Sektor, der 2023 rund 20,2 Prozent aller Arbeitnehmer beschäftigt hat.
Sektoren | Anteil an der Bruttowertschöpfung 2023 | Anteil an den Beschäftigten 2023 |
---|---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 2,2 | 3,4 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 0,2 | 0,1 |
Verarbeitendes Gewerbe | 17,5 | 18,6 |
Energieversorgung | 1,7 | 0,6 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 1,1 | 1,1 |
Baugewerbe | 5,3 | 6,5 |
Dienstleistungen *) | 55,7 | 53,4 |
Starkes Nord-Süd-Gefälle in der Wirtschaftskraft
Die zehn nördlichen italienischen Gebiete haben 2022 etwa 56,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) erwirtschaftet. Dagegen hatten die acht südlichen Regionen nur einen BIP-Anteil von 22,1 Prozent. Im selben Jahr war das BIP pro Kopf im Norden um 83,1 Prozent höher als im Süden Italiens. Diese Schere hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten weiter leicht geöffnet, trotz öffentlicher Wirtschaftsförderungsprogramme für die südlichen Regionen.
Vor allem die Regionen Lombardei, Piemont, Venetien, Toskana, Ligurien und Friaul sowie die Autonomen Provinzen Südtirol und Trento verfügen über starke exportorientierte Cluster im Maschinen- und Anlagenbau, in der Chemie-, Kfz-, Mode- und Möbelindustrie. Allerdings herrscht in vielen Gebieten annähernd Vollbeschäftigung, was die Mitarbeitersuche erschwert.
Nachhaltiger Umbau der Wirtschaft sorgt im Süden für Wachstum
In Süditalien eröffnen sich in den kommenden Jahren gute Wachstumsaussichten durch die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energien. Italien will bis 2030 Kapazitäten von 73 Gigawatt errichten. Die großen Offshore-Windparks und deren Wartungscluster werden fast ausschließlich in südlichen italienischen Gewässern und Häfen entstehen. Daher baut der Rotorhersteller Vestas seinen apulischen Standort Tarent stark aus.
Auch für Solarstrom sind die Produktionsbedingungen im Mezzogiorno am besten. Im sizilianischen Catania hat die bis dato größte europäische Solarzellfabrik im Frühjahr 2024 ihren Betrieb aufgenommen. Es entstehen auch das Puglia Green Hydrogen Valley und weitere Elektrolyseanlagen.
In allen süditalienischen Regionen gibt es einen Fachkräfteüberschuss. Dort zahlen in- und ausländische multinationale Investoren bis zu 60 Prozent niedrigere Bruttostundenlöhne als im Norden des Landes. Daher hat Süditalien zuletzt weitere High-Tech-Projekte mit einem Investitionsvolumen von jeweils mehreren Milliarden Euro gewonnen. In der Realisierung befinden sich unter anderem eine Chipfabrik in Catania und zwei große Batteriezellenwerke im moliseschen Termoli und im sizilianischen Termini Imerese.