Neue Öl- und Gasfelder, LNG-Terminals, aber auch Investitionen in mehr Nachhaltigkeit – die Projektpipeline in Lateinamerika ist voll. Drei Länder stehen besonders im Fokus. (Stand: 06.12.2024)
Lateinamerika ist ein bedeutender Produzent von Öl und Gas. Im Jahr 2023 förderten die Länder des Subkontinents 9,4 Millionen Barrel pro Tag. Das entsprach knapp 10 Prozent der weltweiten Produktion, zeigen Zahlen des Statistical Review of World Energy von Energy Institute.
In den kommenden Jahren dürfte der Anteil weiter steigen, denn laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur (IEA) werden Brasilien, Argentinien und Guyana ihre Produktion bis 2035 um 2,5 Millionen Barrel pro Tag ausweiten. Auch die Produktion von Gas soll steigen, allen voran in Argentinien. Damit wird die Region als Energieexporteur künftig an Bedeutung gewinnen.
Brasiliens Energieriese Petrobras investiert massiv
Der Öl- und Gassektor in Lateinamerika bietet eine große Fülle an Geschäftschancen, sei es für Zulieferer, Ingenieurbüros oder Förderunternehmen. So will allein Brasiliens halbstaatlicher Ölkonzern Petrobras im Zeitraum von 2025 bis 2029 insgesamt 111 Milliarden US-Dollar (US$) in seine verschiedenen Unternehmensbereiche investieren. Dies geht aus einer Anfang Dezember 2024 veröffentlichten Präsentation hervor.
Mit 77 Milliarden US$ soll der größte Teil der Gelder in die Bereiche Förderung und Produktion fließen. Die gesamte Fördermenge an Öl und Gas, einschließlich Projekten mit Partnern, soll von 2025 bis 2029 von 4,1 Millionen auf 4,5 Millionen Barrel pro Tag Öläquivalent steigen.
Rund 20 Milliarden US$ sind für die Petrochemie, darunter die Modernisierung von Raffinerien, sowie den Transport und den Vertrieb von Kraftstoffen bestimmt. Weitere 11 Milliarden US$ will der Energieriese in die Bereiche Gas und kohlenstoffarme Energie stecken. Vorgesehen sind auch Investitionen in das Recycling und die Außerbetriebnahme alter Ölförderplattformen. Das Düngemittelgeschäft will Petrobras wieder ausbauen.
Brasilien rückt bis 2030 auf Rang 5 der größten Ölförderländer vor
Petrobras verfügt über viel Know-how bei der Offshore-Förderung von Öl und Gas, dank der seit ihrer Entdeckung im Jahr 2007 erschlossenen Tiefseevorkommen vor den Küsten der Bundesstaaten Espíritu Santo, Rio de Janeiro, São Paulo, Paraná und Santa Catarina. Weil die Lagerstätten unter dicken Salzschichten in einer Tiefe von bis zu 3.000 Metern liegen, werden sie als Pré-Salt-Vorkommen bezeichnet. Auch bei der Abscheidung von Kohlenstoffdioxid (carbon capture and storage, CCS) zählt der Konzern global zu den Vorreitern.
Neben Petrobras sind weitere große internationale Energiekonzerne in Brasilien tätig, darunter die europäischen Firmen Shell, Equinor und TotalEnergies. Auch sie verfolgen große Investitionsprojekte.
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Erste Anlaufstellen für einem Markteinstieg sind die deutschen Auslandshandelskammern (AHK) in der Region. Die AHK Rio de Janeiro hat einen besonderen Fokus auf den Sektor.
Bedeutende Messen sind:
Dank der Erschließung neuer Vorkommen will Brasilien bis 2030 zum weltweit fünftgrößten Ölproduzenten aufsteigen. Im Jahr 2023 lag das Land auf Platz 9. Das Gros der Produktion entfällt bislang auf Felder vor der Küste im Süden und Südosten des Landes. Künftig sollen die Vorkommen vor der Nordküste stärker erschlossen werden, darunter auch vor dem Amazonas-Delta. Ein Teil der Genehmigungen durch die Aufsichtsbehörde Ibama steht aber noch aus.
Guyana erlebt Ölboom
Weiter im Nordwesten, vor der Küste von Guyana, kommt die Ölförderung bereits in Fahrt – und beschert dem 830.000 Einwohner zählenden Staat einen gewaltigen Boom. Nach Prognosen des Internationalen Währungsfonds wird die Wirtschaft des Landes 2024 um real 43,8 Prozent wachsen und danach bis 2029 im Schnitt um knapp 16 Prozent pro Jahr zulegen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf könnte bis 2029 auf fast 32.000 US$ steigen. Zum Vergleich: Als der Ölkonzern ExxonMobil 2015 die riesigen Ölfelder vor der Küste des Landes entdeckte, hatte das BIP pro Kopf nur bei knapp 4.300 US$ gelegen.
Anfang 2024 erreichte Guyana eine Produktionsrate von 645.000 Barrel pro Tag. Damit belegt das Land gemessen an der Produktion pro Einwohner bereits heute weltweit Platz 1, vor Kuwait und Katar. Bis 2030 soll die Förderung auf 1,6 Millionen Barrel pro Tag steigen. Die sprudelnden Einnahmen aus dem Erdölsektor ermöglichen der Regierung enorme Investitionen in die Energieversorgung, den Gesundheitssektor und die Verkehrsinfrastruktur.
TotalEnergies investiert in Suriname
Auf einen Ölboom hofft auch das Nachbarland Suriname. Im Oktober 2024 verkündete der französische Ölmulti TotalEnergies die finale Entscheidung für das Projekt GranMorgu. Dieses sieht die Erschließung von Ölfeldern 150 Kilometer vor der Küste des Landes vor. Kostenpunkt: 10,5 Milliarden US$. Ab 2028 sollen pro Tag 220.000 Barrel pro Tag gefördert werden.
Venezuela mit ungewissen Aussichten
Venezuelas Förderbranche steht nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen Ende Juli 2024 weiterhin vor unsicheren Zeiten. Zwar setzte die Biden-Regierung einige Sanktionen bereits im Vorfeld der Wahlen wieder in Kraft. Laut der Economist Intelligence Unit (EIU) erlaubte sie aber Ölkonzernen wie Chevron, Repsol (Spanien) und Maurel & Prom (Frankreich) die weitere Förderung. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sehen die Analysten jedoch die Gefahr, dass die Lizenzen wieder entzogen werden könnten, sollte Venezuela den USA bei der Rücknahme von Migranten nicht entgegenkommen.
Sollte es zu einem Politikwechsel in Venezuela kommen, bietet das Land mit den größten Ölreserven weltweit ein enormes Nachholpotenzial. Nach Schätzung eines früheren Leiters der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA müssten acht Jahre lang pro Jahr 25 Milliarden US$ investiert werden, damit das Land wieder zu dem einstigen Produktionsniveau von rund 3 Millionen Barrel pro Tag zurückkommt, schreibt die britische Zeitschrift The Economist.
Zuletzt hatte Venezuela seine Förderung gesteigert, dank der Lockerung der US-Sanktionen seit Ende 2022. Für 2024 rechnen die EIU-Analysten mit einer durchschnittlichen Produktion von 920.000 Barrel pro Tag.
Argentinien will zum fünftgrößten LNG-Exporteur aufsteigen
Argentinien wird seine Öl- und vor allem seine Gasproduktion in den kommenden Jahren voraussichtlich deutlich steigern. Schon heute ist das südamerikanische Land der größte Gasproduzent der Region. Der überwiegende Teil der Zuwächse geht auf die höhere Förderung an dem Vorkommen Vaca Muerta in der Provinz Neuquén zurück. Das Feld mit einer Fläche so groß wie Belgien umfasst laut Schätzungen die weltweit zweitgrößten Reserven an Schiefergas und die viertgrößten an Schieferöl.
Die Produktion an der Lagerstätte läuft bereits seit einigen Jahren, doch um sie zu erweitern, bedarf es neuer Pipelines für den Abtransport. Geplant sind Leitungen nach Brasilien sowie zu einem neuen LNG-Exporthub in Punta Colorada (Rio Negro). Gemeinsam mit der malaysischen Petronas will der argentinische Staatskonzern YPF dort eine Gasverflüssigungsanlage einschließlich Hafeninfrastruktur errichten. Die geschätzten Kosten hierfür belaufen sich auf bis zu 30 Milliarden US$. Laut YPF wird Argentinien damit künftig zum fünftgrößten LNG-Exporteur der Welt aufsteigen.
Neues Fördergesetz für Großinvestitionen setzt starke Anreize
Auch für die Lagerstätte Vaca Muerta sind enorme Investitionen geplant. Eine Studie von PricewaterhouseCoopers von Juni 2024 listet insgesamt 47 Vorhaben mit Gesamtinvestitionen von rund 200 Milliarden US$ auf. Vorschub erhalten die Projekte durch das im Juli 2024 verabschiedete Fördergesetz für Großinvestitionen RIGI.
Dank der starken Ausweitung der Förderung wird Argentinien künftig hohe Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas erzielen. In den ersten neun Monaten 2024 erwirtschaftete das Land im Bereich Energie bereits einen Exportüberschuss in Höhe von 3,7 Milliarden US$, so die EIU.
Bislang hatte auch ein deutsches Unternehmen eine gute Position in Argentiniens Ölsektor: Wintershall Dea. Die Kasseler waren an Feldern bei Vaca Muerta und im Offshore-Bereich tätig und verfügten über viel Know-how im Bereich CCS. Im September 2024 verkaufte BASF das Unternehmen aber an die britische Harbour Energy.
Unsicherheit über Energiepolitik in Kolumbien
Während Argentinien auf Öl und Gas setzt, um die wirtschaftliche Wende zu schaffen, vertritt Kolumbien unter dem seit Sommer 2022 amtierenden Präsidenten Gustavo Petro einen Kurs weg von fossilen Energien, die bislang aber für einen Großteil der Exporterlöse des Landes stehen.
Wegen ausbleibender Investitionen schwinden die Reserven, und Beobachter aus Wirtschaft und Politik warnen regelmäßig davor, dass sich Kolumbien künftig nicht mehr selbst mit Gas versorgen kann. Doch wurde auch in Kolumbien jüngst ein großes neues Feld entdeckt: das Offshore-Feld Sirius mit Reserven von 6 Billionen Kubikfuß. Rund 5 Milliarden US$ könnten in die Erschließung des Feldes fließen.
Noch bestehen aber Herausforderungen, allen voran bei Umweltgenehmigungen und der gesellschaftlichen Akzeptanz des Projekts. Langfristig könnte der Fund aber größere ausländische Investitionen in die Kohlenwasserstoffindustrie des Landes ziehen.
Mexiko wird zu LNG-Hub für die USA
Mexikos seit Oktober 2024 amtierende Präsidentin Claudia Sheinbaum strebt wie ihr Vorgänger López Obrador die Selbstversorgung des Landes mit Kraftstoffen an. Dazu sollen der Staatskonzern Pemex gestärkt und die Kapazitäten der Raffinerien erhöht werden. Als Produktionsziel setzt sich die Regierung durchschnittlich 1,8 Millionen Barrel pro Tag, was in etwa der heutigen Förderung entspricht. Im Gegensatz zu López Obrador strebt Sheinbaum jedoch mehr Nachhaltigkeit in der Energieversorgung Mexikos an.
Zahlreiche Projekte gibt es im Bereich LNG. Mexiko soll zu einem wichtigen LNG-Hub für Gasexporte aus den USA werden. Nach der Wahl von Donald Trump sind die Aussichten für die Umsetzung der Projekte wieder gestiegen, nachdem ein Genehmigungsstopp von Joe Biden Anfang 2024 für Verunsicherung in der Branche geführt hatte.
Von Fabian Nemitz
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