Leichtere widerstandsfähigere Kunststoffe und nachhaltige Produktionschemikalien prägen den Nachfragetrend in Italiens Industrie, Landwirtschaft und Baugewerbe.
85
Milliarden Euro
betrug die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen in Italien 2022.
Italien führt zum 1. Juli 2024 Steuern auf Kunststoffverpackungen ein. Dies fördert die Nachfrage nach leichteren Materialien, denn die Abgaben bemessen sich nach Gewicht. So müssen Hersteller 45 Eurocent pro Kilogramm an den Staat abführen, wenn das Material auf Wiederverwertung ausgerichtet ist. Ist dies nicht der Fall, so sind sogar 80 Eurocent pro Kilogramm zu zahlen.
Die italienische Inlandsnachfrage nach Chemieprodukten hat sich 2022 um 25,1 Prozent auf einen Rekordstand von 84,9 Milliarden Euro erhöht. Damit hat der Absatz den Coronaeinbruch 2020 und 2021 mehr als kompensiert. In der Europäischen Union war Italien 2022 mit einem Nettoumsatzanteil von 8,8 Prozent der viertgrößte Markt für chemische Erzeugnisse nach Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Der Transit durch Europas größten Hafen Rotterdam verzerrt allerdings die Binnenmarktgröße der Niederlande.
Deutschland ist führender ausländischer Lieferant
Importe decken einen Großteil der italienischen Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen ab. Im Jahr 2022 haben eine Inlandsproduktion von 66,7 Milliarden Euro und ein Einfuhrüberschuss von 18,2 Milliarden Euro den italienischen Chemiemarkt beliefert. Aus Deutschland kamen etwa 22,4 Prozent der Branchenimporte von insgesamt 102,5 Milliarden Euro. Damit war Deutschland das führende Lieferland vor Belgien mit einem Anteil von 12,2 Prozent, Frankreich (9,5 Prozent) und den Niederlanden (8,2 Prozent).
Die Nachfrage und Produktion chemischer Erzeugnisse wächst dank Kapazitätserweiterungen. Im Jahr 2021 hat die italienische Chemieindustrie 1,7 Milliarden Euro investiert, davon 1,4 Milliarden Euro in Maschinen und Anlagen. Hohe Investitionen haben 2021 auch die Pharmaindustrie (1,4 Milliarden Euro) und die Petrochemie (610 Millionen Euro) getätigt. Viele Großprojekte laufen zum Aufbau einer Produktion aus recycelten Grundstoffen.
Ausgewählte Investitionsprojekte der chemischen Industrie in ItalienAkteur/Projekt | Investitionssumme (in Mio. Euro) | Projektstand | Anmerkungen |
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Versalis: Anlage zur chemischen Behandlung gemischter Kunststoffabfälle in Mantua | 3.600 | Bau | Fertigstellung Ende 2024 geplant; Förderung durch den EU Innovation Fund |
Versalis: Anlage zur Verwertung von Styrolrückständen in Porto Marghera | 790 | Bau | Fertigstellung Ende 2024 geplant; Verfahren wurde vom Unternehmen Ecoplastic entwickelt |
Nextchem: Waste-to-Hydrogen-Anlage in Genua | 300 | Planung | Fertigstellung 2026 geplant; aus Abfall gewonnenes Biomethanol dient der Elektrolyse von grünem Wasserstoff |
Eni Rewind: Anlage zur Gewinnung von Phosphor und Energie aus Klärschlamm in Porto Marghera | 140 | Planung | Genehmigungsprozess; Verwertung von 190.000 Tonnen Klärschlamm pro Jahr geplant |
Itelyum, Plasta Rei: Bau einer Anlage zur Depolymerisation in Cisterna di Latina | k. A. | Planung | Genehmigungsprozess; Brownfieldprojekt in einer stillgelegten Fabrik |
Newcleo, NextChem: Entwicklung einer Dekarbonisierung chemischer Stoffe und angeschlossener Wasserstoffproduktion in Mailand | k. A. | Planung | Kooperationsvereinbarung 2024; klimaneutrale Produktion angestrebt |
Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest 2024
Die Industrie hat 2019, laut neuesten verfügbaren Zahlen des Chemieverbandes Federchimica, 71 Prozent der italienischen Chemieerzeugung abgenommen. Die mit Abstand bedeutendste Branche war die Kunststoff- und Gummiverarbeitung (19,9 Prozent), gefolgt von der Modeindustrie (5,8 Prozent), der Nahrungsmittel- und Getränkeverarbeitung (5,3 Prozent), der Metall- (5,1 Prozent) und Elektroindustrie (4,4 Prozent), der Pharmabranche (4,3 Prozent) und der Fahrzeugindustrie (3,9 Prozent).
Kfz-Industrie braucht neue Kunststoffe
Die industrielle Nachfrage nach Chemiewaren sollte sich 2024 im Zuge eines leichten Produktionsanstiegs moderat erhöhen. Die italienische Zentralbank hat Ende 2023 geschätzt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2024 um real 0,6 Prozent zulegt. Auch die Auftrags- und Produktionserwartungen des verarbeitenden Gewerbes waren Ende 2023 und Anfang 2024 laut Statistikamt Istat überwiegend positiv.
Ein besonders hohes Nachfragewachstum nach neuen Chemieprodukten ist von der italienischen Kfz-Industrie zu erwarten. Deren Bedarf soll laut Verband Federchimica bis 2035 um etwa 30 Prozent steigen, da die Umstellung auf Elektrofahrzeuge neue leichtere und festere Kunststoffe sowie Batteriekomponenten erfordert.
Fein- und Spezialchemikalien haben große Bedeutung
In der italienischen Industrieproduktion haben hochwertige Konsumwaren wie Mode, Möbel, Drogerieartikel und Lebensmittel eine große Bedeutung. Daher sind auch die hierfür benötigten Chemikalien mit hoher Wertschöpfung in Italien sehr gefragt. Laut Verband Federchimica haben Kosmetika, Reinigungsmittel, Arzneien, Farben und sonstige Fein- und Spezialchemikalien 2020 zusammen 60,2 Prozent der italienischen chemischen Erzeugung ausgemacht. Dieser Anteil war anderthalbmal so hoch wie im EU-Durchschnitt (39,4 Prozent).
In den kommenden Jahren ist bei der Nachfrage der Modeindustrie ein besonders hohes Wachstum bei umweltschonenderen Gerb- und Farbstoffen, Abwasserklärchemikalien und neuen synthetischen Fasern zu erwarten. Auch die Möbelindustrie setzt zunehmend auf ökologisch verträglichere Farben, Lacke und Stoffe zur Materialbehandlung. Die in Italien bedeutende Kosmetikindustrie ist gleichfalls an nachhaltigeren Inhaltstoffen interessiert.
Landwirtschaft will Wassereffizienz chemisch verbessern
Agrarchemikalien haben 2020 etwa 5 Prozent der italienischen Branchenproduktion ausgemacht. Hier ist Biotechnologie laut Federchimicaverband ein wichtiger Trend. Diese soll die Herstellung effizienter und Pflanzenschutzmittel und Veterinärarzneien nachhaltiger machen. Neue Chemikalien zur Wasserwiederaufbereitung erfordert die Klimaerwärmung. Die italienische Landwirtschaft hat 2021 und 2022 Dürreschäden von insgesamt 14 Milliarden Euro verzeichnet. An neuen Aromastoffen und Verarbeitungschemikalien ist Italiens Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie interessiert.
Die Bauwirtschaft hat 2020 etwa 4,7 Prozent der italienischen Chemieerzeugung abgenommen. Im Jahr 2024 ist beim Tiefbau mit einer leicht steigenden, bei Gebäuden jedoch mit einer sinkenden Nachfrage nach Chemikalien zu rechnen. Der Grund für den Hochbaurückgang sind die zuletzt gestiegenen Zinsen, was die Finanzierung verteuert und die Anträge für Gebäude verringert. Insgesamt hat die italienische Zentralbank Ende 2023 jedoch erwartet, dass die realen Bauinvestitionen 2024 moderat um 0,6 Prozent zulegen.
Der Nettoumsatz mit pharmazeutischen Erzeugnissen hat sich in Italien 2022 auf 29,2 Milliarden Euro summiert. Im Jahr 2023 gab es laut ersten Berechnungen einen kalenderbereinigten Umsatzanstieg um 7,8 Prozent.
Von Torsten Pauly
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Mailand