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Special | Polen | 20 Jahre EU-Osterweiterung

Polen: Von der Werkbank zum Wachstumsmotor

Beim EU-Beitritt galt Polen als günstiger Standort für einfache Güter. Heute produziert das Land Spitzentechnik. Mit den neuen EU-Geldern könnte die Erfolgsgeschichte weitergehen.

Von Christopher Fuß | Warschau

Polens Mitgliedschaft in der EU ist eine besondere Erfolgsgeschichte. Seit dem Beitritt zur Staatengemeinschaft legte das Bruttoinlandsprodukt des Landes um das Dreieinhalbfache zu. Dieses Tempo kann sich auch im regionalen Vergleich sehen lassen. Polens Wirtschaftskraft wuchs in den vergangenen zehn Jahren nämlich nicht nur doppelt so schnell wie der EU-Durchschnitt, sondern auch schneller als die Volkswirtschaften aller anderen Beitrittsländer von 2004.

Polnische Unternehmen profitieren dank der EU-Mitgliedschaft vom Zugang zu europäischen Absatzmärkten. Der Wegfall der Zollgrenzen schlägt sich in der Außenhandelsstatistik nieder. Der Wert der Exporte Polens in die Mitgliedsstaaten der EU stieg seit 2004 um fast das Sechsfache. Knapp drei Viertel aller polnischen Ausfuhren gehen heute an Partner in der Staatengemeinschaft.

Auch dank der Auslandseinnahmen schließen polnische Unternehmen zur europäischen Spitzengruppe auf. Ein Beispiel ist der Energiekonzern Orlen. Er gehört mittlerweile laut Fortune500 zu den 100 umsatzstärksten Firmen Europas. Außerdem besetzen polnische Firmen wichtige Spezialmärkte. So kommt mit TFKable einer der größten Kabelhersteller Europas aus Polen.

320 %

Wachstum beim Export von Batterien zwischen 2019 und 2023.

Die geografische Nähe zu westeuropäischen Absatzmärkten zieht Investoren an. Dazu gehören der schwedische Möbelriese Ikea oder der deutsche Autobauer Mercedes-Benz. Gleichzeitig schafft es Polen, internationale Hersteller von strategisch wichtigen Technologien anzulocken. Unmittelbar in der Nähe von Wrocław investiert der Chipproduzent Intel. Etwas weiter südlich, in Nysa, stampft ein Joint-Venture von Umicore und Volkswagen eine Fabrik für Batterieelemente aus dem Boden. Internationale Investoren haben das Land zu einem der größten Exporteure von Batterien für Elektrofahrzeuge in der EU gemacht.

Polen ist seit vielen Jahren ein beliebter Produktionsstandort für Unternehmen aus Deutschland. Das Investitionsgeschehen hat sich seit der Coronapandemie sogar noch weiter beschleunigt. Es gibt einen anhaltenden Trend hin zu mehr Nearshoring und lokalen Lieferketten. Davon profitiert Polen. Der steigende Wohlstand des Landes schafft außerdem neue Absatzchancen für deutsche Exporteure.

Lars Gutheil Geschäftsführer der AHK Polen

Ein solides Fundament

Polen ist das mit Abstand bevölkerungsreichste Land aus der Erweiterungsrunde von 2004. Die im Vergleich große Einwohnerzahl stärkt den Binnenmarkt. Einzelhandelsunternehmen aus Deutschland wissen diesen Umstand für sich zu nutzen. Lidl, MediaMarkt oder Rossmann betreiben ein landesweites Filialnetz.

In der Coronapandemie hat sich außerdem die breit gefächerte Branchenstruktur der heimischen Industrie bewährt. Schwächelt die Automobilindustrie, können andere Wirtschaftszweige die Verluste abfedern.

Das heißt nicht, dass Krisen und globale Strukturumbrüche an Polen spurlos vorbei gehen. Die Strompreise für Unternehmen haben sich zwischen 2021 und 2023 verdoppelt. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes wuchs 2023 erstmals langsamer als der EU-Durchschnitt. Internationale und heimische Firmen fordern Energie aus emissionsfreien Quellen. Die Wirtschaft ist heute der wichtigste Treiber der Energietransformation in Polen.

Mehr Effizienz und weniger Emissionen

Um Strom nachhaltiger und billiger zu produzieren, stellt das Land von Braun- und Steinkohle auf Fotovoltaik und Windkraft um. Außerdem sollen Erdgas und Atomkraft eine wichtige Rolle im Energiemix spielen. Bereits heute beteiligen sich Firmen aus Deutschland am Bau von Solaranlagen, Offshore-Windparks oder Gaskraftwerken. Parallel dazu investieren polnische Netzbetreiber wie PGE, Tauron oder Energa Milliardenbeträge in Stromleitungen und Energiespeicher. Nicht überall stößt der Umbau des Energiesektors auf Gegenliebe. Vertreter der immer noch einflussreichen Kohleindustrie wehren sich gegen den Wandel. Die großen politischen Parteien meiden den offenen Konflikt mit den Bergbaugewerkschaften.

27,1 %

beträgt der Anteil der erneuerbaren Energien an Polens Stromproduktion 2023.

Neben den Energieerzeugern soll auch der Verkehrssektor Emissionen abbauen. Bis 2030 werden laut der vorläufigen nationalen Energiestrategie knapp 1,5 Millionen Elektrofahrzeuge und Plug-In Hybride auf den Straßen unterwegs sein.

Gleichzeitig investiert der staatliche Schienennetzbetreiber PKP PLK in seine Gleise. Deutsche Hersteller bringen ihr Know-how ein. Der Tunnel für eine Durchfahrtslinie unter der Stadt Łódź entsteht mit Hilfe von Maschinen der Firma Herrenknecht aus Schwanau. Die Eisenbahnunternehmen wiederum benötigen neue Lokomotiven und Züge. Deutsche Anbieter können sich hier durchzusetzen. Ein Rahmenvertrag zwischen dem Schienenfahrzeugverleiher Cargounit und Siemens Mobility vom Februar 2024 umfasst die Lieferung von 100 Lokomotiven.

Auch die Produktionsunternehmen in Polen stehen vor einer Modernisierungswelle. Die Industrie im Land ist weniger automatisiert als beispielsweise in Tschechien oder in der Slowakei. Mitursächlich sind die niedrigen Arbeitskosten und die hohe Zahl verfügbarer Arbeitskräfte in Polen. Doch die Situation wandelt sich. Die Durchschnittsgehälter haben sich in den letzten zehn Jahren nahezu verdoppelt. Vor allem in Westpolen ist der Arbeitsmarkt leergefegt. Außerdem wollen die Unternehmen in den internationalen Wertschöpfungsketten weiter aufsteigen und immer komplexere Produkte herstellen. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass Polen heute einer der dynamischsten Märkte für Roboter in Europa ist. Den Trend bestätigt Rainer Pauly von der Personalberatung Deininger im Interview mit Germany Trade & Invest.

Es fließen deutlich mehr Ressourcen in die Automatisierung. Vor allem die Coronapandemie hat dem Thema einen Schub gegeben. Maschinen werden nicht krank und müssen nicht geimpft werden. Ich rekrutiere für meine Kunden mittlerweile Spezialisten, die sich manuelle Prozesse anschauen und überlegen, wie man den Vorgang automatisieren kann.

Rainer Pauly Geschäftsführer Deininger Consulting in Warschau

Ohne EU-Förderung geht es nicht

Für all die ambitionierten Pläne braucht Polen Geld. Ein Teil der Mittel wird aus EU-Töpfen kommen. Polen ist der größte Empfänger von Zuschüssen aus der europäischen Kohäsionspolitik. Der Wert aller seit 2004 nach Polen geflossenen Kohäsionsmittel entspricht knapp zwei Dritteln aller im gleichen Zeitraum geflossenen ausländischen Direktinvestitionen.

Lange Zeit blieb Polen der Zugriff auf neue EU-Gelder verwehrt, weil das Land nach Auffassung der Europäischen Kommission gegen Prinzipien der Rechtstaatlichkeit verstößt. Der Streit scheint nach dem Regierungswechsel vom Dezember 2023 vorerst beigelegt. Der neue Justizminister Adam Bodnar stellte in Brüssel eine geplante Justizreform vor. Die Europäische Kommission gab daraufhin ihre Blockade der EU-Mittel auf. Es geht um beträchtliche Summen. In der aktuellen Haushaltsperiode kann Polen über die Kohäsionspolitik und über den Wiederaufbaufonds mehr als 135 Milliarden Euro abrufen.

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