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Skandinaviens Luft- und Raumfahrtindustrie erhält Auftrieb
Die Region bringt sich in Startposition: Zwar fahren die Länder unterschiedliche Strategien, aber für deutsche Unternehmen bieten sich umso mehr Möglichkeiten einer Beteiligung.
05.06.2024
Von Judith Illerhaus | Stockholm
In Dänemark, Schweden und Norwegen gewinnt die Luft- und Raumfahrt an Bedeutung. Während Dänemark seine Position als Frachtdrehkreuz Nordeuropas stärkt, investieren die Nachbarn vermehrt in New Space-Aktivitäten. Germany Trade & Invest ordnet ein.
Dänemarks Fokus liegt auf der grünen Luftfahrt
Im Gegensatz zu Norwegen und Schweden besitzt Dänemark keine eigene Raumfahrtagentur. Im Jahr 2020 beschäftigten knapp 200 dänische Firmen der Luft- und Raumfahrtindustrie etwa 2.500 Mitarbeiter. Sie erwirtschafteten umgerechnet rund 793 Millionen Euro. Die Unternehmen dieser Branche sind meist in den Bereichen Klima, Umwelt, Lebensmittelversorgung, Gesundheit und Logistik aktiv.
Politischer und unternehmerischer Fokus liegt vor allem auf Nachhaltigkeitsthemen. So hat sich die Initiative Luftfartens Klimapartnerskab bis 2025 das Ziel gesetzt, eine erste grüne Inlandsflugverbindung anzubieten. Bis 2030 soll die Umstellung zu ausschließlich nachhaltigen Inlandsflugverbindungen finanziert und ein Markt für grüne Treibstoffe etabliert werden.
Entsprechend ambitioniert sind die dänischen Bestrebungen im Bereich der Entwicklung alternativer Antriebe. Hier setzt man verstärkt auf Power-to-X-Technologien. Gesteuert wird diese Entwicklung durch das Projekt Green Fuels for Denmark, eine Partnerschaft des Energiekonzerns Ørsted mit diversen Transport- und Energieunternehmen. Ziel ist die Massenproduktion nachhaltiger Kraftstoffe für Transportsektoren mit einem CO2-Reduktionspotential von über 850.000 Tonnen im Jahr 2030.
Darüber hinaus werden die drei Regionalflughäfen Sønderborg, Midtjylland und Esbjerg in den kommenden fünf Jahren mit jeweils rund 1,3 Millionen Euro jährlich unterstützt, um wettbewerbsfähig zu bleiben und die grüne Wende voranzutreiben. Dem Flughafen Esbjerg als Drehkreuz für das Wartungspersonal der Windparks in der Nordsee kommt dabei eine besondere Schlüsselrolle zu.
Exkurs: Grönland investiert in Luft- und Raumfahrt
Die Erweiterung der Flughäfen Nuuk, Ilulissat und Qaqortoq, teilweise mitfinanziert durch Dänemark, soll Grönlands Erreichbarkeit aus dem Ausland verbessern. Im Zuge der erwarteten Fertigstellung der Flughäfen Ende 2024 beziehungsweise 2025 wird mit zusätzlichem Investitionsbedarf bei der Infrastruktur gerechnet.
EuroSpace prüft derzeit mit Genehmigung der Kommune Kujalleq die Machbarkeit eines Raketenstartplatzes in Südgrönland. Langfristig soll hier ein Spacecenter sowohl zum Testen von Raketenmotoren als auch für Raketenstarts entstehen.
Schweden zieht deutsche Start-ups an
Schwedens Luft- und Raumfahrtindustrie ist mit etwa 12.000 Beschäftigten und einem Umsatz von etwa 2,2 Milliarden Euro im Jahr 2021 gut aufgestellt. Für die Raumfahrt spielt neben den nördlichen Regionen wie Kiruna, Skellefteå oder Luleå auch die Region rund um Trollhättan bei Göteborg in Schwedens Westen eine wichtige Rolle. Politischer Wille und pragmatische Förderbedingungen tragen ihren Teil dazu bei, dass bereits einige deutsche Start-ups schwedische Standorte bevorzugt ausgewählt haben. Dazu gehören Akteure wie Isar Aerospace, Rocket Factory Augsburg (RFA) oder Arctic Space Technologies.
Deutschland hat den Stellenwert der Industrie und das Potenzial einer verstärkten Zusammenarbeit auf europäischer Ebene erkannt. Erst Mitte Mai 2024 wurde im Rahmen einer Neuausrichtung der deutsch-schwedischen Innovationspartnerschaft die Raumfahrt als weitere Fokusbranche deklariert. Hierdurch soll in diesem spezifischen Bereich zukünftig noch enger zusammengearbeitet werden.
Basierend auf der nationalen Strategie "Fossilfreies Schweden" engagiert sich Schweden verstärkt für die Einführung von E-Flugzeugen und will bereits 2030 sämtliche Inlandsflüge emissionsfrei machen. Der schwedische E-Flugzeugbauer Heart Aerospace hat angekündigt, am Flughafen Säve in Göteborg die weltweit erste kommerzielle Elektroflugzeugindustrie aufzubauen. Unter dem Titel "Northern Runway" soll hier eine Produktionsstätte entstehen, die Elektroflugzeuge in Serie herstellt. Der erste Testflug soll Mitte 2026 absolviert werden.
Die Nutzung von E-Flugzeugen wird den Energieverbrauch voraussichtlich vervierfachen - Experimente mit Batterielagern laufen bereits am Flugplatz Skellefteå. Hier werden gemeinsam mit dem lokalen Energiebetreiber 1 Megawatt an Stromversorgung ausschließlich für das Testen von E-Flugzeugen und Drohnen installiert.
Deutsch-norwegische Kooperation trägt erste Früchte
Auch in Norwegen sind die Raumfahrt-Start-ups Isar Aerospace und RFA ganz vorne mit dabei: Im November 2023 wurde auf der gleichnamigen Insel das Andøya Space Center offiziell eingeweiht. Hier soll in Kürze die modernste Infrastruktur für Forschungsraketen bereitstehen. Beide deutsche Start-ups haben bereits Vereinbarungen zur zukünftigen Nutzung der Infrastruktur mit Andøya Space getroffen.
Die Ambitionen des norwegischen Staats sind groß: Für das laufende Jahr hatte die Raumfahrtagentur Norsk Romsenter zuletzt rund 2 Millionen Euro für nationale Förderprogramme vergeben. Insgesamt sieht der Staatsetat für 2024 knapp 182 Millionen Euro an Mitteln für weltraumbezogene Forschungsaktivitäten vor. Rund 40 Prozent dieser Mittel sind für die Teilnahme an EU-Programmen vorbehalten.
Der wichtigste Betreiber norwegischer Flughäfen ist die staatliche Avinor mit derzeit 43 Flughäfen im Land. Das Unternehmen verweist darauf, dass sich die laufenden selbst finanzierten Projekte derzeit auf rund 1,4 Milliarden Euro belaufen. Der größte Teil zählt zu großen Bau- und Technologieprojekten, die sich in der Ausführungsphase befinden, wie beispielsweise die Umsetzung eines neuen Flugverkehrsmanagementsystems mit dem Ziel einer höheren Effizienz, Automatisierung und Erfüllung regulatorischer Anforderungen. Weitere Beispiele sind ein neues Gepäckabfertigungssystem am Flughafen Oslo und die Implementierung von Remote Towers an kleineren Regionalflughäfen. Der neue Flughafen in Bodø entsteht zusätzlich.
Skepsis trotz hohem Nachhaltigkeitswunsch
Aus einem Forschungsprojekt zur Elektrifizierung des Luftverkehrs von Nordregio, einer offiziellen Eurostat-Forschungseinrichtung, geht hervor, dass vor allem Dänemark und Finnland jedoch Skeptiker unter den Skandinaviern sind, wenn es um die breite Etablierung elektrifizierter Flugstrecken in Nordeuropa geht.
Ein Konsortium norwegischer und schwedischer Akteure hat zudem ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, um die Machbarkeit einer Wasserstoffinfrastruktur an Flughäfen in beiden Ländern zu untersuchen und so zur Entwicklung eines H2-basierten Luftfahrt-Ökosystems beizutragen.