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Mega-Straßenvorhaben von Chile nach Brasilien nimmt Fahrt auf

Der Corredor Bioceánico Vial soll die Pazifikhäfen Chiles via Paraguay und Argentinien mit dem brasilianischen Atlantikhafen Santos verbinden. Doch viele Fragen sind noch offen.

Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile

"Wenn alles optimal funktioniert, könnten Lkw die etwa 3.500 Kilometer lange Strecke in drei bis fünf Tagen zurücklegen. In diesem Fall würde die Transportzeit für chilenische Exporte nach Deutschland auf drei Wochen sinken", schwärmt Diego Torres Diez, Director of International Affairs des chilenischen Industrieverbands SOFOFA (Sociedad de Fomento Fabril). Richtung Europa sei Geschwindigkeit gerade für verderbliche landwirtschaftliche Produkte entscheidend, umgekehrt profitierten die hohen brasilianischen Ausfuhren nach Asien.

Bislang werden Waren von der Pazifikküste Chiles zu den Atlantikhäfen Brasiliens vorwiegend verschifft – entweder über die nördliche Route durch den Panamakanal oder die südliche um Kap Hoorn. Beide Optionen kosten Zeit und bergen Risiken wie Staus im Panamakanal oder Wintereinbrüche auf der Südroute. 

 

Weniger Kosten – mehr Resilienz

Eine direkte Straßenverbindung würde bis zu zwei Wochen Zeit sparen – und die Kosten der Panama-Durchfahrt. Allerdings ist die Überquerung der Anden im Winter ebenfalls problematisch. Doch eine Option mehr erhöht die Resilienz der Logistik. 

Der Corredor Bioceánico Vial sieht folgende Route vor: Von den chilenischen Häfen Arica, Iquique sowie Mejillones/Antofagasta soll die Strecke über die lithiumreichen argentinischen Nordprovinzen Salta und Jujuy und den paraguayischen Chaco zu den Häfen an der Südküste Brasiliens, allen voran Santos, führen. Bolivien, das aus Sicherheitsgründen als schwierig gilt, bleibt außen vor, ebenso die logistisch schwierige Amazonasregion.

Neu ist der Traum von der Direktverbindung nicht. Im Gespräch war der "Corredor Bioceánico Vial" bereits unter dem chilenischen Präsidenten Eduardo Frei (1994-2000). Doch nach der anfänglichen Euphorie wurde es erst einmal still um das Megaprojekt. Es gab andere Prioritäten. In Chile beispielsweise wuchs die Wirtschaft zwischen 2015 bis 2018 mit dem Abschluss einer Reihe internationaler Handelsabkommen. Dann paralysierten soziale Unruhen ("Estallido Social") und die Covid-19-Pandemie das Land. 

Mehr Wachstum und regionale Integration

Doch nun scheint das Thema in allen vier beteiligten Staaten wieder zur Chefsache zu werden. So war der Corredor Thema beim Besuch des chilenischen Staatspräsidenten Gabriel Boric bei seinem paraguayischen Amtskollegen Santiago Peña in Asunción im Juli 2024. Präsident Lula da Silva in Brasilien zeigt genauso Interesse wie Javier Milei in Argentinien. Bei verschiedenen Treffen zwischen Vertretern der nationalen Industrieverbände (SOFOFA/Chile, CNI/Brasilien, AEA/Argentinien und UIP/Paraguay) gehörte der Corredor Bioceánico zu den Top-Themen. 

Insbesondere die SOFOFA-Hauptgeschäftsführerin Rosario Navarro treibt das Projekt angesichts der unter ihrem Potenzial arbeitenden chilenischen Unternehmen voran. "Bei SOFAFA haben wir uns vorgenommen, unserem Land mit einer ehrgeizigen Agenda neue Exportimpulse zu geben. Dieses Ziel umfasst auch eine stärkere regionale Wirtschaftsintegration. Konkret wollen wir den Weg für wirtschaftliches und soziales Wachstum durch die Erschließung neuer Märkte und Geschäftsmöglichkeiten ebnen", so Navarro.

Zusätzlichen Schub bringt der im November 2024 in Betrieb genommene Hafen Chancay in Peru. Er soll größter Umschlagplatz an der Pazifikküste Südamerikas werden. Damit erhöht sich massiv der Druck auf die chilenischen Häfen. Deren Modernisierung tritt schon seit Jahren auf der Stelle.

"Das enorme Potenzial des Corredor Bioceánico dürfen wir nicht ignorieren. Die Umsetzung könnte bedeutende Wertschöpfungsketten zwischen Chile, Brasilien, Paraguay und Argentinien schaffen. Noch nie zuvor wurde der Bau des Korridors so konkret vorangetrieben. Wir haben Gespräche mit der Wirtschaft und Regierungsvertretern geführt und sind zuversichtlich, dass wir mit diesem koordinierten Einsatz aller Beteiligten so schnell wie möglich Fortschritte bei seiner Umsetzung erzielen können."

Rosario Navarro Hauptgeschäftsführerin des chilenischen Industrieverbands SOFOFA im Gespräch mit Germany Trade & Invest

Die Befürworter aus Politik und Wirtschaft erhoffen sich vom Corredor Bioceánico Vial Impulse für die regionale Entwicklung entlang der Strecke und damit eine gewisse Dezentralisierung der Wirtschaft innerhalb der Länder. Zudem würde das Projekt die Integration zwischen den vier Staaten vorantreiben.

Chile will Corredor bis 2026

Am 1. September 2024 initiierte der chilenische Wirtschaftsminister Nicolás Grau einen ersten "Public-Private-Roundtable", um die in Chile maßgeblichen Akteure aus Behörden und Wirtschaft an einen Tisch zu bringen (Comisión de Alto Nivel para el Desarrollo del Corredor Bioceánico). Als zeitliche Perspektive gab Präsident Boric die "Inbetriebnahme bis 2026" vor. 

Allerdings muss jedes Land selbst sehen, wie es seinen Part stemmt, und Chile hat bereits ein ausgebautes Straßennetz nach Argentinien. Dort wiederum sieht es anders aus. Noch gravierender sind die Defizite in Paraguay – dabei sieht das Land Chile als wichtigen Abnehmer für sein Rindfleisch. Eine bessere Anbindung würde den Warenverkehr deutlich erleichtern. Auch in Brasilien besteht Nachholbedarf. Allerdings gibt es bereits heute sichtbare Fortschritte, darunter beim Bau der Brücke Bioceánico zwischen Carmelo Peralta in Paraguay und Porto Murtinho auf brasilianischer Seite (voraussichtliche Fertigstellung im 1. Halbjahr 2026). 

Viele offene Baustellen: Von der Transportinfrastruktur über Sicherheit bis hin zum Zoll

Doch bis der Corredor Wirklichkeit wird, gibt es noch viele Herausforderungen zu meistern. Das gilt nicht nur für die Straßen, Brücken und Häfen. Auch "um die Straße herum" sind noch viele Fragen zu klären. Speziell das Thema Sicherheit müssen die Länder angehen, denn in den Anrainerländern kommt es immer wieder zu Überfällen auf Transporte.

Nötig ist auch eine entsprechende Infrastruktur an Reparaturwerkstätten und Punkten zur medizinischen Versorgung. Auf der Wunschliste der SOFOFA steht auch der Ausbau eines Digitalisierungsnetzwerkes. Außerdem müssen die Länder dafür sorgen, dass die Zollabwicklung zwischen den Staaten harmonisiert und vereinfacht wird. Die zeitlichen Vorteile sind schnell zunichte gemacht, wenn die Transporte an den Grenzen 24 Stunden und mehr warten müssen.

Der absolute Knackpunkt ist aber die Finanzierung. Allein der Finanzbedarf für eine der Brücken zwischen Paraguay und Brasilien liegt bei 89 Millionen US-Dollar. Tragfähige Schätzungen für die Kosten der Gesamtstrecke gibt es nicht. Vor diesem Hintergrund ist eine zeitliche Perspektive unmöglich.

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