Branchen | Lateinamerika | Abfallentsorgung, Recycling
Kreislaufwirtschaft in Lateinamerika auf dem Vormarsch
Lateinamerika hinkt beim Thema Kreislaufwirtschaft noch hinterher. Neue Strategien sollen Abhilfe schaffen. Doch strukturelle Hürden bestehen weiter. (Stand: 04.11.2024)
Von Janosch Siepen | Bogotá
Jeder Einwohner Lateinamerikas produziert täglich 1 Kilogramm Müll. Das ist 0,26 Kilogramm mehr als der weltweite Durchschnitt, so Zahlen der Weltbank von 2018. Neuere Angaben liegen nicht vor. Beim Recycling hinkt die Region noch hinterher. Nur 4,5 Prozent aller Abfälle werden wiederverwertet, deutlich weniger als der weltweite Durchschnitt von 13,5 Prozent, berichtet die Interamerikanische Entwicklungsbank.
Zwei Drittel des Mülls landen auf regulären Mülldeponien. Der Rest wird meist auf offenen Müllhalden entsorgt oder verbrannt. Gleichzeitig stoßen die Deponien in vielen Ländern an ihre Kapazitätsgrenzen, während das Müllaufkommen weiter zunimmt. Der Handlungsdruck steigt – und das Interesse an Kreislaufwirtschaft wächst. Dies bietet Geschäftschancen für deutsche Unternehmen.
Nationale Strategien setzen auf Kreislaufwirtschaft
Mehrere Länder der Region haben in den vergangenen Jahren Gesetze zur Förderung der Kreislaufwirtschaft erlassen, darunter Chile, Kolumbien, Uruguay, Ecuador und Peru. In Mexiko-Stadt trat 2023 ein entsprechendes Gesetz in Kraft. Es soll Anreize für Unternehmen schaffen, Kreislaufmodelle einzuführen, beispielsweise durch ein freiwilliges Verfahren, bei dem kreislaufwirtschaftliche Kriterien bewertet und Siegel ausgestellt werden. In Brasilien hat der Senat im März 2024 dem Gesetzvorschlag PL 1.874/2022 zur Schaffung einer nationalen Kreislaufwirtschaftspolitik zugestimmt. Allerdings stockt das Vorhaben bisher.
In Chile soll das Kreislaufwirtschaftsgesetz Ley REP dazu beitragen, die bislang sehr niedrigen Recyclingquoten zu steigern. Eine Zielmarktanalyse der AHK Chile empfiehlt deutschen Firmen, sich zu positionieren und Netzwerke aufzubauen. Besonders gefragt seien technische Verfahren zur Herstellung von Mehrwertprodukten aus Abfällen – speziell auch aus Deutschland.
In Kolumbien soll nach der Einführung einer nationalen Strategie für Kreislaufwirtschaft (ENEC) vor einigen Jahren das Programm "Basura Cero" aus dem nationalen Entwicklungsplan 2022-2026 die Müllverwertung fördern. Ein neues Modell für Abfallmanagement in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá sieht vor, dass ab 2026 ein Drittel weniger Müll auf der Deponie landet. Dazu beitragen sollen Anreize zur Müllverwertung und der Bau neuer Müllsortieranlagen im Großraum Bogotá. Esenttia, eine Tochter des Staatskonzerns Ecopetrol, arbeitet mit Partnerunternehmen am ersten Projekt für komplexes Chemierecycling in Lateinamerika, so Unternehmensaussagen.
Projektname | Investitionssumme (in Mio. US$) | Stand | Projektträger |
---|---|---|---|
Kommunaler Abfallbehandlungskomplex Cochabamba (Bolivien) | 184 | Absprachen mit lokalen Gruppen | Kommunale Autonome Regierung von Cochabamba |
Komplex für die Abfallwirtschaft in Quito (Ecuador) | 180 | Vergabe April 2025, Betrieb ab 2027 | EMGIRS |
Ersatzbrennstoffanlage Mérida (Mexiko) | 163 | Machbarkeitsphase | Ciclo, Alengo, Spontem |
Abfallbehandlungszentrum Consimares (Brasilien) | 100 | Energieabnahme wird geklärt, Vergabe Mitte 2025 | Consórcio Intermunicipal do Lixo (Consimares) |
Zentrum für industrielle Abfallwirtschaft CIGRI (Chile) | 85 | Umweltstudien | Ciclo |
Energetische Abfallverwertungsanlage Araucanía (Chile) | 80 | Berufungsphase der Umweltprüfung | WTE Araucanía |
Abfallaufbereitungsanlage Mazatlán (Mexiko) | 52 | Frühphase | Stadtverwaltung Mazatlán |
Mülldeponie Los Ríos (Chile) | 12 | Baufortschritt bei weniger als 30 Prozent, Betriebsdatum steht aus | Stadtverwaltung Valdivia, Servimar |
Biogasanlage Xalapa (Mexiko) | 6 | Frühphase | Stadtverwaltung Xalapa |
Fokus auf private Beteiligung bei Projekten
In Brasilien gelang es in der Vergangenheit zwar noch nicht, in großem Umfang private Investoren für Abfallprojekte zu gewinnen. Doch gab die brasilianische Regierung im Mai 2024 neue Vorgaben zur Strukturierung von Verträgen heraus. Nun werden über das Programm für Investitionspartnerschaften (PPI) Verträge für 14 Regionen ausgearbeitet. Finanziert wird die Ausarbeitung der öffentlich-privaten Partnerschaften durch den Fonds FEP der staatlichen Bank Caixa. Die steigende Nachfrage nach Deponiegas macht Projekte immer attraktiver. Gleichzeitig investieren Brasiliens Zucker-Ethanol-Industrie, der Papier- und Zellstoffsektor sowie Großkonzerne des Agribusiness in effizientere Verfahren zur Reststoffverwertung und Bioenergiegewinnung.
Fokus auf PET
Laut einer Studie der Investmentgesellschaft für Kreislaufwirtschaft Circulate Capital sucht Brasiliens Industriesektor nach Lösungen für sein Verpackungsmanagement. Es bestehe eine hohe Nachfrage nach recyceltem Polyethylenterephthalat (PET). Dies gilt auch für Mexiko. Wegen der steigenden Nachfrage nach wiederverwerteten Kunststoffen baut der Verpackungshersteller Envases seine Recyclinganlage in Zentralmexiko aus. Das Unternehmen PetStar möchte bis 2027 seine Anlagen erweitern und in neue Sammelstellen investieren.
Deutsches Unternehmen baut erste Ersatzbrennstoffanlage Lateinamerikas
Deutsche Unternehmen sind führend in der Branche. So plant die Firma Alengo im mexikanischen Mérida zusammen mit Partnerunternehmen eine Anlage zur Herstellung von Ersatzbrennstoffen (Refuse-derived fuel, RDF). Die Anlage wird die erste ihrer Art in Lateinamerika sein und soll Abfälle in Pellets umwandeln, ein Brennstoff, der bislang hauptsächlich in Europa verwendet wird. Latasa Reciclagem, Brasiliens größter Aluminiumrecycler, setzt auf Sortiersysteme des Kölner Unternehmens Steinert. Die Firma Eggersmann liefert Kompostumsetzer an Patrón in Mexiko. Die größten Sortieranlagen in Lateinamerika, unter anderem in Brasilien und Mexiko, setzen auf Sortiertechnologie von Stadler aus Baden-Württemberg.
Viele Mülldeponien sind voll
In vielen Ländern kommen die Deponien an ihr Kapazitätslimit – oder haben dieses schon überschritten. In Kolumbien hatte 2022 mehr als jede zehnte Deponie die vorgesehene Lebensdauer überschritten. Mehr als ein Viertel der Halden hat eine Restlaufzeit von weniger als drei Jahren.
Im Umland der chilenischen Hauptstadt Santiago stehen in den nächsten Jahren zwei Großdeponien vor der Schließung. Mittelfristig wird in Chile Technologie zum Aus- oder Neubau von Deponien benötigt. Allerdings sind die Planungs- und Genehmigungsprozesse langwierig und die Umsetzung von Projekten kann an Gegenwind aus der Bevölkerung oder politischem Widerstand scheitern.
Indikator | Menge in Millionen Tonnen |
---|---|
Jährliches Aufkommen an Siedlungsabfällen | 230 |
Gesammelte Siedlungsabfälle | 195 |
Siedlungsabfälle auf regulären Deponien | 106 |
Nicht gesammelte Siedlungsabfälle und Siedlungsabfälle auf irregulären Deponien | 94 |
Siedlungsabfälle mit unbekanntem Ziel | 20 |
Aufbereitete Siedlungsabfälle | 10 |
Strukturelle Hindernisse behindern Modernisierung
Zwar sind Länder wie Chile und Kolumbien schon recht weit bei der Gesetzgebung zur Abfallverwertung und gelten lateinamerikaweit als führend. Doch wegen niedriger Deponierungskosten bleiben Anreize für nachhaltige Abfalltechnologien aus. In den meisten Ländern Lateinamerikas ist die Deponierung die billigste und einfachste Variante, sich des Mülls zu entledigen. Niedrige Tarife sorgen dafür, dass sich andere Behandlungsmethoden kaum rentieren. Das Abfallmanagement bildet die Lebensgrundlage Tausender Müllsammler und -verwerter. Deutsche Unternehmen können durch sozial nachhaltige Geschäftsmodelle hervorstechen.
"Nachhaltigkeit in Lateinamerika ist ein heißes Thema"
Rafaela Craizer, Technische Direktorin des Beratungsunternehmens BlackForest Solutions | © MATTHIAS KAUFFMANNRafaela Craizer ist Technische Direktorin des Beratungsunternehmens BlackForest Solutions. Im Interview mit GTAI berichtet sie über Trends und Chancen in der Abfallwirtschaft in Lateinamerika.
Frau Craizer, welche Trends beobachten Sie in der lateinamerikanischen Abfallwirtschaft?
Aktuell erleben wir einen verstärkten Ausbau von Müllsortieranlagen in einigen Märkten Lateinamerikas, und der Sektor zieht erhebliche Investitionen an. Zugleich sind Regierungen zunehmend bereit, in Technologien zur Verwertung organischer Abfälle zu investieren. Nachhaltigkeit ist ein wichtiges und aktuelles Thema in Lateinamerika, auch wenn es bei der Implementierung noch Potenzial gibt. Beispielsweise wird 2025 die UN-Klimakonferenz COP30 in Brasilien ausgerichtet. Zusätzlich gewinnen Fachmessen, wie die IFAT Brasil in São Paulo, an Bedeutung.
Welche Geschäftschancen gibt es für deutsche Unternehmen?
Deutsche Unternehmen haben gute Chancen von den positiven Entwicklungen zu profitieren, da sie einen guten Ruf genießen. Deutschland wird oft als Synonym für Kreislaufwirtschaft gesehen. Der Trend hin zu stärkeren Gesetzgebungen, beispielsweise zur erweiterten Herstellerverantwortung (EPR), sorgt dafür, dass künftig die Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards und Producer Responsibility-Organisationen (PRO) an Bedeutung gewinnen.
Was sind Hürden?
Ähnlich wie in vielen anderen Märkten stellt die Finanzierung eine erhebliche Herausforderung im Sektor dar. Beispielsweise zahlt nur ein gewisser Anteil der Bevölkerung Abfallgebühren, während die operativen Ausgaben und Ausbaubedarfe steigen. Dadurch ist das System unterfinanziert und viele Behörden können nicht in notwendige Technologien und Infrastrukturen investieren.
Was raten Sie deutschen Unternehmen, um im Sektor erfolgreich zu sein?
Da der Preis häufig noch ein entscheidender Faktor in der Region ist, sollten deutsche Firmen bei Produktion und Dienstleistungen so viel wie möglich lokal herstellen beziehungsweise auf lokales Personal setzen. Dadurch können Firmen aus Deutschland im Markt wettbewerbsfähig bleiben. Da viele große Unternehmen bereits präsent sind, kommt es darauf an, innovativ und kreativ zu sein.