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Medizintechnik: Lateinamerika bietet interessantes Potenzial

Mit 670 Millionen Einwohnern ist Lateinamerika ein wichtiger, aber komplexer Abnehmer von Medizintechnik. Deutschland ist nach den USA und China der drittwichtigste Lieferant. (Stand: 23.10.2024)

Von Edwin Schuh | Mexiko-Stadt

Eine alternde Bevölkerung, die Zunahme chronischer Krankheiten und der Ausbau der öffentlichen Gesundheitsversorgung kurbeln die Nachfrage nach Medizintechnik in Lateinamerika mittelfristig an. Vor allem Zahnmedizin, plastische Chirurgie und E-Health werden nach Einschätzung von Experten weiter an Bedeutung gewinnen. Ein kleiner, aber fortschrittlicher privater Gesundheitssektor bietet gute Absatzmöglichkeiten für hochwertige Spezialprodukte.

Wichtigster Absatzmarkt ist Mexiko, gefolgt von Brasilien, Kolumbien und Chile. In Ländern wie Argentinien, Ecuador oder Venezuela wirken sich volatile Währungen und instabile politische Verhältnisse negativ auf das Geschäftsumfeld aus. Zugleich sorgen Modernisierungsbedarf und Nachhaltigkeitstrends für Impulse, so dass in der Region künftig neue Technologien wie chirurgische Robotik mehr Kunden finden könnten.

"Aktuell sehen wir einen dynamischen Absatz in Lateinamerika im Gegensatz etwa zu Europa oder Asien. Brasilien ist unser wichtigster Markt in der Region, weil wir dort eine große Fabrik für Infusionslösungen sowie 400 Vertriebsmitarbeiter haben." 

Carlos Jimenez Geschäftsführer von B. Braun Mexiko

Mexiko baut seine Position als größter Markt aus

In Mexiko stieg das Marktvolumen von Medizintechnik zuletzt schneller als erwartet. Hauptgrund hierfür war ein starker mexikanischer Peso. Umgerechnet auf die rund 130 Millionen Einwohner fiel der Umsatz pro Kopf 2023 sogar höher aus als beim traditionellen Spitzenreiter Chile. Für Mexiko erwartet der Marktforscher BMI in den kommenden Jahren das stärkste Wachstum unter den großen Ländern Lateinamerikas: Im Jahr 2027 soll in Mexiko Medizintechnik im Wert von 12,2 Milliarden US-Dollar (US$) verkauft werden, fast 45 Prozent mehr als 2023.

Die seit Oktober 2024 amtierende Präsidentin Claudia Sheinbaum will in ihrer sechsjährigen Amtszeit die öffentliche Gesundheitsversorgung in entlegenen Landesteilen verbessern. Ihr Regierungsprogramm sieht vor, über die Gesundheitskasse IMSS Bienestar in 154 bisher unversorgten Gemeinden neue Gesundheitszentren zu errichten. Dadurch soll bis 2030 mindestens eine Gesundheitseinrichtung mit Basisversorgung für je 3.000 Einwohner bereitstehen. Deutsche Anbieter von Medizintechnik klagen schon länger über langwierige Prozesse bei der Zulassungsbehörde für Medizinprodukte COFEPRIS und über Budgetkürzungen im öffentlichen Gesundheitssektor.

Unternehmen wie Medtronic, Becton Dickinson, Baxter, Fresenius, GE Healthcare, Johnson & Johnson und Siemens Healthineers produzieren in Mexiko. Das macht das Land zum größten Hersteller von Medizintechnik in Lateinamerika. Nach Angaben des mexikanischen Statistikamtes lag das Produktionsvolumen 2021 bei 12,3 Milliarden US$. Rund 98 Prozent davon ist für Lieferungen in die USA bestimmt.

Dank des Nearshoring dürften sich mittelfristig weitere Firmen im Land ansiedeln. So legte Becton Dickinson im Juli 2024 den Grundstein für ein drittes Werk in der Grenzstadt Ciudad Juarez, die Investitionen liegen bei 80 Millionen US$. Neue Werke hat das Unternehmen zuletzt in Hermosillo (Sonora) und Tijuana (Baja California) eröffnet.

Nur geringes Wachstum in Brasilien erwartet

Brasilien ist mit rund 210 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas und der zweitgrößte Absatzmarkt für Medizintechnik in der Region. Auch wenn die Gesundheitsversorgung unter Präsident Lula da Silva wieder höhere Priorität hat, rechnet BMI bis 2027 nur mit niedrigen einstelligen Wachstumsraten. Den Markt bremsen eine weniger wettbewerbsfreundliche Wirtschaftspolitik und die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit (6,8 Prozent Mitte 2024).

Laut BMI entfielen 2023 rund 1,7 Milliarden US$ des Bedarfs auf Verbrauchsmaterialien, 1 Milliarde US$ auf orthopädische Produkte und 0,9 Milliarden US$ auf Geräte zur diagnostischen Bildgebung. In der letztgenannten Kategorie kommt Siemens Healthineers auf einen Marktanteil von rund einem Drittel. Das Unternehmen stellt Röntgengeräte und Ultraschallgeräte unter anderem in Joinville (Bundesstaat Santa Catarina) her.

Unsichere Rechtslage in Kolumbien

In Kolumbien soll das Marktvolumen für Medizintechnik in den kommenden Jahren auf 2 Milliarden US$ steigen. Damit ist das Land der drittgrößte Markt in Lateinamerika. Die rund 53 Millionen Einwohner wurden verstärkt in das Gesundheitssystem integriert, so dass mittlerweile rund 99 Prozent der Kolumbianer abgedeckt werden. Die Gesundheitsinfrastruktur ist noch stark ausbaufähig. Vor allem in der Hauptstadt Bogotá investiert das Land in zahlreiche Krankenhäuser, insbesondere in den ärmeren Stadtteilen.

Eine von Präsident Gustavo Petro angestrebte Gesundheitsreform wurde im April 2024 durch den Senat abgelehnt. Die Gesundheitsbranche zeigt sich darüber erleichtert, da die Reform nach Ansicht von Experten zu mehr Ineffizienz und Korruption geführt hätte. Im September 2024 hat die Regierung die Reform jedoch in abgeschwächter Form erneut als Gesetzentwurf in den Kongress eingebracht, der nun darüber beraten wird.

Wirtschaftliche Turbulenzen in Argentinien

Trotz der relativ kleinen Bevölkerung von nur 20 Millionen Einwohnern zählt Chile aufgrund der hohen Pro-Kopf-Ausgaben im Gesundheitsbereich zu den interessanteren Märkten. Das Land profitiert von hohen Kupferpreisen, die auch das Regierungsbudget stärken. Mittelfristig sind die Aussichten für die Verkäufe von Medizintechnik daher positiv. Gleichzeitig besteht ein kaum auflösbarer Reformstau, der auch das Gesundheitswesen betrifft. Zusammen mit der ausufernden Bürokratie unter der Regierung von Gabriel Boric verunsichert das die Wirtschaft und verhindert ein dynamischeres Wachstum.

Die Wirtschaftskrise in Argentinien, verbunden mit der weltweit höchsten Inflationsrate (September 2024: 209 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat) und einem komplizierten Devisenregime, erschwert ausländischen Unternehmen das Geschäft. Zudem führte Präsident Javier Milei Sparmaßnahmen auch im öffentlichen Gesundheitssektor ein. Ab 2025 rechnen Analysten jedoch wieder mit einer deutlich besseren Wirtschaftslage. Davon dürften auch die Verkäufe von Medizintechnik profitieren. Nach einem Einbruch auf nur noch 542 Millionen US$ erwartet BMI in den folgenden Jahren zumindest wieder das Niveau von 2023. Auch der Arzneimittelabsatz dürfte künftig wieder steigen.

Strategien deutscher Medizintechnikhersteller in der Region

Firmen wie B. Braun, Siemens Healthineers, Fresenius oder Dräger sind seit Jahrzehnten in der Region aktiv, häufig mit eigener Produktion vor Ort. B. Braun weihte 2022 in der Dominikanischen Republik eine neue Produktionsstätte ein, deren Personal derzeit von 1.300 auf 2.500 Personen aufgestockt wird. Sie liegt in der Freihandelszone Zona Franca Las Américas und beliefert ausschließlich die USA. Der Standort biete ideale Bedingungen für die Produktion und den Export, so das Unternehmen. Auch in Kolumbien (chirurgisches Nahtmaterial) und Argentinien (Infusionslösungen) produziert B. Braun lokal. Mittelfristig erwägt das Unternehmen neue Produktionsstätten in Peru und in Mexiko.

Fresenius Medical Care (FMC) hingegen verkaufte im März 2024 das Netz an Dialysekliniken in Brasilien, Kolumbien, Chile und Ecuador für 300 Millionen US$ an den US-Konkurrenten DaVita. Ziel der Transaktion sei es, "Komplexität zu verringern und Profitabilität zu erhöhen", so Helen Giza, Geschäftsführerin von FMC in einer Pressemitteilung. Insgesamt seien 154 Dialysekliniken mit 7.100 Mitarbeitern betroffen. Aus Argentinien hatte sich FMC bereits Ende 2023 verabschiedet, betreibt jedoch weiterhin Produktionswerke für Dialyselösungen in Bogotá (Kolumbien), Guadalajara (Mexiko) und im Bundesstaat São Paulo (Brasilien).

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