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Wirtschaftsumfeld | Lateinamerika | Krieg in der Ukraine

Krieg in der Ukraine führt zu mehr Armut in Lateinamerika

Der Subkontinent spürt die Auswirkungen des Ukrainekriegs. In einer zunehmend polarisierten Welt hat die Region dem Westen Einiges zu bieten, nicht zuletzt bei Zukunftsthemen.

Von Fabian Nemitz | Bonn

Nahrungsmittelknappheit, hohe Preise für Treibstoff und Energie, Lieferkettenengpässe - der Krieg in der Ukraine sorgt weltweit für große Verwerfungen. Auch Lateinamerika ist keine Ausnahme. Nach der Covid-19-Pandemie, die die Region besonders stark getroffen hat, wird der Subkontinent mit der nächsten Krise konfrontiert.

Zwar leidet er nicht wie Afrika unter Nahrungsmittelknappheit. Die meisten Staaten Lateinamerikas produzieren genug für den Eigenbedarf beziehungsweise sind große Agrarexporteure und profitieren von den hohen Weltmarktpreisen. Auch bei Energie und Treibstoff sind viele Länder autark. 

Gefahr sozialer Proteste wächst

Dennoch wird in Lateinamerika das Wirtschaftswachstum insgesamt zurückgehen. Die Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) geht davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt der Länder zwischen Mexiko und Feuerland 2022 durchschnittlich real um 1,8 Prozent steigen wird. Dies geht aus einer im Juni 2022 veröffentlichten Untersuchung hervor. Zuvor war die UN-Organisation noch von einem Plus von 2,1 Prozent ausgegangen.

Die Auswirkungen des Krieges unterscheiden sich teilweise von Land zu Land, so in Mexiko, Brasilien und Argentinien. Doch überall lässt sich beobachten: Besonders hart trifft die Krise die breite arme Bevölkerungsschicht, die die stark gestiegenen Preise für Nahrungsmittel und Treibstoff kaum abfedern kann. Im April 2022 lagen die Verbraucherpreise 8,1 Prozent über dem Wert des Vorjahresmonats. Die Analysten von CEPAL gehen davon aus, dass der Anteil der vulnerablen Bevölkerung 2022 auf bis zu 33,7 Prozent steigen könnte. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 lag diese Quote bei 32,1 und 2014 bei 27,8 Prozent. Damit wächst in vielen Ländern die Gefahr sozialer Proteste.

Große Abhängigkeit bei Düngemittelimporten

Zwar sind die Handelsbeziehungen zum Angreiferstaat Russland und zur Ukraine gering. Laut Angaben der CEPAL entfielen auf beide Länder 2020 jeweils nur 0,6 Prozent der Im- und Exporte. Doch gibt es eine große Abhängigkeit bei der Einfuhr von Düngemitteln: Rund 78 Prozent beziehen die Länder der Region aus dem Ausland. Dabei stammten 2020 rund 88 Prozent der Importe von Düngemittel auf Nitrat- und Phosphatbasis aus Russland. Gleichzeitig verfügt Südamerika aufgrund seiner umfangreichen Reserven an Erdgas und Kalium über gute Voraussetzungen für den Ausbau der eigenen Düngemittelproduktion.

Bei den Ausfuhren nach Russland und in die Ukraine dominieren Früchte, Sojabohnen, Rindfleisch und Lachs. Einen größeren Anteil haben diese Produkte vor allem bei Paraguay, Jamaika und Ecuador; mit 4,5 bis 5,6 Prozent an den Gesamtausfuhren dieser Länder ist die Bedeutung aber überschaubar.

Mehrheit der lateinamerikanischen Staaten verurteilt russischen Angriffskrieg 

Die Mehrheit der Staaten in Lateinamerika verurteilt Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Dies zeigt das Verhalten der Länder bei der Abstimmung in der UN-Generalversammlung Anfang März 2022. Lediglich El Salvador, Kuba und Nicaragua enthielten sich. Venezuela war bei der Verabschiedung nicht anwesend.

Gleichwohl vermeiden es die großen Staaten in der Region - wie in vielen weiteren Ländern des globalen Südens - klar Stellung zum Krieg zu beziehen. Brasilien etwa importiert weiter Düngemittel aus Russland und hat im Juli 2022 angekündigt, mehr Diesel aus Russland kaufen zu wollen. Bei ihrem Gipfeltreffen in Paraguay Ende Juli 2022 sprachen sich die Mercosur-Länder gegen eine Videoansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus.

Längerfristige Strategien als Antwort auf den Krieg in der Ukraine sind in der Region bislang nicht festzustellen. Das Gros der Länder ist mit innenpolitischen Themen beschäftigt: In Brasilien herrscht Wahlkampf, in Chile steht ein Referendum über eine neue Verfassung an, Kolumbien erlebt einen Regierungswechsel und Argentinien gerät zunehmend in eine wirtschaftliche Krise.

Lateinamerika hat dem Westen viel zu bieten

Der Krieg in der Ukraine und die wachsenden Spannungen zwischen dem Westen und China zeigen, wie wichtig es für Unternehmen ist, geopolitische Risiken zu berücksichtigen und Störungen beim Absatz, der Beschaffung und den Lieferketten zu minimieren. Hierbei lohnt sich ein Blick auf Lateinamerika mit seinem großen Reichtum an Rohstoff-, Agrar- und Energieressourcen - darunter solchen, die für den Klimaschutz entscheidend sind. So verfügt Lateinamerika über die größten Vorkommen an Lithium weltweit. In Argentinien, von wo in den nächsten Jahren gemäß Prognosen der Deutschen Bank die größten Zuwächse der weltweiten Lithiumproduktion kommen sollen, kaufen chinesische Investoren derzeit eine Mine nach der anderen auf.

Hinzu kommen große Vorkommen an Kupfer und anderen Metallen sowie hervorragende Bedingungen für erneuerbare Energien und die Produktion von grünem Wasserstoff, darunter in Ländern wie Chile und Brasilien. Mit beiden Ländern hat Deutschland bereits Energiepartnerschaften geschlossen, weitere solche Vereinbarungen sind in der Region in Vorbereitung, etwa mit Uruguay und Argentinien.

Auch dank der langen gemeinsamen Geschichte und Wertebasis steht der Subkontinent Europa besonders nah. Doch gewinnt China in Lateinamerika mehr und mehr an Einfluss. Für die meisten Länder ist die Volksrepublik inzwischen wichtigster Handelspartner und führender Investor. Ein weiterer Baustein für das Vorankommen Chinas könnte das geplante Freihandelsabkommen zwischen der Volksrepublik und dem Mercosur-Mitglied Uruguay werden. Dadurch hätte China einen ersten Fuß in der Mercosur-Region. "Das wirksamste Mittel gegen den wachsenden Einfluss Chinas in der Region wäre die möglichst rasche Inkraftsetzung des in seinen Grundzügen bereits vereinbarten Abkommens zwischen der EU und dem Mercosur", sagt Carl Moses, GTAI-Korrespondent in Argentinien.

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